Es ist einfacher zu sagen, was Quills
nicht ist: Es ist kein Film, der das bewegte Leben de Sades erzählt.
Ebenso wird enttäuscht werden, wer hofft, hier einen pornographischen
Film zu sehen, der sich treu an den Büchern des Marquis orientiert:
Orgien, Lustmord & Co sind in Quills nur Beiwerk.
Wie bereits im Titel angedeutet, stehen hier vielmehr Hintergründe
und Motivation des Schreibens im Mittelpunkt, wird die Frage danach, was
Kunst ausmacht, zum zentralen Element. Außen vor bleiben weitestgehend
die sexuellen Ausschweifungen, die seine Werke kennzeichnen , seine
Leidenschaft so jedenfalls im Film wird im Wesentlichen auf
die Literatur beschränkt (dass der Marquis insgesamt 27 Jahre seines
Lebens wegen sexueller Delikte -aber auch politischen Denkens - im
Gefängnis verbracht hat, interessiert in "Quills" nicht). Um den
Schriftsteller gruppieren sich stattdessen die von ihm geschaffenen Figuren,
Szenen und Motive. Jene spiegeln sich widerum im Roman des Marquis, der
Justine wider, so etwa jene Episode um die junge Simone (Amelia
Warner), die an den lüsternen alten Doktor Royer-Coltard (Michael Caine)
verheiratet wird und - durch die Lektüre der Justine-
schliesslich ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse entdeckt. Dann ist da
natürlich noch die junge Magd Madeleine (Kate Winslet), die sowohl den
Marquis als auch den jungen Priester Coulmier (Joaquin Phoenix) in Versuchung
führt. Alles bekannte Motive, die den Marquis als Urheber und Mitspieler
in die eigenen Geschichten integrieren und auf diese Weise die Beziehung
von Literatur und Realität verschwimmen lassen.
Die Frage nach der Motivation und Verantwortung von de Sades Werk
findet in den Auseinandersetzungen zwischen de Sade und dem jungen und
idealistischen Coulmier statt.Während der Priester die Vorstellung von
der Kunst als der Abbildung des Schönen befürwortet, will der Marquis
in seiner Kunst eine Realität zeigen, die den Menschen als reines Instinkt-
und Triebwesen begreift, und aus allen gesellschaftlichen und moralischen
Illusionen herauslöst. Gleichzeitig aber hat de Sade im Schreiben ein
Ventil für seine eigenen Perversionen gefunden. De Sade wird nicht einfach
als ein von sexuellen Obsessionen Besessener dargestellt, sondern auch als
jemand, der als Revolutionär eine eigentlich sozialkritische Funktion
erfüllte dies mit Hinweis darauf, dass das pornographische Werk
mit allerlei philosophischen Reflektionen gefüllt ist, die im Film in
den scharfsinnigen Dialogen mit dem Priester andeutet werden.
De Sade scheint den Menschen einen Spiegel vorhalten zu wollen, so
etwa mittels der Karikatur, die de Sades Theateraufführung in Charenton
von dem lüsternen Royer-Coltard und Simone gibt. Alles nur Episoden,
die aus dem wirklichen Leben gegriffen sind und Literatur als Abbildung und
Nachahmung realer Geschehenisse darstellen?
Der de Sade in Quills scheint Leben und Werk allen voran
in Opposition zu konventionellen Wertvorstellungen zu sehen und so verwundert
es nicht, dass er Moral, vor allem die christliche, als überflüssig
betrachtet und die menschliche Natur für grundsätzlich schlecht
hält: Daraus ergibt sich das Motto Virtue istvice, vice is
virtue. De Sades Hass auf jegliche Form christlichen Glaubens wird
im Film über die Figur des Priesters transportiert, der bis zuletzt
verzweifelt versucht, das Seelenheil des Marquis zu retten, und dabei selbst
nicht schadlos davonkommt.
Letztlich erweist sich damit auch im Film die menschliche Natur -
ganz de Sade - als absolut destruktiv. Der Film endet dementsprechend mit
den verhängnisvollen Konsequenzen des Werks von de Sade , das alle
Beteiligten in den Untergang zu stürzen scheint. So die junge Madeleine,
Coulmier und schliesslich den Marquis selbst, der sterbend noch die Absolution
verweigert. Gleichzeitig ist hier aber eine Umkehrung moralischer Werteordnung
angedeutet, erweist sich der Spiessbürger als eigentliche Perversion,
indem nach dem Tode des Marquis dessen Werk in Charenton heuchlerisch für
einen guten Zweck missbraucht wird.
Jump Cut
Website |