Cecil B. De Mille: Whispering Chorus (USA 1919)

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Cecil B. De Mille: Whispering Chorus (USA 1919)
Kritik von Ekkehard Knörer

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John Tremble ist ein kleiner Buchhalter, sein Gehalt reicht kaum, die Familie, zu der seine Frau und seine Mutter gehören, zu ernähren. Zu Weihnachten hat er genug vom Elend, verspielt den Rest des Geldes beim Versuch es zu vermehren. Der nächste Schritt macht alles nur noch schlimmer: er unterschlägt eine beträchtliche Summe in seiner Firma, die Rechnungsprüfung kommt, er taucht unter. Und zwar gründlich: lebt erst in einer kleinen Hütte am Fluss, in Lumpen, und ernährt sich vom Fisch, den er fängt. Eines Tages hängt eine Leiche an der Angel; er beschließt, sich aus der Welt zu schaffen und fingiert den Mord an sich selbst. Die Jahre vergehen. Nach langem Zögern heiratet seine Frau den einstigen Oberrechnungsprüfer, jetzt Gouverneur des Staats. Tremble selbst beginnt einen unaufhaltsamen Abstieg vom Dockarbeiter zum Tramp. Das ist, über Jahre hinwegspringend, parallel montiert zum Aufstieg seiner Ehefrau. Endlich kehrt er zurück zu seiner Mutter - kaum erkennt sie ihn wieder, stirbt sie schon. John Tremble kommt vor Gericht, angeklagt des Mordes an sich selbst, und wird zum Tode verurteilt.

"Whispering Chorus" ist ein bitteres Sozialdrama, man hat, gar nicht zu Unrecht, im historischen Rückblick die Anfänge des Film Noir darin sehen wollen. Eine Welt der Widerstände bringt Tremble zu Fall. Jedoch ist sein Abstieg ganz ausdrücklich nicht in die Hände des Schicksals gegeben. Von Anfang an stellt De Mille seinen Helden in eine Reihe von Entscheidungssituationen. "Whispering Chorus" ist im Grunde nichts anderes als die Visualisierung des Glaubens an den mehr oder weniger freien Willen des Individuums, Illustration also einer voluntaristischen Moral (oder, weniger streng gelesen: ihrer Gebrechlichkeit). Der flüsternde Chor nämlich des Titels sind die in Überblendungen sichtbar gemachten widerstreitenden Stimmen des Innern. Stets bieten sie Alternativen: zum Verbrechen locken die Männer und die Frau plädiert für den Verbleib auf dem Pfad der Tugend. Die Schuld lässt sich so problemlos verorten, nicht in den Verhältnissen, sondern im falschen Weg, den Tremble ein ums andere Mal wählt. Und als Schulddiskurs macht die ungeschminkte Bitternis dann Sinn. John Tremble muss Buße tun - und Gnade ist nicht vorgesehen, der Film folgt ihm bis auf den elektrischen Stuhl. Für sein Sterben findet De Mille ein treffliches Bild: in einer weißen Blüte, die Tremble in der Hand hält, deren Blätter nach den Stromstößen zu Boden sinken, vereinen sich Metapher und Metonymie zum visuellen Reden vom Tod (und zugleich natürlich zur Vermeidung der nackten Anschauung).

Stets geht es im übrigen so sehr um Tremble wie um das neue Glück seiner Frau in den Armen des Gouverneurs. Auch sie hat Erscheinungen geisterfotografischer Natur - etwa eines künftigen, die Liebe familial abrundenden Kindes. Ihr Gewissen treibt sie zur Wahrheit - denn spät, aber nicht zu spät, hat sie im zum Tode Verurteilten ihren Ehemann erkannt. Der aber zeigt sich bereit Buße zu tun, die letzte Hoffnung aufs Leben fahren zu lassen. Er tritt, zuletzt, als Toter aus dem Bild. Aus der Liebe des neuen Paares wird er, als durchscheinender Zombie, ausgetrieben, selbst nun zur Geistererscheinung geworden; zur stummen.

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