Die Künstlichkeit der Kulissen, das Pappmaché,
dem die Stiefeltritte der Soldaten aus dem Off erst zugespielt werden
müssen: das ist die nicht nur geografische, sondern auch ästhetische
Fremde, in der Renoir seinen Film ohne Lokalkolorit situieren kann. Mit dem
Bild der Besetzung beginnt die Geschichte, oder nein: mit dem Bild eines
Denkmals, das an die Friedenskämpfer des Ersten Weltkriegs erinnert.
Dieses Denkmal ragt schräg noch in die Ankunft der Deutschen, "somewhere
in Europe". Der Bürgermeister schüttelt die Hand. Als Chef der
Besatzer wollte Renoir - wie in "Die große Illusion" - Erich von Stroheim,
nun hängt Walter Slezak der linke Arm mit dem weißen Handschuh
als falscher von der Seite.
Ein Film der Typen. Major von Keller ist ein Typ aus Granit mit gemütlicher
Oberfläche. Ein Mann, der Tacitus zitiert und den Professor, der das
Tacitus-Zitat gegen die Besatzer wendet, kurzerhand vors
Erschießungskommando schickt. Ein Mann, der strategische Rücksichten
kennt, aber keine moralischen. Sein Gegentyp, physiognomisch nicht ganz
unverwandt, ist der Lehrer Albert Lory, dem Charles Laughton Profil, Gestalt,
Charakter und die Form des verzagten Heldenmuts gibt. Der Film läuft
zu auf den Moment, in dem Lory, der Schwächling, das Muttersöhnchen,
das bibbernde Häufchen Elend im Luftschutzkeller, sich erklärt,
in aller Öffentlichkeit. Vielmehr: am letzten Ort, der als
öffentlicher noch übrig ist, vor Gericht.
Er findet sich dort als unschuldig eines Mordes Verdächtigter. Er
erklärt sich, in mehr als einem Sinn und in zwei Anläufen. Mit
sanfter Stimme erklärt er sich - sich selbst. Als einen, der außen
feige ist und innen mutig. Und die anderen, den Kollaborateur Lambert etwa,
also solche, die innen feige sind und außen mutig, eine Schizophrenie,
die sich nicht leben lässt. Charles Laughton modelliert diese Figur
vor den Augen des Betrachters, die aufgeworfene Lippe im Babygesicht, der
Körper windet sich erst, dreht sich dann, das Publikum adressierend,
von links nach rechts. Die auf Papier festgehaltenen Notizen werden
überflüssig vor der Evidenz der Verfertigung eines Selbstbewusstseins,
das sich nur der Wahrheit, die aus einem spricht, verdanken kann. Laughton
beherrscht hier nicht die Kunst des Pathos, das einer existenziellen Situation
abgewonnen wird, sondern er führt die sehr viel größere Kunst
vor Augen, ein Pathos sich einstellen zu lassen in Stimme, Körper, Gesten
einer Figur, die ihrer selbst erst zögerlich, dann immer bestimmter,
gewiss wird, sich, dem, was aus ihr spricht, folgt, aus einer Notwendigkeit
heraus, die im selben Augenblick erst erkannt wird.
Albert Lory ist als Charakter und Typ so wenig fertig bis zu diesem Moment
wie der Körper Charles Laughtons unfertig scheint, ein Riesenbaby, das
immer nur zurück will in den Schoß der Mutter. Die aber ist,
angesichts von Laughtons Kunst, der in seinem Körper sie immer schon
mitspielt (die Mutter, den Wunsch, sich in ihr zu verkriechen), ganz
überflüssig. Und die andere Erklärung: Er liebt die Kollegin
Louise, die mutiger ist, die der Angst im Luftschutzkeller den Gesang
entgegenschleudert. Indem er sich erklärt und in diesen Erklärungen,
die zum flammenden Aufruf zum Widerstand werden, findet der Mann, der
Körper sich selbst als einen, den er so nicht kannte. Von diesem aber
lässt er sich an die Hand nehmen zum Triumph, der folgen muss. Für
den Tod hat Lory, hat Renoir nur Verachtung. Die Kamera schwenkt nach links,
dem von den Nazi-Schergen Abgeführten hinterher, aber sie folgt ihm
nicht. Vielmehr schwenkt sie mit der Lehrerin, die den Mann, der in ihren
Augen, unter ihren Blicken zum Helden geworden ist, ein erstes und letztes
Mal küssen durfte, zurück ins Lehrerzimmer, das Lory verlassen
muss. Fortgesetzt wird die Erklärung der Menschenrechte, mit starker
Stimme und festem Blick sieht Maureen O'Hara den Kindern, der Kamera ins
Gesicht, das ist das Ende. Kein Schuss fällt, dem Tod wird kein Raum
gegeben.
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Jean Renoir: La Chienne
Jean Renoir: Boudu, aus dem Wasser
gerettet
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