Tony Scott: Staatsfeind Nummer Eins (USA 1998)

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Staatsfeind Nummer Eins

Regie: Tony Scott

USA 1998

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Tony Scott: Staatsfeind Nummer Eins (USA 1998)
Kritik von Ekkehard Knörer
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Die neue Bruckheimer-Produktion 'Staatsfeind Nr.1' führt den Alptraum einer vernetzten Welt vor. Sie ist das Experiment der Sichtbarmachung dessen, was als Paranoiastruktur sich aus der Perspektive der Beteiligten nur in bedrohlichen Zeichen zeigt. Wir aber, die Zuschauer-Götter, wissen immer genauestens über alles bescheid, sehen von der ersten Sekunde an alles, die Hintergründe, die Vordergründe, die Protagonisten und ihre Antagonisten. 'Staatsfeind Nr.1' ist das Experiment eines gänzlich durchsichtigen Films über die Gefahr totaler Durchsichtigkeit. Es gilt, ein bißchen zu entwirren, oder auf verschiedene Ebenen zu bringen, was Tony Scott in bewährter Flächigkeit als Actionmovie präsentiert.

Diese Flächigkeit ist das Resultat technischer Virtuosität: des kongenialen Zusammenspiels von rasantem Schnitt, beweglicher Kamera und der dynamischen Musik von Hans Zimmer. Der Film ist komplex nicht in den Denkbewegungen, die er inszeniert (ganz im Gegenteil), sondern darin, daß Denken fast vollständig durch die Komplexität dessen substituiert ist, was an den Ort der Sinnesorgane des Rezipienten projiziert ist - und nicht auf ein Dahinter oder Danach. Eine Ästhetik unmittelbarer Evidenz, die mit ihren synästhetischen Wirkungen steht und fällt: der Zuschauer wird an der ganz kurzen Leine geführt. Das gilt freilich auch für rein special-effects-orientierte Actionspektakel, eine Ästhetik des möglichst heftigen Schocks, dessen Wirkung Implosion ist und nur durch einen neuen Schock abgelöst werden kann.

Simpson/Bruckheimer-Produktionen (Don Simpson ist tot, aber im Vorspann bleibt sein Name genannt) aber lassen sich auf ein solch rein effekthaftes Kino nicht reduzieren, egal ob es nun mehr kracht (wie in Armageddon) oder weniger (wie hier). Dafür sorgt eine große handwerkliche Sorgfalt, die, allen Wahrscheinlichkeitskrämern zum Trotz, weniger eine logische ist (derart groß gedachte Plots haben immer logische Löcher - ja, sie leben, wie Hitchcock wußte, geradezu davon) als eine formale. Dazu gehört, aber erst in zweiter Linie, die Auswahl der Schauspieler: hier wie in allen anderen Simpson/Bruckheimer-Filmen auch sind die Darsteller sensationell gut. Natürlich sind dramatische Verselbständigungen vermieden, wären auch höchst kontraproduktiv, aber es gibt stets den gewissen Überschuß über das bloße plot-Skelett, das (scheinbare) Zusatzvergnügen, Gene Hackmans minimalistisches Spiel zu bewundern, Will Smiths Mischung aus Ahnungslosigkeit und Coolness. Selbstverständlich haben wir noch lange keine 'round characters' vor uns (das wäre für diese Filme wie für die von Hitch- cock auch fatal), selbstverständlich sind all diese Figuren nahe bis zur Verwechselbarkeit an gängigen Hollywood-Klischees, aber sie gehen eben nicht ganz darin auf.

Die formale Exzellenz dieser Filme aber besteht in erster Linie darin, wie sie ihre Thematik mit allen Mitteln der Kunst den Sinnen aufzwingen. 'Staatsfeind Nr.1' besitzt, man mag es kaum glauben, einen aus der Novellentechnik vertrauten guten alten Falken, der sogar auch fliegt, nur ist es, zeitgemäß genug, ein Satellit, unaufdringlich symbolisch in seiner Realität als (archimedischer) Beobachtungspunkt, dem nicht zu entgehen ist, an dem die Fäden der Vernetzung, Bild- wie Symbolstränge, in diesem Film zusammenlaufen. Weniger penetrant als der nicht unverwandte 'Spiel auf Zeit' von de Palma - und vor allem mit global (oder wenigstens auf die USA) ausgeweiteter Paranoia inszeniert der Film die Welt als lückenlos mit Kameras durchsetzt. Es gibt kein Entkommen vor den Bildern. Daraus folgt aber auch, daß der Film weniger Kulturkritik ist als Allegorie seiner selbst, des Kinos. Weniger des Kinos schlechthin, sondern genau der Sorte Hollywood-Kino, die er auf diese Weise doppelt und dreifach repräsentiert, eines Kinos des gnadenlosen Voyeurismus der abgeschnittenen Lider. Eines Kinos, das keine Lücke läßt zwischen seinen Bildern und Tönen, dessen Flächigkeit jeden Griff in ein Dahinter ins Leere laufen läßt.

Der plot besteht denn auch in der Initiation des zunächst medien-naiven Helden Will Smith in diese Welt ständigen Abgebildetseins. Aufklärung ist der Schritt zum Wissen um die Unentrinnbarkeit des Systems. Der nächst Schritt, verkörpert im Renegaten Brill (Gene Hackman), besteht darin, triumphierender Teil des Systems zu werden, indem man dessen eigene Waffen zu benutzen lernt - Manipulation gegen Manipulation. Moral ist keine Frage des Unschuldigbleibens, sondern nur noch von stark und schwach. Daher werden diese Filme immer weiter die Geschichte von David gegen Goliath erzählen (und selbst Bruce Willis wird zum David, wenn der Goliath ein Komet ist) und David wird immer weiter gewinnen - nie aber wird eine utopische Unschuld restituiert werden. Der Verzicht auf die Illusion der Möglichkeit dieser Unschuld zeichnet das Bruckheimer-Kino aus, die Fähigkeit, Darstellungsweisen für die Unentrinnbarkeit einer postutopischen Welt zu finden. Und das ist eine Reflexionsstufe, hinter die Hollywood eigentlich nicht mehr zurückfallen dürfte. Allein, die nächste Grisham-Verfilmung kommt bestimmt.

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