Das Außergewöhnliche am Werk Rainer Werner Fassbinders
ist sicherlich sein im Verhältnis zur Entstehungsdauer geradezu gigantischer
Umfang. In knapp 13 Jahren drehte der Regiseur, neben seiner Theaterarbeit
und Schauspielerei, über 40 abendfüllende Spielfilme, noch dazu
nicht gerade die schlechtesten. Bei diesem hohen Produktionspensum von
durchschnittlich drei Filmen pro Jahr kann man von einer vollständigen
physischen Veräußerung, ja von Selbstzerstörung sprechen,
die im frühen Tod des Regisseurs ihre vielleicht logische Konsequenz
gefunden hat. Fassbinders zuweilen radikaler Subjektivismus und die Spuren
stets latent vorhandener oder offen zutage tretender Selbstbespiegelung im
filmischen Werk schlugen sich nicht nur nieder im persönlichen
Bekenntnisfilm sondern auch in der Verarbeitung historischer oder literarischer
Sujets. Das ist etwa eine Konstante, die man in Fassbinders heterogenem
uvre ausmachen kann. Die Filmographie lässt die Konstruktion einer
linearen Entwicklung nicht so einfach zu: auf die Selbstreflexion
Warnung vor einer heiligen Nutte (1970) folgt das Volksstück
Pioniere in Ingolstadt (1970), auf den Publikumserfolg Die
Ehe der Maria Braun (1978) folgt das Transsexuellen-Melodram In
einem Jahr mit 13 Monden (1978), auf das UFA-Star-Drama Die Sehnsucht
der Veronika Voss (1982) folgt als sein letzter Film die surreale
Genet-Verfilmung Querelle (1982).
Der Filmjournalist Michael Töteberg hat Leben und Werk Rainer
Werner Fassbinders für die Reihe Rowohlt Monographie
dargestellt. Besonders erfreulich an diesem, wie alle Bände der
verdienstvollen Reihe zwar knappen, aber keineswegs verkürzenden Portrait
ist Tötebergs Gewichtung des Fassbinderschen Werkes und nicht
des skandalträchtigen Privatlebens. Natürlich findet der biographische
Hintergrund des Künstlers seine Berücksichtigung, aber eben nur
da, wo Persönliches untrennbar mit dem künstlerischen Ausdruck
verbunden ist. Zu Fassbinders plötzlichem Tod im Alter von nur 37 Jahren
genügt dem Verfasser ein Satz im nüchternen Agenturstil.
Viel eher interessiert Töteberg etwa die sich oft unter chaotischen
Umständen vollziehende Realisierung der Film- und Theaterprojekte:
Trotz negativer Erfahrungen schloss er [Fassbinder] immer wieder
höchst ungünstige Verträge, paktierte mit dubiosen
Geschäftemachern, ließ sich auf nicht abgesicherte Projekte
ein. Das gilt vor allem für die Filme, die er mit seiner als
Alternative zur bürgerlichen Produktionsweise gedachten
antiteater-Crew realisierte. Nur durch die Ignoranz gegenüber
einer soliden Finanzierung und der rigorosen Ausbeutung des folgsamen Ensembles
konnte die enorme Produktivität erreicht werden: In einem
explosionsartigen Produktionsrausch hatte Fassbinder mit der antiteater-Truppe
in eineinhalb Jahren zehn Filme, zwei Hörspiele und vier Theaterstücke
erarbeitet. Diese Arbeitsweise mündete im Debakel um den misslungenen,
auf Pump gedrehten Film Withy (1970), der gar nicht erst den
Weg in die Kinos fand. Als Schlussstrich und Reflexion dieser Phase steht
schließlich die Warnung vor einer heiligen Nutte, in der
das Scheitern des Prinzips Chaos macht Spaß thematisiert
wurde. Statt offener Strukturen entstand ein System von erotischen
Beziehungen und Abhängigkeiten. Statt Kreativität freizusetzen,
brach sich die Lust an der Destruktion Bahn. Statt freier Menschen gebar
das Experiment Monster - Vampire, die ihn aussaugen, klagt der Regisseur
im Film.
Als er dann und mit ihm der deutsche Film einen internationalen Namen
hatte, kam auch das Big Budget, beispielsweise in Form der mit 13 Millionen
DM unerhört teuren TV-Adaption Berlin Alexanderplatz (1979/80),
die das Massenpublikum durch eine unkonventionelle Fersehästhetik und
den Verzicht auf eine tradierte Dramaturgie irritierte. Mit seinem letzten
Film Querelle sieht Töteberg den Regisseur wieder zu seinen
Theateranfängen zurückgekehrt. Der rohe süddeutsche
schwule Fettkloß (taz!) nimmt sich der Verfilmung
eines amoralischen Skandalromans an - die Finanzierung einer
solchen Produktion durch Fördergremien verlief naturgemäß
nicht reibungslos - und schafft in hochartifizieller Studioatmosphäre
ein hermetisches Werk, das sich trotz Staraufgebot und durch den
reißerischen Untertitel Der Pakt mit dem Teufel nur schlecht
publikumswirksam vermarkten ließ .
Der Skandal um das Theaterstück Der Müll, die Stadt
und der Tod wird von Töteberg in einem eigenen Kapitel abgehandelt.
Die Geschichte des von einigen als antisemitisch verurteilten, und bis heute
in Deutschland nicht, dafür aber in Tel Aviv spielbaren Stücks
erinnert in ihrer Grundkonstellation an jüngste Debatten. Der Eklat
um die Frankfurter Aufführung von 1985 markiert eine Zäsur
in der Kulturgeschichte der Bundesrepublik, aber auch in der Geschichte des
Verhältnisses zwischen Juden und Deutschen: Erstmals hatte die
Jüdische Gemeinde, die bislang unsichtbar agierte, offen für ihre
Belange gekämpft und Widerstand geleistet.
Zwei unter der Rubrik Zeugnisse zu findenden Zitate
prominenter Zeitgenossen Fassbinders geben Aufschluß über die
ambivalente Rezeptionsmöglichkeiten seines Werks und vermitteln zugleich
die Unmöglichkeit der eindeutigen Verortung eines Regisseurs, der
seinen eigenen Weg, manchmal in zwei oder drei verschiedene Richtungen
zur gleichen Zeit ging. Botho Strauß: Für jemanden
wie Fassbinder gibt es einen intellektuellen Begriff von Kitsch nicht mehr,
sein Manierismus hat nichts gemein mit dem Zitierverfahren in der Kunst der
letzten Jahre. Dagegen Rolf Dieter Brinkmann: Erinnere Dich an
den doofen, kitschigen Film Händler der vier Jahreszeiten,
den wir da in der Universität eines Abends Marihuana rauchend gesehen
haben, wie wir gelacht haben über den stumpfen feierlich mit der Kamera
und den Arrangements vorgetragenen Kitsch, die dumpfe deutsche Mentalität,
die daherschreitet und Bedeutsamkeiten fabriziert, wie unlebendig doch alles
war, richtiger Kitsch, Loreroman, der durch Stilisierung ungeheuer
lächerlich modern aufgeputzt worden war.
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