Das
Balzac-Projekt
Der
Versuch, den Mount Everest der Literatur des 19. Jahrhunderts zu bezwingen:
vor aller Augen versucht sich unser Kritiker durch Die menschliche Komödie
von Balzac zu lesen. Mehr als 70 Romane, abertausende von Seiten mit über
2000 Charakteren. Beginn: Mai 2001, bereits besprochen: Der erste
Band.
Das Poe-Projekt
Amerikanische Literatur
Jonathan Franzen:
Korrekturen
Franzen liefert keine Individuen, sondern aufgespießte und
scheinhaft reanimierte Exempel für dies und das. "Korrekturen" ist ein
Romanimitat und kein Roman. Er ist synthetischer als die avantgardistischste
Fiktion, aber er verleugnet es. Er ist nicht Fisch und nicht Fleisch und
doch stürzt sich alle Welt mit Heißhunger darauf
Stewart O'Nan: Die Speed
Queen
Zwar überlässt es O'Nan jedem Leser, eigene Schlüsse
zu ziehen, die Phänomenologie eines white trash-Lebens zwischen
grotesk subtiler Fast-Food- Differenzierungsfähigkeit und
Automarken-Kennerschaft und der Flucht in die Drogen, der Unfähigkeit
zu Pragmatismus im Alltag jedoch ist bis in kleinste Details genau. An der
Stelle wird freilich auch das Problem des Romans am deutlichsten: Man sieht
zu gut und zu deutlich, wie er gearbeitet ist, aus welchen Ingredienzien
sich diese Selberlebensbeschreibung zusammensetzt. Der Autor ist, Satz für
Satz, ein Könner. Mehr aber dann auch wieder nicht.
Don DeLillo:
Körperzeit
Don DeLillo ist in seinem bisherigen Werk immer wieder zwischen mehr
(Libra, Underworld) und weniger (White Noise, Mao II) realistischen Romanen
hin- und hergewechselt. Keiner davon kann aber einen rechten Vorgeschmack
auf seinen neuesten, soeben erschienen Kurzroman The Body Artist
vermitteln. Eine derart spröde, handlungsarme und
erzählperspektivisch eingeschränkte Geschichte hat DeLillo noch
nie erzählt.
James Dickey: Flucht zum weissen
Meer
Zuletzt
wird Sergeant Muldrow das Land der letzten Dinge aus Schnee und Eis erreicht
haben, wie schon bei Poes Arthur Gordon Pym wird die äußerste
Grenze des Wirklichen überschritten, die Grenze, an der auch die Sprache
ihr Ende findet: "Wenn du mich hörst, dann sag einfach, es war eine
Stimme im Wind: eine Stimme ohne Stimme, eine lautlose Stimme."
Frank McCourt:
Ein rundherum tolles Land
Bezeichnenderweise
hat das Buch seine besten Momente wieder in der Beschreibung des
Verhältnisses zur ebenfalls nach New York übergesiedelten Mutter.
Gnadenlosigkeit und Liebe halten sich hier - komplex wie sonst kaum - die
Waage, und endlich entsteht auch im Leser jenes Durcheinander von Mitgefühl
und Ablehnung, das er über weite Strecken vermissen musste
Russell Banks: John Brown, mein
Vater.
Der
Wahrheit der Geschichtsschreibung setzt Russell Banks mit Owen Brown eine
andere, privatere Form von Gerechtigkeit entgegen. Im Grunde ist das
erzähltechnisch wie geschichtsphilosophisch einigermaßen altmodisch,
aber das Können des Autors lässt einen dann fragen, ob die Evokationen,
deren die Literatur fähig ist, mit allem, was an Verlebendigung
dazugehört, nicht, so altmodisch es scheinen mag, die Seite ihres
Geschäfts sind, die gerade nicht veraltet.
Neal Stephenson:
Cryptonomicon
Es geht, im großen wie im kleinen, um Entschlüsselbarkeit.
Die Welt als weißes Rauschen, dem es durch Einsatz der Vernunft ihren
Sinn abzuringen gilt. Jeder Erfolg ist begrenzt und die Grenzen dieses Modells
im Ungang mit der Welt werden schmerzlich deutlich: in jedem Sozialkontakt.
Paula Fox: Was am Ende
bleibt
Selbst
zur Protagonistin hält der Roman Distanz. Ihre leise Verzweiflung steckt
in jedem einzelnen Satz. Der Grund liegt in den präzise und mitleidlos
beschriebenen Verhältnissen. Hoffnung gibt es keine. Versöhnung
wäre Lüge. Der Roman blickt der Verzweiflung am Alltag ins
Auge.
Cormac McCarthy: All the Pretty
Horses
Cormac McCarthys Sprache passt seinen Figuren, aber
auch den Dingen, die sie erleben, wie angegossen. Beinahe unübertrefflich
sind die Dialoge, die einen ans Authentische angelehnten Südstaaten-Slang
erfunden haben, in denen kein Wort zuviel (oder zuwenig) ist. |