Vor allem in den frühen Filmen von Jim Jarmusch herrscht
das Gesetz der Langsamkeit. Die Handlung wird verzögert, die Figurenrede
wird reduziert, die Einstellungen dauern immer länger, als es für
die Dramaturgie notwendig wäre. In obligatorischen
Schwarz-Weiß-Bildern gefilmt entwickelt sich daraus ein Kino
der Trägheit, das vornehmlich Zustände und Episoden
präsentiert, weniger Entwicklungen. Am Ende jedes Films, ob Permanent
Vacation (1980) oder Dead Man (1995), steht das Gefühl,
eine weite Reise in ein unbekanntes Gebiet unternommen zu haben, das einem
dennoch seltsam vertraut scheint.
Ids a sadde andde biutiful worlde wird Roberto Benigni
in Rolf Aurichs und Stephan Reineckes Buch Jim Jarmusch, erschienen
in der Reihe Film des Bertz-Verlags, phonetisch zitiert: Jarmuschs filmische
Welten sind traurig und schön zugleich. Mit Vorliebe lässt der
Regisseur zwei Kulturen aufeinanderprallen. Wie eben in jenem Down
by Law (1986), aus dem das Zitat entnommen ist. Benigni spielt darin
Roberto, einen Italiener, der in einem amerikanischen Provinz-Gefängnis
auf die beiden wortkargen Drifter Zack (Tom Waits) und Jack (John Lurie)
trifft. Des Englischen kaum mächtig, blättert er in seinem Notizbuch,
in dem er Verse von Robert Frost oder Walt Whitman niedergeschrieben hat.
Er bricht die amerikanischen Spielregeln der Coolness, die Zack und Jack
perfekt beherrschen, weil er sie als Fremder nicht kennt. If looks
can kill, I ham a dead now, lautet sein erster Satz, als er seinen
abweisenden Zellengenossen zum ersten Mal begegnet.
Ähnlich geht es Eva in Stranger than Paradise (1984),
die aus Budapest nach New York kommt; im Gepäck einen Kassettenrecorder,
auf dem unablässig I put a Spell on You von Screamin
Jay Hawkins läuft. Sie trifft auf ihren bereits früher emigrierten
Cousin Bela, der sich jetzt Willie nennt und Eva mit amerikanischen
Gepflogenheiten wie Fernsehen und Junkfood vertraut macht, als hätte
er sie erfunden. Je amerikanischer sich Willie gebärdet, desto
weniger ist er Amerikaner. Am Ende ist Willie dort, wo er auf
keinen Fall hin wollte: in Budapest. So endet das Spiel um Heimat und Fremde,
das mit Evas Ankunft in The New World begann, scheinbar klassisch-narrativ,
sanft-ironisch mit einer Moral. Die Konfrontation zweier Kulturen wird
bei Jarmusch immer zu einem erregenden Moment, das in der Lage ist, eine
aussichtslose Statik in Bewegung zu überführen.
Mit Fritz Göttler, Diedrich Diederichsen, Andreas Kilb, Georg
Seeßlen und vielen mehr konnten die Herausgeber Aurich und Reinecke
wahrlich renommierte Autoren für diese erste, umfassende
Jarmusch-Monographie gewinnen. In ihren Beiträgen widmen sich die Autoren
den einzelnen Filmen ebenso wie den besonderen thematischen Konstanten, die
in Jarmuschs Arbeiten immer wieder eine Rolle spielen. Vor allem die Nähe
zur und die Bedeutung von Musik wird gewürdigt; von strategische[m]
Music Placement ist die Rede angesichts des ungewöhnlichen und
intertextuell verlinkten Musikeinsatzes in Jarmuschs Werk. Dead Man,
für den Neil Young den Soundtrack schrieb und worin Iggy Pop eine Nebenrolle
spielt, wird gar als Pop-Quiz für fact-nerds betitelt.
Kann es sein, dass Jarmusch seinen Bildern & Figuren nicht ganz
über den Weg traut und deshalb seinen Filmen eine zweite Referenzetage
einbaut, oft über die (Pop-)Tonspur, auf der man sich unterhalten kann,
wenn man sich im eigentlichen Film langweilt? Ja, kann
sein. Es kann aber auch sein, dass man versucht ist, sich die minimalistischen,
oft undeutlichen Filme mit allzuviel interpretatorischem Elan anzueignen
und so jedem Detail, jeder Geste, jedem Soundschnipsel noch werkinternen
Verweischarakter zu unterstellen.
Die Vielzahl der in dem Band versammelten Stimmen bedingt freilich
Redundanzen und Überschneidungen. Das nimmt einerseits nicht Wunder,
gibt es doch in jedem Jarmusch-Film unvergessliche und einzigartige Szenen,
die sich fest im Gedächtnis der Zuschauer eingraben und automatisch
hervorgeholt werden, wenn man über die Filme spricht. Andererseits ist
es schon bemerkenswert, dass das Werk eines Regisseurs, der eine so reduzierte
Filmsprache und Figurenzeichnung verwendet, so dass sich die Filme erst und
nur im Kopf des Betrachters vervollständigen können, dass ein solcher
Leerstellenproduzent bei seinen Fans und Kritikern doch immer
wieder die gleichen Einschätzungen und Lesarten provoziert. So ist dieses
liebevoll editierte und reich bebilderte Filmbuch eine erfreuliche Fundgrube
und Artikulationshilfe für jene, die Jarmuschs Filme schätzen,
ohne genau zu wissen, worin die Faszination dieser Streifen liegt.
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