Die neue Bruckheimer-Produktion 'Staatsfeind
Nr.1' führt den Alptraum einer vernetzten Welt vor. Sie ist das Experiment
der Sichtbarmachung dessen, was als Paranoiastruktur sich aus der Perspektive
der Beteiligten nur in bedrohlichen Zeichen zeigt. Wir aber, die
Zuschauer-Götter, wissen immer genauestens über alles bescheid,
sehen von der ersten Sekunde an alles, die Hintergründe, die
Vordergründe, die Protagonisten und ihre Antagonisten. 'Staatsfeind
Nr.1' ist das Experiment eines gänzlich durchsichtigen Films über
die Gefahr totaler Durchsichtigkeit. Es gilt, ein bißchen zu entwirren,
oder auf verschiedene Ebenen zu bringen, was Tony Scott in bewährter
Flächigkeit als Actionmovie präsentiert.
Diese Flächigkeit ist das Resultat technischer
Virtuosität: des kongenialen Zusammenspiels von rasantem Schnitt,
beweglicher Kamera und der dynamischen Musik von Hans Zimmer. Der Film ist
komplex nicht in den Denkbewegungen, die er inszeniert (ganz im Gegenteil),
sondern darin, daß Denken fast vollständig durch die Komplexität
dessen substituiert ist, was an den Ort der Sinnesorgane des Rezipienten
projiziert ist - und nicht auf ein Dahinter oder Danach. Eine Ästhetik
unmittelbarer Evidenz, die mit ihren synästhetischen Wirkungen steht
und fällt: der Zuschauer wird an der ganz kurzen Leine geführt.
Das gilt freilich auch für rein special-effects-orientierte Actionspektakel,
eine Ästhetik des möglichst heftigen Schocks, dessen Wirkung Implosion
ist und nur durch einen neuen Schock abgelöst werden
kann.
Simpson/Bruckheimer-Produktionen (Don Simpson
ist tot, aber im Vorspann bleibt sein Name genannt) aber lassen sich auf
ein solch rein effekthaftes Kino nicht reduzieren, egal ob es nun mehr kracht
(wie in Armageddon) oder weniger (wie hier). Dafür sorgt eine
große handwerkliche Sorgfalt, die, allen Wahrscheinlichkeitskrämern
zum Trotz, weniger eine logische ist (derart groß gedachte Plots haben
immer logische Löcher - ja, sie leben, wie Hitchcock wußte, geradezu
davon) als eine formale. Dazu gehört, aber erst in zweiter Linie, die
Auswahl der Schauspieler: hier wie in allen anderen Simpson/Bruckheimer-Filmen
auch sind die Darsteller sensationell gut. Natürlich sind dramatische
Verselbständigungen vermieden, wären auch höchst kontraproduktiv,
aber es gibt stets den gewissen Überschuß über das bloße
plot-Skelett, das (scheinbare) Zusatzvergnügen, Gene Hackmans
minimalistisches Spiel zu bewundern, Will Smiths Mischung aus Ahnungslosigkeit
und Coolness. Selbstverständlich haben wir noch lange keine 'round
characters' vor uns (das wäre für diese Filme wie für die
von Hitch- cock auch fatal), selbstverständlich sind all diese Figuren
nahe bis zur Verwechselbarkeit an gängigen Hollywood-Klischees, aber
sie gehen eben nicht ganz darin auf.
Die formale Exzellenz dieser Filme aber besteht
in erster Linie darin, wie sie ihre Thematik mit allen Mitteln der Kunst
den Sinnen aufzwingen. 'Staatsfeind Nr.1' besitzt, man mag es kaum glauben,
einen aus der Novellentechnik vertrauten guten alten Falken, der sogar auch
fliegt, nur ist es, zeitgemäß genug, ein Satellit, unaufdringlich
symbolisch in seiner Realität als (archimedischer) Beobachtungspunkt,
dem nicht zu entgehen ist, an dem die Fäden der Vernetzung, Bild- wie
Symbolstränge, in diesem Film zusammenlaufen. Weniger penetrant als
der nicht unverwandte 'Spiel auf Zeit' von de Palma - und vor allem mit global
(oder wenigstens auf die USA) ausgeweiteter Paranoia inszeniert der Film
die Welt als lückenlos mit Kameras durchsetzt. Es gibt kein Entkommen
vor den Bildern. Daraus folgt aber auch, daß der Film weniger Kulturkritik
ist als Allegorie seiner selbst, des Kinos. Weniger des Kinos schlechthin,
sondern genau der Sorte Hollywood-Kino, die er auf diese Weise doppelt und
dreifach repräsentiert, eines Kinos des gnadenlosen Voyeurismus der
abgeschnittenen Lider. Eines Kinos, das keine Lücke läßt
zwischen seinen Bildern und Tönen, dessen Flächigkeit jeden Griff
in ein Dahinter ins Leere laufen läßt.
Der plot besteht denn auch in der Initiation
des zunächst medien-naiven Helden Will Smith in diese Welt ständigen
Abgebildetseins. Aufklärung ist der Schritt zum Wissen um die
Unentrinnbarkeit des Systems. Der nächst Schritt, verkörpert im
Renegaten Brill (Gene Hackman), besteht darin, triumphierender Teil des Systems
zu werden, indem man dessen eigene Waffen zu benutzen lernt - Manipulation
gegen Manipulation. Moral ist keine Frage des Unschuldigbleibens, sondern
nur noch von stark und schwach. Daher werden diese Filme immer weiter die
Geschichte von David gegen Goliath erzählen (und selbst Bruce Willis
wird zum David, wenn der Goliath ein Komet ist) und David wird immer weiter
gewinnen - nie aber wird eine utopische Unschuld restituiert werden. Der
Verzicht auf die Illusion der Möglichkeit dieser Unschuld zeichnet das
Bruckheimer-Kino aus, die Fähigkeit, Darstellungsweisen für die
Unentrinnbarkeit einer postutopischen Welt zu finden. Und das ist eine
Reflexionsstufe, hinter die Hollywood eigentlich nicht mehr zurückfallen
dürfte. Allein, die nächste Grisham-Verfilmung kommt
bestimmt. |