Es gibt am Anfang eine Geschichte von Soldaten im Dschungel.
Sie gehen in Gräsern entlang eines Waldes, es scheint kein Kampf zu
sein, aus dem sie kommen oder in den sie ziehen. Es ist eher ein Ausflug,
der entspannte Teil eines Manöver oder Teil eines unaufgeregten Dienst.
Die Soldaten machen Erinnerungsfotos mit Digitalkameras von sich und einem
menschlichen Körper. Deutlich auf der Tonspur hört man die sirrenden
Geräusche der digitalen Apparate. Den Körper erkennt man erst nach
einer Zeit, die Kamera ist ein paar Meter von der Gruppe entfernt und die
Gräser wachsen hoch und die Kamera erhebt sich nicht über die
Gräser. Dass der Körper tot ist, erkennt man erst später,
die Soldaten tragen die Leiche zu einem Haus auf dem Land. Die Szene ist
fragmentarisch aufgebaut, durch Schnitte unterteilt, die das vorhergehende
Positionsfinden der Kamera betonen, als dauere die Handlung länger als
deren Abbildung. Keines der Bilder wirkt klassisch komponiert, weil die
de-linearisierenden Jump-Cuts die unterschiedlichen Blickwinkel und
Einstellungsgrößen hervorheben. Die Bilder sind nicht in einer
klassischen Grammatik aneinander gelegt, Bewegungen gehen von einem Bild
zum anderen ins Leere, nachfolgende und vorhergehende Kadrierungen verzahnen
sich nicht zu einem laufenden Fluss mit eindeutiger Bewegungsrichtung. An
dem Haus angekommen, verbringen die Soldaten dort die Nacht, Geschichten
werden erzählt und einmal gibt es ein Bild von der Leiche, die nun nur
noch als Schema und Kontur von der einsetzenden Dunkelheit zu unterscheiden
ist. Später scheint der Film die Leiche vollkommen zu vergessen. Der
Film scheint sich nicht an sie und die Soldaten zu erinnern. Es folgt nun
die erste Hälfte des Films, eine fragmentarische Geschichte vom Leben
in einer Stadt, irgendwann später.
Diese erste Hälfte des Film, nach dem Prolog mit den Soldaten, ist
größtententeils städtisch und hell. Die zweite Hälfte
des Film ist größtenteils dunkel.
Die zweite Hälfte des Films handelt im Dschungel. In hohem Gras, in
tiefen Wäldern. In einer Nacht. Die Farben der zweiten Hälfte des
Films wirken zunächst monochrom, nach einer Zeit erkennt man mehr als
ineinander übergehende Schemen in ihnen. Es gibt ein sehr dunkles, fast
schwarzes Nachtblau; ein sehr tiefes, sattes, blauschwarzes Grün; und
es gibt ein mehrfach abgestuftes Schwarz. Es gibt die Farbe menschlicher
Haut. Von den Farben unterscheidet sich die Kontur des Mannes. Der Mann ist
einer der beiden Männer, von denen der erste Teil des Film handelte.
Der Mann verfolgt die Transformation eines Tigers in einen Menschen, vielleicht
aber auch die eines Menschen in einen Tiger. Zwischentitel mit Emblemen,
die über den Bildern der Nacht zu lesen sind, erzählen die Geschichte
eines bösen Geistes, der die Gestalt eines Tigers, aber auch die eines
Menschen annimmt. Der Mann, dessen städtisches Leben in der ersten
Hälfte des Film gezeigt wurde, steht in einem Verhältnis, das nicht
eindeutig ist, zu der in den Zwischentiteln erzählten Geschichte des
Geistes. Vielleicht spielt auch der andere Mann, dessen Verhältnis zu
dem ersten erzählt wird, in diesem Teil des Film eine Rolle, aber man
sieht ihn nicht. Es ist alles sehr unklar. Aber es wäre undeutlich,
diesen Teil der Geschichte mit dem Ausdruck mise en abyme zu bezeichnen.
Es ist anders, physischer.
Ein Tiger steht in der Nacht auf einem starken Ast eines Baumes. Der Tiger
spricht in die Gedanken des Mannes, aber man sieht nicht wie der Tiger spricht.
Tiger können auch in diesem Film nicht sprechen. Man sieht zunächst
in einer Totale die Form eines Baumes und erkennt nach einer Weile, dass
ein Tiger auf einem Ast des Baumes steht. Man sieht dann den Tiger frontal
in einer bildfüllenden Großaufnahme zu der Kamera blicken. Es
ist beim Sehen eine ungeheure Neuigkeit in den Bildern des Tigers, nie zuvor
habe ich Formen und Farben eines Tigers wie in diesem Film gesehen.
Das Ungeheure des ganzen Films rührt nicht von einem revoltierenden
Schnitt und auch nicht von einer vollkommen neuen Art, Bilder zu machen oder
auszustellen; und auch rührt das Ungeheure des Films nicht von der Geste,
vollkommen neue Bilder machen zu wollen oder der Ausstellung dieser Geste,
wie es westlich geprägten Avantgardebehauptungen zu eigen wäre.
Es geht dem Film nicht um Setzungen solcher Art. Der erste Teil des Films
nach dem Prolog ist in einer tatsächlichen und auch als Westeuropäer
nachvollziehbaren städtischen Welt angesiedelt. Die Bilder des ersten
Teils erzählen mit geraumer Distanz von üblichem Leben und einer
latent homosexuell geprägten Annäherung zweier Männer. Der
Schnitt betont das Episodische, Alltägliche, in der Realität verankerte
dieser Bilder und Geschichte. Die Bilder und ihre Montage sind geprägt
von einem ausgeglichenem Verhältnis zwischen dokumentierter Wirklichkeit
und aus ihr geschälter fiktionaler Erfindung. Erst nach und nach
schält sich das Interesse des Films an der Beziehung der beiden Männer
heraus, erst nach und nach spürt man in den Bilder bisher Unangesprochenes.
Das unausgesprochene Latente der Beziehung verlangt nach Erklärungen,
zumindest nach einem neuen Focus, und wie auch immer man es anstellte: nun
müßte Dramaturgie das Kommando übernehmen.
An dieser Stelle setzt der zweite Teil des Films nach einer kurzen Konjunktion
ein. Der zweite Teil des Films setzt an einer Stelle ein, an der die Beziehung
der beiden Männer zu einer so spannenden und die Erzählung
prägenden werden würde, dass die Weiterverfolgung des bisherigen
elliptischen Erzählverfahren zwar möglich, aber wie eine
erzähltechnische Veranstaltung von provokativer Vorenthaltung daherkommen
würde. Die Konjunktion vom ersten zum zweiten Teil verhält sich
wie der Prolog mit den Soldaten im Dschungel zum ersten Teil: sie scheint
keine Beziehung zu besitzen zum Nachfolgenden. Was sie leistet: sie bildet
einen vorläufigen und akzeptablen Schluß des ersten Teils, das
Ende des Elliptischen. Sie bildet dem zweiten Teil eine Basis.
Dieser zweite Teil des Films im Dschungel ist ganz ungeheuer. Man muss sich
das anschauen. Er ist zu weiten Teilen im Schuß/Gegenschuß-Verfahren
erzählt, die Einstellungsgrößen sind Totalen, Halbtotalen,
Halbnahe und Nahe, ganz selten Close-Ups. Die Kamera wackelt nicht, selten
wird geschwenkt und nie die Schärfe verlagert. Man sieht den Mann, wie
er sich vorsichtig und so leise wie möglich im Dschungel bewegt und
man sieht diesen Dschungel in der Nacht. Man müßte über die
Töne dieses zweiten Teil des Films schreiben. Gegen Ende des zweiten
Teil des Films gibt es ein Bild von einem alleinstehenden Baum am Rand des
Dschungels. Die Äste des Baumes leuchten flimmernd. Das kommt von den
Glühwürmchen in den Ästen des Baumes in der Nacht. Man kann,
wenn man möchte, das Leuchten des Baumes auf den Film beziehen. |