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Feine Risse in der Wirklichkeit

Virtuelle Welten, mysthische Sphären, Prinzip Realismus: Im Kinojahr 1999 hieß die Frage: „Was ist wirklich?“

Von Christoph Elles

Das Leben, das wir kennen, ist virtuell. Es wird erzeugt von einem gigantischen Computer, der „Matrix“. Wir Menschen schmoren leblos in schleimigen Kokons, währenddessen spielt sich unser Dasein in unseren Köpfen ab. Das wahre Leben liegt unter den Trümmern einer zerstörten Zivilisation verborgen.

„Was ist wirklich?“: Diese Frage steht deutlich über dem Kinojahr 1999. Kein Film hat sie so beklemmend beantwortet wie eben jener „Matrix“ der Brüder Andy und Larry Wachowski („Bound - Gefesselt“). Die Konkurrenz blieb überladen („eXistenZ“) oder schlicht langweilig („The 13th Floor“) dahinter zurück. Den Brüdern Wachowski ist Langeweile ein Fremdwort. Ihre durchdachte Horrorvision der unbewussten virtuellen Existenz reichte den Wunderkindern nicht aus. Mit Actionszenen von nie gesehener technischer Brillanz verfeinerten sie die Ästhetik des Hongkong-Kinos zu einem Modell der Zukunft: Kino für ein neues Jahrtausend.

Andere suchten statt in künstlichen Welten in mysthischen Sphären nach Rissen in der Wirklichkeit. Die Botschaft blieb die Gleiche: Nichts ist, wie es scheint. Und die Wahrheit ist irgendwo da draußen. Diese Kino-Ausläufer der Mystery-Welle brachten jedoch kaum mehr als eine schlaffe Brise: das dröhnende Arnie-Vehikel „End of Days“, die unausgegorene Horror-Schmonzette „The Astronaut’s Wife“ oder Roman Polanskis desaströse Satanssuche „Die neun Pforten“. Das Übersinnliche mit dem Tiefsinnigen verbinden konnte erst M. Night Shyamalans „The Sixth Sense“. Der bewegende Film über einen Jungen, der die Toten sieht, und seinen Psychiater (Bruce Willis), dem das eigene Leben aus den Fugen gerät, holt den Horror ganz nah an unsere Herzen. Grusel als Meditation über Tod und Verlust.

Nicht so zart und sensibel, sondern mit knallhartem Realismus thematisierte ein anderer bemerkenswerter Film die Zerbrechlichkeit unserer Wahrnehmung. Wirklichkeit spiegelte sich bei der gefälschten Hexen-Doku „Blair Witch Project“ in verwackelten, fehlbelichteten Bildern, ungeschminkten Gesichtern und rohen Schnittfolgen. Was Ihr seht, ist real, sagt der Film. Das Grauen, das er dann in diese Wirklichkeit einziehen lässt, wirkt um so furchterregender.

Realismus um jeden Preis, wenn auch fernab vom Übernatürlichen, verwirklichen auch die Unterzeichner des „Dogma 95“. Mit Handkamera und natürlichem Licht, ohne optische Spielereien und nachproduzierten Ton wollen sie im Zeitalter digitaler Perfektion ein Kino des wahren Lebens erschaffen: mal echt und ehrlich wie in „Mifune“, mal spartanisch, dilettantisch bis zur Ungenießbarkeit wie bei „Idioten“. Auch Thomas Vinterbergs Meisterwerk „Das Fest“ um eine Familienfeier, die mit der Enttarnung des Patriarchen als Kinderschänder endet, wirkt wie ein krankes Home-Video. Direkt, kompromisslos und schockierend bringt der Dogma-Film die Wirklichkeit einer Familie aus den Fugen. Auch hier war nichts, wie es vor der Feier schien. Die Monster lauern im Verborgenen, hinter der heilen Fassade.

Kein Interesse am Durchbrechen der Oberfläche hatten dagegen die unsäglichen Teenie-Filme des Jahres 1999. „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt einen Film gesehen habe, der nicht mit einem Highschool-Abschlussball endet“, bemerkte der US-Kritiker Roger Ebert ironisch. Von Romanzen wie „Eine wie eine“ über Komödien wie „Tötet Mrs. Tingle“ bis hin zu „Scream“-Epigonen à la „Düstere Legenden“ galten stets die gleichen Prinzipien: Teenager sind schön und reich, keimfrei und glücklich. Sie reden wie die Therapeuten ihrer Eltern und handeln wie Fantasien eines unfähigen Drehbuchautors. Keine Andeutung von Wahrhaftigkeit, Witz oder gar Mut schleicht sich in diese filmischen Seifenopern, die das junge Publikum goutierte wie kein anderes Genre.

Auch fernab vom wieder entdeckten Teenie-Gesülze lief in Hollywood alles nach Plan: „Star Wars - Episode 1“ wurde erfolgreichster Film, außerdem „Die Mumie“, „Das Geisterschloss“, „Deep Blue Sea“, „Notting Hill“, „Wild Wild West“: Nur selten sprengte jemand die Ketten der Konvention; die Wachowskis mit „Matrix“, David Fincher mit „Fight Club“, Tony Kaye mit „American History X“. Das war’s. Solange das Publikum willig ins Kino springt, wird niemand das Prinzip „Konfektionsware“ ändern. Auch nicht die Academy: Statt den so poetischen wie brutalen Kriegsfilm „Der schmale Grat“ von Terrence Malick oder zumindest Spielbergs „Soldat James Ryan“ auszuzeichnen, gingen die wichtigsten Oscars an eine belanglose Komödie: „Shakespeare in Love“. Statt sich ernsthaft mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen, entzog man sich mit leichtem Amusement. Oder nicht mal das. Anspruch wird offenbar nur geduldet, wenn er aus Europa kommt: Das belegt der Oscar-Triumph von Roberto Benignis grandioser Holocaust-Komödie „Das Leben ist schön“. Benignis überschwänglicher Auftritt bei der Verleihung machte nochmals deutlich, wie ritualisiert und steif sich Hollywoods Filmwelt derzeit präsentiert.

Neue Wege suchte der deutsche Film. Sein Bemühen um Wahrhaftigkeit scheiterte jedoch meist an kopflastigen Drehbüchern und Regisseuren, die weder beobachten noch erzählen können. Immerhin: Selbst zwiespältige Werke wie „Absolute Giganten“, „St. Pauli Nacht“ oder „Helden wie wir“ stehen für eine Gegenbewegung zum Komödien-Schrott der letzten Jahre und als Zeichen gegen die Amerikanisierung, die mit Filmen wie „Lola rennt“ oder „14 Tage lebenslänglich“ ihren Höhepunkt erreicht hatte. Völlig überzeugen konnte nur ein deutscher Film: die aus dem prallen Leben gegriffene Ruhrpott-Komödie „Bang Boom Bang“ ließ mit Hilfe skurriler Typen und absurder Situation alle Kopf-Arbeiten deutscher Filmemacher hinter sich und kann getrost als lustigster Film des Jahres 1999 gelten.

Bleiben noch die Werke, die sich allen Trends und Kategorien entzogen haben, die zeitlos gut und unspektakulär überzeugend waren: John Carpenters dreckiger Horror-Western „Vampire“, Brian Helgelands schnörkelloser Thriller „Payback“, John Mc Tiernans rauer Abenteuerfilm „Der 13te Krieger“ und Sam Raimis melancholischer Krimi „Ein einfacher Plan“. Letzerer erzählt die Geschichte dreier Provinzler, deren Leben mit unausweichlicher Dramatik in Scherben geht, nachdem sie vier Millionen Dollar im Wald gefunden und behalten haben. Der Film bleibt in seiner Einfachheit, Echtheit und Stille länger im Gedächtnis als jeder andere des vergangenen Kinojahres. Herausragende Schauspieler (Billy Bob Thornton, Bill Paxton, Bridget Fonda), ein Drehbuch voller Tragik, Humor und Bitterkeit, ein Regisseur mit einem sicheren Gespür für Atmosphäre: Manchmal ist großes, altmodisches Kino dann doch wirklicher, wichtiger und wuchtiger als jede Innovation.

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Vinterberg - Fest - Video

Das Fest. Regie: Thomas Vinterberg. Dänemark 1999

DM 39.95

Brian Helgeland: Payback. USA 1999


(DM 39.95, 49.95, 59.95)

David FincherDavid Fincher im Lexikon der Regisseure: Fight Club. USA 1999

[Image]

John Carpenter: Vampires. USA 1999

[Image]

Sam Raimi: Ein einfacher Plan. USA 1999

(DM 49.95)

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Larry und Andy Wachowsky: The Matrix. USA 1999

(DM 39.95)

[Image]

Roberto Benigni: Das Leben ist schön. Italien 1998