Auf dem Titel: "The Matrix". Im Sinn Filme wie: "Independence
Day" oder "Titanic", sämtliche Bruckheimer/Simpson-Produktionen. Oder
die Urväter "Der weiße Hai" und "Star Wars". Das Phänomen,
um das es in Robert Blanchets Buch "Blockbuster" geht, lässt sich mit
diesen Filmtiteln umreißen, mit dem Buchtitel benennen und in den
Kategorien des Untertitels untersuchen: "Ästhetik, Ökonomie und
Geschichte des Postklassischen Hollywoodkinos". Darum geht es, in drei
voneinander wenig abhängigen Modulen sozusagen, und Blanchet holt weit
aus. Die Ästhetik, die er vorstellt, ist zunächst einmal nicht
die des Blockbuster-Kinos, sondern Methode der Filmwissenschaft. Der
Neoformalismus, David Bordwell in erster Linie - dessen mit Kristin Thompson
und Janet Staiger verfasster Klassiker "The Classical Hollywood Cinema" bildet
den Hintergrund, von dem sich das Blockbuster-Kino abheben könnte. Ein
detailliert beschriebener Hintergrund, muss man sagen, eine ausführliche
Darstellung der Bordwellschen Ansätze. Ja, in diesem ersten,
"Ästhetik" überschriebenen Teil, beinahe so etwas wie ein kleines
Lehrbuch, eine Einführung - und als solche ganz makellos. Das beste,
was man in deutscher Sprache derzeit finden kann. Präzise, von derselben
nüchternen Verständlichkeit, die den Ansatz als ganzen auszeichnet.
Über Bordwell hinaus erfährt man allerdings recht wenig.
Geordnet ist die Darstellung nach den Grundbegriffen der die Spezifika des
Films herausarbeitenden Erzähltheorie, auf die der neoformalistische
Ansatz in vielen seiner Aspekte hinausläuft (Devices; Motivation; Syhuzhet
und Fabula; Style; Narration); diese werden vorgestellt und an Beispielen
herausgearbeitet. Eingehendere Analysen bleiben aus, Schlaglichter müssen
genügen. Die Beispiele sind allerdings klug gewählt und über
die neuesten Erzähl-Effekte wie "Dead-Time" und "Flo-Mo" (vgl. Matrix)
erfährt man, in wünschenswerter Klarheit, was es dazu zu erfahren
gibt. Von solchen Neuerungen abgesehen, laboriert die Untersuchung im
ästhetischen Teil jedoch an dem - angesichts der Qualitäten nicht
sehr gravierenden - Problem, das in ihrer These liegt. Wenn diese These zutrifft
(und vieles spricht dafür), kann Blanchet natürlich nichts für
das Problem, das er hat. Es irritiert dennoch. Die These nämlich ist,
dass sich ästhetisch das postklassische Hollywoodkino von der klassischen
Gestalt nicht wesentlich unterscheidet. Es gelten - nach dem europäisch
beeinflussten Hiatus, den New Hollywood darstellte - dieselben Regeln der
Nicht-Thematisierung des Erzählens, dieselben Formeln, nach denen die
Geschichten zu erzählen sind, schon gar in der Form dieses Erzählens.
Es gilt also, mit nicht sehr bedeutenden Variationen, das, was Bordwell &
Co. erarbeitet haben. Daher der Lehrbuchcharakter dieses ersten Teils, der
dem Kenner kaum Neues bietet.
Im Charakter ähnlich der zweite Teil, der sich, akribisch,
nüchtern, nachvollziehbar, mit der ökonomischen Seite des
Blockbuster-Kinos befasst. Hier ist nun vieles neu. Veränderungen des
Systems, die durch den Einzug des Fernsehens wie das Urteil, das die Studios
zwang, ihre Kinoketten zu verkaufen, eintraten, neue Produktionsstrukturen,
veränderte Verleih-Konditionen, vor allem die zunehmende Konzentration
auf das Startwochenende, dadurch explodierende Werbekosten, der
flächendeckende Einsatz von Kopien vom ersten Tag an (der sogenannte
"saturation release"); hier ist vieles mit dem klassischen Hollywood kaum
mehr zu vergleichen. Blanchet fasst die Entwicklungen beispielhaft zusammen,
bietet durch Zahlen und Tabellen leicht nachvollziehbare Informationen. Auch
hier gibt es keine grundlegend neuen Erkenntnisse, auch hier wieder gelingt
es Blanchet, alles Wichtige strukturiert und ohne Redundanzen zusammenzufassen.
Wer sich, zumal im deutschen Sprachraum, auf den aktuellen Stand der
ökonomischen Verfassung Hollywoods bringen will, ist mit diesem zweiten
Teil bestens bedient.
Der dritte Teil dann schließt die beiden ersten in gewisser
Weise in sich. Etwa indem er verdeutlichen kann, dass die seit den siebziger
Jahren um sich greifende Idee des "High Concept"-Films (eine griffige Geschichte,
in wenigen Sätzen zu erzählen - "25 words or less", rasch einleuchtend,
überraschend und zugleich in Bezug zu bekannten Formeln zu setzen) nichts
anderes ist als die ästhetische Gestalt der ökonomischen Bedingungen
(eine Folgewirkung, nebenbei, ist auch die Veränderung des Trailers,
der nun genau diese Geschichte erzählen muss, statt mit ihr hinterm
Berg zu halten: man erfährt hier auf knappstem Raum beinahe mehr als
in Vinzenz Hedigers fliegenbeinzählerischem Buch zum Thema). Zum Event
wird das Kino nur, wenn es der großen Zahl der Zuschauer möglichst
schnell einleuchtet; die Werbung verlangt nach dem schlagenden Bild, auf
das sich das Konzept bringen lässt: die Zerstörung des Weißen
Hauses, die Titanic in der Senkrechten. Daher auch die Popularität des
Recyclings bzw. die Adaption des bereits weithin Bekannten, etwa der
Superhelden-Comics. Es muss so kein neues Produkt in den Markt gedrückt
werden, bzw. das Produkt ist in seiner konzeptuellen Eigenart auf den ersten
Blick zu erkennen und lockt mit 25 Wörtern oder einem Bild die Massen
am ersten Wochenende. Eindrucksvoll ist Blanchets Analyse des Erfolgs, den
auch vom Publikum abgelehnter Schrott wie "Batman & Robin" schon in den
ersten Tagen einspielen kann. Die Kassen sind voll, bevor das Entsetzen von
Kritik und Publikum sich herumspricht. Die Strategie der Werbung wie des
flächendeckenden Kopieneinsatzes zielt genau darauf: die Filme (so weit
es geht) resistent zu machen gegen das Urteil. Dazu muss stets auf die
(vermuteten) Schlüsselreize gezielt werden, für Ambivalenzen und
kompliziertere Konzepte ist dabei wenig Raum. Bestenfalls für die ironischen
Formen der Doppelcodierung, die die schlichteren und die cleveren Gemüter
zugleich bedienen, Fälle wie "Scream" oder - da machte das Publikum
aber schon nicht mehr recht mit - "Last Action Hero". In diesem Zusammenhang
bietet Blanchet auch eine interessante Analyse von "Pulp Fiction" als Parodie,
die die Mythen des Trivialen durch Banalisierung ins Komische zieht. Es sind
dies aber unter den großen Erfolgen der letzten Jahre eher die Ausnahmen
als die Regel.
Es tut sich dadurch eine Lücke auf: zwischen den Blockbustern
mit riesigem Budget, die jedes Risiko vermeiden, und klein budgetierten Filmen,
die man sich leistet in der Hoffnung, es könnten Riesenerfolge daraus
werden (wie "My Big Fat Greek Wedding") - für die Kunst, die nicht viel
kostet, sind dann Studiountereinheiten wie Miramax oder Sony Classics
zuständig. Was fehlt, ist der Zwischenraum mittlerer Budgets und damit
genau der Bereich, in dem der Mainstream vorsichtige Experimente wagen durfte.
Zwischen Oscar-verdächtiger "Kunst" (die ja meist Kunsthandwerk ist)
und dem geistlosen Blockbuster breitet sich zunehmend ödes Feld aus.
Auch dies ein klarer Durchschlag der Ökonomie auf die Ästhetik,
ein Beleg dafür, dass der Blockbuster das gesamte Gebiet der Produktion
affiziert und umstrukturiert. Blanchet, dem es sonst eher um Objektivität
zu tun ist, setzt hier den einen oder anderen kritischen Akzent.
Die Überfülle an Informationen, neuen und nicht ganz so
neuen, die das Buch bietet, ist in einer Kritik nur anzudeuten. Übers
digitale Kino erfährt man ebenso etwas wie über Genres und ihren
Auf- und Abstieg in der Beliebtheit der Zuschauer, der Production Code ist
abgedruckt und das Package-Unit-System im Detail erläutert. Ein Buch,
alles in allem, das vielen vieles bieten wird. Blanchet neigt nicht zur
Spekulation, reich aber ist sein Buch an Zahlen und Fakten. Es wird nicht
immer klar, wie alles nun konkret mit allem zusammenhängt; dem
Vergnügen, das es dem an der Industrie Hollywood Interessierten bereitet,
tut das keinen Abbruch. Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist der
zweispaltige Satz des Buches - und in einem letzten Korrekturgang hätte
man vielleicht verhindern können, dass die Kommasetzung zum beinahe
schon wieder konsequenten Gegenentwurf auch zu neuesten Regelungen gerät.
Das sind aber Kleinigkeiten. Ich habe Robert Blanchets "Blockbuster" mit
viel Gewinn gelesen. |