"Blueberry" ist der beste französische Western-Comic. Big Deal,
sagen Sie. Ich kenne ihn nur vom Durchblättern, aber viele Kenner
schätzen ihn sehr. Außerdem ist "Blueberry" die realistischste
Seite des großen Comic-Künstlers Moebius, der in die
unterschiedlichsten Stilarten, Genres, Projekte zerfällt. "Blueberry"
ist das Werk von Jean Giraud (richtiger Name), nicht von Moebius (Pseudonym)
oder Gir (anderes Pseudonym). Moebius ist - oft, auch nicht immer - ein
Experimentator (siehe etwa sein psychedelisches 70er-Jahre-Hauptwerk "Hermetische
Garage des Jerry Cornelius"), der tief in esoterische Gefilde abgedriftet
ist, schon gar in Zusammenarbeit mit dem vielleicht begnadeten Irren Alejandro
Jodorowsky (vgl. El Topo), für
den er eine Weile lang die Incal-Serie zeichnete und für dessen
Wüstenplanet-Verfilmung er das Design entwarf. Nur kam diese Verfilmung
nie zustande und David Lynch setzte das Projekt dann in einzigartiger Weise
in den Sand. Der Giraud von "Blueberry" war stilistisch immer der
konventionellste. Moebius' Fantasy, selbst keineswegs einheitlich, lebt von
der Durchdringung des Organischen und des Mechanischen, von kargen
Wüstenszenarien und fantastischen Kristallen und Ornamenten. Girauds
Reimagination des amerikanischen Westens ist phantasievoll, aber sie verbleibt
in den Grenzen ihres Genres. Moebius, sollte man also meinen, tut für
eine Verfilmung des "Blueberry"-Comic nichts zur Sache.
(Hier
ein paar Eindrücke.)
Dann aber hat man die Rechnung ohne Jan Kounen gemacht, der ein Mann mit
einer Vision ist. Er ging in die Wüste und wollte nicht wiederkommen,
fabuliert das Presseheft. Er war dem Schamanismus verfallen und das Kino
interessierte ihn nicht mehr. Kounen hatte als Werbefilmer begonnen, mit
"Dobermann" für Aufsehen gesorgt, den ich nicht kenne, der den Ruf eines
zynischen und gewalttätigen Bravourstücks hat. Die Sache mit dem
Schamanismus als Geschichte einer Läuterung vielleicht (man fragt sich
ja, worauf solche Legenden hinauslaufen), statt eines am Gegenstand
desinteressierten, ins eigene Können verliebten Regisseurs nun einer,
dem es existenziell ernst ist. Der Schamanismus jedenfalls ist im Film und
nicht zum Spaß. Kounen hat - mit seinen Koautoren, darunter Polanski-Autor
Gerard Brach - "Blueberry" genommen und randvoll gefüllt mit esoterischem
Indianerkram. Eine freie Adaption, heißt es. Eine "Jan Kounen Session"
heißt es. Den Fans des Comics dürften die Haare zu Berge stehen.
Ihr Held trinkt Drogentränke und channelt Carlos Castaneda. Wenn Sie
Castaneda gelesen haben, dann kennen Sie das Zeug: Angstvisionen, Flug und
Treiben im Haltlosen. Und man kennt auch die Bilder, das ist das Bedauerliche
daran. CGI des Matrix-Kalibers. Krabbeltiere zwischen Mechanischem und
Tierischem, übereinander geblendet, die Kamera fliegt hindurch und
nähm dich gerne mit auf diesen Trip. Aber zum Trip gehörte das
Unbekannte, das Verblüffende oder die Droge, die dafür sorgt, dass
du glaubst, was du siehst. Hier siehst du nur, was du kennst.
Was du nicht kennst, ist die Mischung. Ein Western, der ein paar Motive des
Genres zusammenklaubt, die Rache, die Grenze zwischen westlicher Zivilisation
und Indianischem, und sie vollpumpt mit der Droge, die Spiritualität
heißt. Der Plot fällt dabei in Stücke, aber dagegen spricht
nichts. Das Bemühen, gelegentlich, die Einzelteile
zusammenzuschütteln, aber es ist nicht unbedingt ein ganzer Sinn, der
dabei herauskommt. Sinnstückchen en masse, das ja. Und diese
Sinnstückchen werden auf den Trip geschickt, dessen Bilder du kennst.
Auch von Moebius. Das ist das Verblüffende: Lichtkringel,
Wüstenbilder, fantastische Organismen, das ist an Moebius orientiert.
Kounen hat, sei es ergänzt durch redlich erworbene Second-Hand-Esoterik
und den neueren Stand der CGI-Fantasy-Ästhetik, "Blueberry" mit Moebius
infiziert. Und das wuchert jetzt, tief hinein in die Geschichte, tief hinein
in die Botschaft. Blueberry sucht, findet, bekämpft seinen inneren
Dämon. Seine Vergangenheit holt ihn ein, im Drogenrausch, der die Wahrheit
enthüllt. Die Kounen-Session ist eine Therapie-Sitzung. Die
Verkörperung des Bösen, die Michael Madsen hier spielt, ist nicht
die Verkörperung des Bösen, sondern die Verkörperung der
Verdrängung der eigenen Vergangenheit. Ein scharfkantiges Sinnstück,
weiß Gott. Blueberry muss da durch, wir müssen da durch, ein Western
ist das nicht. Der Film ist kein Triumph, er ist prätentiös, er
ist oft langweilig. Aber er will so viel. Er will viel Falsches. Und er
scheitert. Aber man muss so viel erst mal wollen können. Und sein Scheitern
macht Eindruck.
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