Jean-Jacques Schuhl: Ingrid Caven

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Jean-Jacques Schuhl: Ingrid Caven

Jean-Jacques Schuhl Ingrid Caven
Roman
Geb., 309 S.
Eichborn Verlag, 2001

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Jean-Jacques Schuhl: Ingrid Caven
Kritik von Dagmar Hotze

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"Die Hand des kleinen Mädchens streicht zerstreut über den weißen Pompon an seinem sibirischen Hasenfellmantel. Die Kapuze ins Gesicht gezogen, mit einer sehr ernsten Mine für ihre viereinhalb Jahre, sitzt sie, Decken aus Wolfspelz über den Beinen, allein, tief in die Bank geschmiegt", beginnt der französische Romancier Jean-Jacques Schuhl sein, mit dem Prix Goncourt ausgezeichnetes Buch. Aus diesem "kleinen Mädchen", dessen Flucht aus Ostpreußen gegen Kriegsende in Saarbrücken endete, sollte später die Frau eines der enfants terribles der deutschen Filmszene werde. Aufgewachsen in begüterten Verhältnissen, wird das musische Talent des Kindes, durch eine schwere Hautkrankheit, auf eine harte Probe gestellt. Erst im Teenageralter, dass sie in einem Internat im Schwarzwald verbringt, lässt die Erkrankung nach. Sie will Sängerin oder Schauspielerin werden, geht nach München, verbringt ihre Nachmittage im Englischen Garten, lernt ihre Rollen, übt Lieder und stromert durch die Stadt. Und dann... "Wer war dieser Junge im Lederblouson, der allein in einer Ecke stand, verschlossen, den Kopf zwischen den Schultern, von hinten, vor der Wand, an der Bar des ärmlichen kleinen Behelfstheaters, das oft auch als Kino diente?". Auf Seite 49 tritt Rainer Werner Fassbinder in das Leben Ingrid Cavens, der Rest ist Legende. Oder doch nicht?

Augenfällig ist, dass Jean-Jacques Schuhl, der heutige Lebensgefährte, der in Frankreich gefeierten Chansonsängerin, die Erzählform des Romans wählt, um dem Leser ihr Leben näher zu bringen. Er hält sich sporadisch an den chronologischen Ablauf ihres Werdegangs, lässt jedoch assoziativ politische und gesellschaftliche Ereignisse der deutschen Nachkriegszeit einfließen. Die auf den ersten Blick als lose Verbindungsstücke erscheinenden Geschehnisse, ergeben bei genauerer Betrachtung ein psychologisches Mosaik deutscher Befindlichkeiten. Die Geschehnisse während des Dritten Reiches werfen lange Schatten auf die nachfolgende Generation und sind permanent gegenwärtig. Dagegen hilft nur die Betäubung, der Exzess, die Sehnsucht, diese deutsche aller Eigenschaften. Schuhl gelingen sehr starke Bilder, wie etwa die gemeinsame Reise Ingrid Cavens mit Freundinnen in das Konzentrationslager Dachau, die im psychischen Zusammenbruch der Frauen, mit anschließendem Trinkgelage, endet. An seinem distanzierten Verhältnis zu dem "Wunderkind mit den Buddha-Patschehänden", lässt der, in seinem Buch selbst als Charles in Erscheinung tretende französische Romancier, keinen Zweifel. Genauso ergeht es auch dem internationalen Jet-Set, angeführt von Andy Warhol, dem "weißen Vampir", den Fassbinder verehrte. Auch der Welt der Haute Couture tritt er eher ironisch entgegen. Er kleidet Fassbinders Maßlosigkeit (und Cavens zuweilen blasiertes Wirken) in märchenhafte Allegorien wie etwas der von Hänsel und Gretel. Zwischendurch scheint das Leben der beiden Königskinder in normalen Bahnen verlaufen zu sein. Sie besuchen schicke Clubs mit Salons und Pornovorführungen. Durch "Christopher, einen Freund, einen netten Jungen", der, wenn er nicht in Tibet weilt oder Drogen verkauft, einen Vertrieb für Pornofilme leitet, gelangt die aparte Schauspielerin ins horizontale Gewerbe. Nicht als Darstellerin, obwohl Fassbinder das ebenfalls gefallen hätte, wie Schuhl spitz bemerkt, sondern als deutsche Synchronstimme (sic!). So erfahren wir, dass die deutschen "Uuuuughs" und "Aaaahs" der Linda Lovelace von keiner geringeren als von Ingrid Caven stammen. Der plötzliche Tod Fassbinders, von dem Ingrid Caven bereits einige Zeit getrennt lebte, reißt die brüchige Gefühlsdecke erneut auf. Nach einem großen Zeitsprung findet sich der Leser in der Nähe des Place Pigalle in Paris wieder, wo es der deutschen Schauspielerin gelungen ist, sich, von der deutschen Öffentlichkeit unbemerkt, eine zweite Karriere als Chansonsängerin aufzubauen.

Nach dem Lesen des Romans hat man den Eindruck, dass Schuhl mehr eine ironische Farce auf den Zirkus Fassbinder abliefern wollte, als das Leben Ingrid Cavens episch zu verarbeiten. Mit diesem stilistisch durchweg brillianten Buch ist ihm dies auch gelungen, über die "Romanheldin" erfahren wir indes nur sehr wenig. Durch die leicht dechiffrierbaren Pseudonyme, mit denen Schuhl vorgibt, ihre damaligen Weggefährten unkenntlich zu machen, entstehen Momente, in denen er sie der Lächerlichkeit preis gibt. Fassbinders Leib- und Magenproduzent Peter Berling etwa, dem er sehr viel zu verdanken hat, wird als bukolischer Ritter Bergstrom dargestellt. Fassbinders letzter Lebensgefährte Armin, verspottet er als "Lebensbornkind, dem Versuchskaninchen der nationalsozialistischen Eugenik, der sich für James Dean hielt", weitere Bespiele könnten folgen.

So ist dem Autor das Zusammenfließen von realer Welt, subjektivem Empfinden "seiner" Hauptdarstellerin und fiktiver Filmwelt zu einer boshaften Abrechnung geraten, die zwar ein leserischer Genuss, jedoch ein biographischer Verdruss ist. Das hat Ingrid Caven sicherlich nicht verdient (auch Fassbinder nicht) und so bleibt die Hoffnung, dass nach etlichen Bücher über Fassbinder, endlich eine "seiner" Darstellerinnen vorgestellt wird.

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