"Avalon" erschafft, in wunderbarer Unvollständigkeit,
eine Welt. Und in dieser eine andere und noch eine andere. "Avalon" zieht
Linien zwischen virtuellen und anderen Wirklichkeiten, aber es geht nicht
um das Ziehen dieser Linien, sondern um die Wirklichkeiten in ihrer filmischen,
also täuschenden Materialität. Den Augen zu greifen gegeben wird
die zauberische Auflösung der Spielfigur ins Bild, das Zerscherben der
Toten im Spiel. Zur Materialisierung des Virtuellen gehören das Digitale
seiner Effekte, die Entfärbung des Realen, die Unbeweglichkeit der Menschen
auf den retrosozialistischen Straßen Polens und vor allem das Wunder
der Farbigkeit der Ebene "Special A". Das Rot, das auch nach Blut verlangt,
der Gesang im Opernhaus und draußen, im Freien, das ein Freies ist
und auch nicht, das Duell der Spieler um Leben, Tod und Virtualität.
Und, andererseits, das Fressen, das Kotzen.
"Avalon" erzählt von einer Queste, gibt sich den Rahmen gängiger
Virtualitätsszenarien und sucht doch die Stille eher als die Aktion,
die Leere eher als die Fülle, das Bild eher als seine Erläuterung,
die Meditation eher als den Diskurs. Transformationen, Metamorphosen,
Verwandlungen, auf den Nullpunkt zu. Diese Bewegungen, ein Streben, ein Abwenden,
ein Stillestehen im Staunen. Das ikonische Bild - Ash mit der Panzerfaust
- nicht als allegorisch gefülltes, sondern der Riss in der Aktion. Das
Einfrieren, im Bild. Die Kälte der Entfärbung. Und der Schock dann
des Sturzes zurück in die Farbe. So fremd war das Vertrauteste selten,
als der Ort, an den sich eine sehnt, der Ort, von dem es kein Zurück
gibt und nur die Rettung ins Weiter eines letzten Bildes, in dem sich
Rätsel und Erlösung, das Ende und die Fortsetzung des Spiels
unentzifferbar überlagern zum digitalen Flirren eines geisterhaften
Mädchens. Wie wirklich ist die Pistole in der Hand der Spielerin Ash?
(Lässt sich die Frage noch stellen, an diesem Ende, nach Murphys Tod?)
Bezaubernd der Mangel an Zuviel in "Avalon". Erklärt wird nicht einmal
das Nötigste, gerade dadurch entstehen hier Welten. Die Figuren, Ash
zuallererst, bleiben uns und sich ein Rätsel. Die Spielerin ist eine
Spielerin. Der Hund ist ein Hund. Die Schnittstelle ist eine Schnittstelle:
Ob sie Teil des Systems ist oder ein Außen, macht keinen Unterschied.
Nicht die Linien, die gezogen werden, interessieren den Film, sondern die
Wirklichkeiten als täuschende. Vernarbungen der Dinge oder ihrer
Verhältnisse zueinander: das Verharren auf dem fressenden, kauenden
Mund, die Zubereitung der Hundemahlzeit. Zu den Beziehungen, in die die Dinge,
die geschehen, in die die Gegenstände, die wir sehen, zu setzen wären,
macht der Film keine Vorschriften. Ein wirklicher Hund wird zum Bild vom
Hund, das an den Ort der Entscheidung führt, die sich im triumphalen
Operngesang von Avalon wieder aufhebt, aufschiebt, geistwärts.
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Mamoru Oshii: Ghost in the Shell
(Japan 1995)
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