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Hong Sang-Soo: La vierge mise à nu par ses prétendants (Korea 2000)
 

Kritik von Ekkehard Knörer 

Zufall, Absicht. Smoking, No Smoking. In der Luft hängt die Gondel, Allegorie einer Geschichte, die am Punkt ihres Einsatzes verdoppelt wird, aufgefächert, in Möglichkeiten. Die Handschuhe, die eine Verbindung herstellen, eine von vielen möglichen, zwei von vielen möglichen. Ein Bruder und noch einer. Eine Dreiecksgeschichte. Der Maler, der einen Film drehen will, seine Mitarbeiterin, sein guter Freund aus frühen Tagen. Die Art, in der die drei, einmal so und einmal so in Beziehung gesetzt werden, ist eine Sache der höheren Mathematik. Die Fakten addieren sich nicht zur geschlossenen Figurenerklärung. Erratische Hinzufügungen stellen das Bild, das man sich machen könnte, in Frage. Was ist mit dem Bruder, der zu seiner Schwester ins Bett kommt? Wie ging das aus, die Entkleidung der Jungfrau durch den Werber um ihre Gunst?

Es trifft sich, vor der Gabelung, nach der Gabelung, im Hotel. Die Liebe, erklärt das Insert, als verstehe es sich von selbst, heilt den narrativen wie den figurenpsychologischen Bruch der Geschichte, sie endet, welch ein Optimismus nicht nur einfach so und aus Zufall, sondern mit Notwendigkeit glücklich. In der Liebe führt jeder Umweg nach Rom. Zärtlich entjungfert der junge Mann die Frau fürs Leben. So endet es und muss es enden, egal, was geschehen ist. Die Königskinder, die vom Schicksal oder ihren Entscheidungen oder ihrem Zögern oder ihrem Nachgeben einmal so und einmal anders vorangewirbelt werden, finden zueinander. Sie gehen übers Eis, das nicht bricht.

Weder das Aleatorische noch das Allgemeinmenschliche betont Hang San-Soos Film - das ist wohl das Ungewöhnlichste daran. Es interessieren ihn die Details, der Blick auf Gesten, in Gesichter, der Palast in der Stadt und wie klein er ist. Die Ellipse auch, das Elliptische. Es erklärt sich, anders als in vergleichbaren experimentellen Narrationsanordnungen, das eine nie restlos aus dem anderen. Mit Ayckborne hat das nichts zu tun, mit Rohmer schon eher. Die Gelegenheiten, die ein Bruch sein könnten, der alles verändert, sind über die Geschichte beinahe gleichmäßig verteilt. Die Geschichte wird so zum Netzwerk der Potenzialitäten, des nicht und des doch Verwirklichten. Was in Dominik Grafs "Der Felsen" raunend evoziert wird, bleibt hier impliziert im bloßen Fortgang. Die Gabelung als Verdopplung stellt das aus, als Struktur aber bleibt das gültig für jeden Moment, auch, gerade in seiner Unscheinbarkeit. Vielleicht kann man es spielerischen Realismus nennen, ohne die Anwandlungen auktorialer Grausamkeit, die es bei Rohmer immer wieder gibt. Nur in den Inserts kommt es hier zu auktorialen Gesten. Als Einbruch, der sie dann sind, scheinen sie sich aber selbst schon wieder ironisch fast aufzuheben.

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