An Don Siegel scheiden sich die wenigen Geister noch, die sich
für ihn interessieren. Als auteur zeigt er zu wenig eigene
Handschrift, am ehesten darin noch, dass er aus schlechten Büchern das
beste, wenngleich gewiss nicht immer was Gutes gemacht hat. Wirklich bekannt
ist nur "Dirty Harry", darum ist's verkaufsstrategisch einleuchtend, das
Buch, das sich auch um die anderen Filme kümmert, so zu betiteln. Es
ist dies ja auch einer der ambivalentesten Filme, die man sich vorstellen
kann. Man kriegt diesen Helden, der auf der richtigen Seite sich falsch
verhält, nicht geradegebogen. Ein Mörder, der eine Bestie tötet.
Ein Film, der sich eine abscheuliche Bestie ausdenkt, um das Recht, das hier
die Gesetze vor Vergeltung setzt, schlecht aussehen zu lassen. Ein Held,
der aus dem Wilden Westen entlaufen ist in die Zivilisation und sich aus
deren Regeln nichts macht. Pauline Kael, die sich immer einen etwas begrenzten
Begriff von dem gemacht hat, was Kino heißt, hat sich nicht anders
zu helfen gewusst, als "Dirty Harry" zu hassen und Clint Eastwood und Don
Siegel gleich hinterdrein. Das ist die berühmteste Stimme, die wir haben
zu dem Mann, der in listiger Weise bescheiden berichtet: "Godard sagte, ich
sei ein Künstler. Gut, warum nicht. John Cassavetes hat uns einander
vorgestellt, auf einer Party in Hollywood. Da steht dieser dunkelhaarige
kleine Franzose und erzählt mir, was für ein großartiger
Regisseur ich sei und alles, was ich zustande bringe, ist ein: 'Danke, sehr
freundlich.' Ich hatte keinen einzigen seiner Filme gesehen." (Die
Anekdote stammt nicht aus dem besprochenen Buch.)
Das Buch, sagen seine Herausgeber, ist "eine Liebeserklärung",
"eine Hommage" an den Regisseur, den sie als auteur begreifen wollen.
Letzteres sagen sie so deutlich nicht, aber die Konzeption des Buchs impliziert
es, da es funktioniert wie die meisten Filmbücher zu einzelnen Regisseuren
hierzulande funktionieren, die exzellenten (nämlich aus der seligen
Hanser-Reihe) ebenso wie die einfallslosen: Allgemeinere Essays an den Beginn,
dann eine kommentierte vollständige Filmografie, am Ende ein biografischer
Abriss und filmografische Angaben. Es gibt Versuche, Siegel hier und da
anzudocken, am Film Noir etwa, dem frühen und dem späten,
aber das ist eine arg biedere Rekapitulation von Thomas Christen, die weder
über den Film Noir noch über Siegels einschlägige Filme
noch über ihre Einschlägigkeit besonders viel mitzuteilen hat.
Gerhard Midding informiert uns über die Rezeption in Frankreich, die
bei den Verfechtern der Autorenpolitik nicht allzu überschwänglich
ausfiel (kein auteur, sondern nur ein metteur-en-scene oder
gar nur ein réalisateur) und darüber hinaus erst recht
nicht. Am tröstlichsten noch, aus Perspektive der Autorenpolitik, dass
Siegel sich ständig herumstritt mit seinen Produzenten, um dann oft
genug interessante Filme zu machen, bei denen man sich dennoch jeweils fragen
kann, ob es sich um "a Siegel film" handelt. Sehr zurecht widmet Mitherausgeber
Michael Esser Siegels Mitarbeitern ein Kapitel, das dann, statt
Anschauungsmaterial über Studioproduktionen als kollektive Arbeit zu
liefern, doch ein wenig sehr an der anekdotischen Oberfläche verbleibt.
Sehr aufschlussreich dagegen Peter von Baghs kurze Hinweise auf Siegels
frühe Jahre als Montage-Handwerker bei Warner und die Folgen: "Als
hätte er nie den Schneideraum bei Warner Brothers verlassen, konzentrierte
sich Siegel auf das Triviale und die Routine und bevorzugte das
Unspektakuläre, Schlichte, deutlich Unkünstlerische. Er scheint
beinahe zärtlich mit der Anonymität der Bilder umzugehen, die oft
fast wie Archivmaterial wirken." Bliebe hinzuzufügen, dass diese
Kunstlosigkeit bei Siegel immer etwas sehr Bewusstes hat, dass der Verzicht
auf ausgetüftelte Komposition Kalkül ist und die Idee dahinterzustehen
scheint, dass die Bilder und die Montage Luft zum Atmen brauchen, das Unscharfe,
das Flirren an den Rändern, das wie zufällig Eingefangene. Es
gehört dazu auch, dass im Bild vieler Siegel-Filme (spätestens
seit "The Killers") die Figur selten als Kraftzentrum erscheint, sondern
als Moment des Raums, der allemal weit mächtiger ist als sie selbst.
Es kann dies der taghelle, heiße Raum der Stadt sein oder der staubige
Wüstensand, das schwüle Haus, in dem Clint Eastwood in "The Beguiled"
zu Tode kommt oder die Finsternis in "Die Flucht von Alcatraz", die den
Betrachter vielfach zwingt, sich auf den im Raumbezug viel diffuseren
Gehörsinn zu verlassen.
Faszinierend, wenngleich, streng genommen, am Rande zur Themaverfehlung,
Ulrich von Bergs Bericht über den wahren Zodiac-Killer und die Obsession
eines Mannes, der ihn (vermutlich) nach langen Jahren, nach dessen Tod, zu
identifizieren vermochte. Unterschiedlich fallen dann, das ist bei der Vielzahl
der Autoren nicht anders zu erwarten, die Texte - jeweils ungefähr zwei
Seiten - zu den einzelnen Filmen aus. Immer wieder der sympathische Versuch,
auch an den vermeintlich oder offenkundig weniger gelungenen Werken ein
punctum auszumachen, mit Barthes gesprochen, etwas, das Lust macht,
den Film zu sehen und sei es vom Rande her. Wer zur Suche nach den teils
kaum aufzutreibenden Filmen verführt werden will, muss Doris Kuhns Text
zu "The Big Steal" lesen oder Ulrich von Bergs Hinweis auf einen erstaunlichen
drinking contest in "China Venture". Michael Esser weckt im Leser
die Sehnsucht nach den Farben von "Annapolis Story" und "Crime in the Streets"
möchte man haben, schon um den jungen John Cassavetes als Anführer
einer Gang zu sehen, in den Straßen der Studiodekoration.
Ein Resümee des Bandes fällt nicht ganz leicht. Er scheint
mit Liebe gemacht und scheint doch mitunter arg beliebig zusammengestellt,
die Artikel bewegen sich im weiten Spektrum zwischen Fandom und
Expertise.Wunderbar in jedem Fall die Bildmontagen (nicht unbedingt die etwas
didaktischen Bildunterschriften). Ein Projekt, soviel steht auch fast, das
man bewundern muss, ein Buch, nach dem keiner gerufen hat und ein Gegenstand,
der das Beste verkörpert, das Hollywood hervorgebracht hat, obwohl
vielleicht nur ein Film zum wirklichen "Meisterwerk" geraten ist. Wenn einen
die Filme Don Siegels - und in Grenzen auch dies Buch - eines lehren, dann
das, solche Kategorien über Bord zu werfen. Das wahre Kino ist immer
auch ein Kino des Unreinen, des Hybriden, das B-Movie, in dem das Klischee
und der Blödsinn auf Momente der Größe stoßen, die
es ohne ihre etwas schmuddelige Umgebung gar nicht gäbe. Dafür
liebt man die Filme von Don Siegel; und in diesem Sinne ist dies eine kongeniale
Würdigung. Ein sympathisches Buch ohne übertriebene Ambitionen,
ein Liebhaber-Projekt im allerbesten Sinne.
(Übrigens: Die interessanteste Literatur zu Don Siegel stammt
vom amerikanischen Filmwissenschaftler und Krimiautor Stuart Kaminsky. Nicht
nur hat er die erste Monografie zu Siegels Werk geschrieben - in Zusammenarbeit
mit dem Regisseur -, er hat Siegel auch zum Helden einer Reihe von
Kriminalromanen gemacht, genauer gesagt: einen Don Siegels Persönlichkeit
nachempfundenen Detektiv mit Namen Abe Lieberman. Eine Hommage ganz einmaliger
Art.)
Mehr zu Don Siegel bei Jump Cut:
Don-Siegel-Seite mit Informationen zu allen und Kritiken
zu vielen seiner Filme |