Jim Jarmusch: Broken Flowers (USA 2005)
Von Frau zu Frau aus der Vergangenheit trägt Bill Murray sein Gesicht
spazieren. Die Leere darin ist freilich auf nichts gestellt und von keiner
glaubwürdigen Erfahrung gestützt. Ein belangloser Reigen der Klischees,
bei dem hier mal und da mal eine hübsche Idee aufblitzt und eine
schöne Musik anklingt. Die Ideen vom Verlieren im Leben bleiben ohne
scharfen Umriss, die Figuren von Verlierern im Leben ohne Substanz und ohne
Halt als aus der Luft gegriffene Behauptungen. Auch eine Art Ausverkauf.
Timur Bekmambetov: Wächter der Nacht (Russland 2005)
Jetzt hätte ich fast UdSSR geschrieben, bei der Herkunftslandangabe.
Dabei ist das doch der Stolz des neuen Russland, wo man jetzt auch Fantasy
kann und Spezialeffekte und zunächst macht das sogar Spaß wegen
des Humors, der die Pomposität erst mal zu untergraben scheint. Irgendwie
aber kriecht sie dann doch wieder hervor, die Pomposität, und fuhrwerkt
ohne rechtes Ziel in einer Geschichte herum, die so allerlei von überall
klaut und daraus ein Selbstbewusstsein bezieht, dem man zuletzt nur noch
halb betäubt und halb gelähmt zusieht, obwohl das so schlimm alles
nicht ist es sei denn als Zukunft des russischen Kinos.
Jang Kang-ye: Tae Guk Ki (Korea 2003)
Musterexemplar des neuen koreanischen Blockbusters, der sehr viel lauter
ist als gut. Nationalkriegsgeschichte als Brüderdrama, das sich viel
darauf einbildet, vor keinem abgesäbelten Bein und keiner abgehackten
Rübe das Kameraauge zu verschließen. Wie mancher Antikriegsfilm
kennt dieser eine verdächtige Lust am Rasen der Waffen und der Krieger.
An technischer Kompetenz herrscht, wie meist in Korea, kein Mangel. Der Erfolg
aber ist erkauft mit beträchtlichem Mangel an Denkanstrengung.
Hong Sang-soo: Woman is the Future of Man (Korea 2004)
Zwei läppische Männer begegnen der Frau ein weiteres Mal, der sie
früher schon nicht gut getan haben. Wieder tun sie ihr nicht gut. Hong
Sang-soo macht daraus deutlicher als in den früheren Filmen eine
Komödie, aber von Fröhlichkeit keine Spur. Es fängt alles
nur bitterer an und geht bitterer aus als bisher. Wie stets ist das voll
großartiger Details, von einer Frau an der Bushaltestelle zur Mise-en-abime
der Lächerlichkeit der Möchtegernkünstler, denen kein Trick
zu schade ist, eine Frau ins Bett zu kriegen. Natürlich scheitern sie,
natürlich forciert Hong dabei nichts. Seine Schnitte sind sanft und
tief wie vom Skalpell geführt.
Joel Schumacher: Phantom of the Opera (USA 2004)
Es gibt genau einen gelungenen Moment: Wenn mit großem Getöse
die Gegenwart sich in farbige Vergangenheit auflöst. Aber auch da
fährt Schumacher schon mit viel zu vielen Schnitten und Perspektivwechseln
dazwischen. Als Regisseur hat er das Äquivalent jener Sprachstörung,
die darin besteht, dass einer unaufhörlich quasselt, ohne irgendetwas
Sinnvolles zu sagen. Das sieht nur auf den oberflächlichsten Blick nach
einem Stil aus. Aber es macht einen krank und in dieser Hinsicht ist
es der Musik von Andrew Lloyd Webber wieder kongenial. Ich übertreibe
nicht, wenn ich sage, dass es vom moral-ästhetisch Verrotteten, das
das Kino bereithält, in diesem Film mehr gibt als in den meisten.
Negresco (Klaus Lemke, D 1967)
Großes Kino in Handarbeit: schöne Frauen (sich räkelnd),
teure Autos (kurvend), die Cote d'Azur (sonnig) und am Ende hat der spätere
Fassbinder-Produzent Peter Berling (sein Erstling) auch noch den
Hubschrauber besorgt, für ein fabelhaft unfurioses Finale. Den Krimiplot
um eine Erpressung, einen Fotografen, gestohlene Bilder und schwer durchschaubare
Pläne gab es dafür second hand umsonst. Es lassen sich die Chuzpe
bewundern, der nicht ganz unfreiwillige Dilettantismus bestaunen, mit denen
Lemke sein deutlich untermotorisiertes Starlet-Vehikel (Ira von
Fürstenberg, Eva Renzi) die eine oder andere Runde auf dem Parcours
des europäischen Film-Jetset drehen lässt. Als mit den bescheidenen
Mitteln, die zur Verfügung standen, nachgebauter Traum vom großen
Kino verliert "Negresco" nie den gewissen Charme des Proletarischen. Auf
eher vertrackte Weise demonstriert der Film, dass er das, was er nie sein
könnte, trotzdem auch gar nicht sein will, dass es ja eine Lüge
wäre, die Klasse, um die es hier geht, nicht zu verfehlen, und dass
natürlich gerade die Produktionen, die die Klasse haben, die "Negresco"
so selbstbewusst verfehlt, im Kern verlogen sind.
Pulp (Mike Hodges, GB 1972)
Mike Hodges ist ein wirklich eigensinniger Regisseur, der sich stets
merkwürdige Dinge vornimmt. Vom höchst präzisen und deprimierenden
"Get Carter" bis zum undurchsichtigen "Croupier", die "Flash Gordon"-Verfilmung
nicht zu vergessen oder "Black Rainbow", in dem Rosanna Arquette ein Medium
spielt. Dies hier ist die lustvolle De- und Remontage des Pulp-Genres, in
dem Hodges sich offenkundig bestens auskennt. Der Plot, den er in zerlegender
Absicht nicht Ernst nimmt, dreht sich um einen gealterten Hollywood-Star
und Mafiosi-Darsteller (Mickey Rooney, großartigerweise), der sich
nach Europa zurückgezogen hat und um einen Pulp-Autor (Michael Caine,
großartigerweise), der als Ghostwriter dessen Biografie schreiben soll.
Allerhand Leichen und schöne Frauen kommen dazwischen. All das wird
von Caine staubtrocken kommentiert, à la Richard Prather, von dem
das alles durchaus stammen könnte - nur dass der die Komik aus dem Inneren
des Genres entwickelt, während Hodges sich diesem von außen
nähert, ohne Respekt, wenn auch mit jener Liebe, die sich nicht unbedingt
im Detail, sehr wohl aber im Ganzen zeigt, das nicht mehr ist als ein Witz,
aber ein sehr kluger.
Majboor (Ravi Tandon, Indien 1974)
Amitabh Bachchan spielt Ravi Khanna, einen perfekten Sohn und Bruder, der
im Reisebüro denen, die sie sich leisten können, die Tickets in
die weite Welt verkauft. Auch einem älteren Herrn mit einem später
wichtig werdenen Klunker am Finger, der kurz darauf ums Leben kommt. Der
damit verbundenen Erpressung verdächtig ist Ravi. Bald darauf fällt
ihm mitten auf der Straße ein Aquarium aus den Händen. Er ist
natürlich unschuldig, aber todkrank: Hirntumor. Der ausgesetzten Belohnung
halber (für die Familie) denunziert er sich anonym - es ist ja nun egal
- als Täter, wird gefasst und zum Tode verurteilt. Bevor er an den Strang
gerät, kommt es jedoch zur Operation in letzter Minute und zur Heilung.
Nun muss er seine Unschuld beweisen und er tut dies, wie Dr. Kimble, auf
der Flucht. Die Spur führt zu einem Kleinkriminellen namens Michael
und weiter in die nähere Verwandtschaft des Opfers. Ein Werk aus dem
sehr zivilen Nebenstrang der "Angry Young Man"-Phase Bachchans, das so kompetent
gemacht wie sehr vorhersehbar ausgefallen ist. Schön das interior design
in Eastmancolor.
Mission Kashmir (Vinhu Vinod Chopra, Indien 2000)
Slicker Politthriller in der Mani-Ratnam-Nachfolge. Mann in kaschmirischen
Polizeidiensten tötet Eltern und Schwester eines Kindes, das er darauf
an Sohnes Statt annimmt. Als der Junge die Vorgeschichte begreift, schwört
er ewige Rache und kehrt zehn Jahre später als islamistischer Terrorist
zurück, in Diensten eines wahrhaft finsteren, mit Stirntuch und Kajal
bewehrten Burschen. Eine Liebesgeschichte kommt dazu und wird sogleich in
den Terrorismus-Plot hineingenommen. Vieles wird unnötig dick aufgetragen
(ein mit Kajal geschriebenes Drehbuch), gerade die aber auch gar nichts
auslassende Verquickung von Privatem und Politischem ist sehr unerquicklich.
Als Schaumkrönchen auf dem Kitsch schwimmt die auch nicht unterbetonte
Botschaft religiöser Toleranz - womit sich freilich verträgt, dass
der Polizist ohne Skrupel wehrlose Islamisten totschießen darf. Wahrhaft
erstaunlich ist allerdings genau eine Szene, in der höchst beschwingt
die Unschuldigste von allen zu Tode kommt. Das geht heftig gegen den Strich
des Erwartbaren. Vom Rest wird man das, allen Schauwerten zum Trotz, nicht
sagen können.
Dawn of the Dead (Zak Snyder, USA 2004)
Sehr schön der Moment, wenn im Simultan-Kommentar der Regisseur des
Films feststellt: "Schon seltsam, jetzt sitzen wir hier, morgen startet der
Film in den Kinos. Keiner weiß, was daraus wird. Wenn wir Pech haben,
werden ein paar Leute die DVD sehen und uns hier hören und denken: Mann,
die reden da und glauben auch noch, dass ihr Film was taugt." Tatsächlich
aber taugt er was und die Kritik und das Publikum haben das auch so gesehen.
Man weiß, was Zombiefilme im Register des Kulturkritischen zu bedeuten
haben - genau darauf legt der Film aber keinen gesteigerten Wert. Die
größere Kunst ist es heute ja, diese Plots straight durchzuziehen,
ohne die alten Klischees nur zu reproduzieren. Das gelingt, nicht zuletzt
dank Indie-Ikone Sarah Polley, deren Entschlossenheit, an diesen Film und
die Geschichte um eine Handvoll Überlebende, die sich in einer Mall
verschanzen, zu glauben, ansteckend ist. Das Großartigste ist im
übrigen das Ende, das den bitteren Fortgang in Video-Bild- und Abspannfetzen
zerhäckselt.
Kurz gesagt 2
The Hitch-Hiker (Ida Lupino, USA 1952)
Der glückliche Fall, in dem die Beschränktheit der Mittel zur Reduktion
aufs Wesentliche führt. Zwei Männer werden von einem dritten
gekidnappt. Dieser Dritte ist ein Mörder und Räuber, der mit Freude
am Sadismus das Recht des Stärkeren verficht. Auf wenig mehr als diese
Konstellation lässt der Film sich ein, die Verfolgung durch die Polizei
gib der Flucht Struktur, gewinnt aber kaum eigenes Gewicht. In der mexikanischen
Wüste verdichten sich die Beziehungen zu Blicken eher als Dialogen -
unheimlich das Auge des Kidnappers, das auch im Schlaf sich nicht schließt.
Film-Noir-Existenzialismus, der weniger Worte bedarf, weil alles, was zu
sagen wäre, in die Narration und die Präzision, mit der die Kamera
Figuren, Landschaft und Beziehungen in Szene setzt, verlegt ist.
Do bigha Zarim (Bimal Roy, Indien 1953)
Der Stil, der Ton der Filme von Ritwik Gathak und Satyajit Ray sind hier
schon angedeutet. Der Neorealismus ist ein unverkennbarer Einfluss in dieser
Geschichte um eine Familie, die darum kämpft, ihren Grund und Boden
nicht an einen rücksichtslosen Kapitalisten zu verlieren. Vater und
Sohn machen sich, auf der Suche nach Arbeit und Geld, auf nach Kalkutta,
von ihren Fährnissen in der Großstadt erzählt Roy - und viel
davon hat er von Rossellini und de Sica gelernt. Auch im Plot, der von kleinen
großen Tragödien im Alltag erzählt, gibt es deutliche
Anklänge. Für indische Verhältnisse sehr ungewöhnlich
ist der gedämpfte Ton; die Gesangsszenen fügen sich nahtlos ins
elegante Understatement der Szenerie. Was hier sanft ineinandergeht, wird
Ghatak später in seinem in manchen Motiven ähnlichen Meisterwerk
"Der verborgene Stern" harsch
auseinander reißen und gegeneinander setzen.
The Romantic Englishwoman (Joseph Losey, GB ..)
Die Geschichte eines Parasiten. Helmut Berger nistet sich ein, im Haus, in
der Ehe des Schriftstellers Louis Fielding und keiner kann sagen, wie es
genau zugeht. Begonnen hat alles in Baden-Baden, die Ehefrau (Glenda Jackson)
auf der Flucht zu sich selbst und was im Lift geschah, wird zum Kern einer
Konstellation, auf den alle, die Bilder auch, immer wieder zurückkommen.
Draufgepfropft auf diesen mitunter faszinierenden Kern sind Thriller-Andeutungen,
Selbstreflexives à la "French Lieutenants's Lover" (Drehbuch hier
wie da: Tom Stoppard). Zuspitzungen ins Absurde finden statt, dazwischen
kommen Figuren ins Bild, die ihm wenig hinzuzufügen haben. Etwas ratlos
steht man vor einem Film, der kunstvoll Lücken lässt, hinter denen
man aber zuletzt keine Tiefen vermutet, Untiefen eher.
Carrie (Brian De Palma, USA 1977)
Brian De Palma, obwohl er keine Scheu vor Äußerlichkeiten kennt,
treibt die Geschichte einer Teenagerin, die aus den Fängen religöser
Prüderie gerettet werden muss, so lange ins Innere einer leicht unheimlichen
High-School-Erzählung, dass der spökenkiekerische Spuk in den Momenten,
auf die er zurückgedrängt ist, beinahe überflüssig erscheint.
Fremdkörper im Ton sind Szenen klamaukiger Komik und zuletzt erfolgt
als höchst beeindruckender Schaueffekt doch noch der Ausbruch reinen
Horrors. Man möchte es nicht missen, so großartig ist es. Wer
das Bruchlose sucht, hat hier kein Glück. Die Brüche aber und die
Mehrzahl der Bruchstücke selbst entwickeln ganz eigene Reize.
Koi Mil Gaya (Rakesh Roshan, Indien 2004)
Wichtige Motive sind von "E.T." inspiriert und wenn ein Fahrrad nachts durch
die Luft fliegt, dann sehen die Macher das selber so. Dennoch bleibt in der
indischen Version kein Stein auf dem anderen, nicht nur, weil der blaue
Außerirdische, kaum ist er von freundlichen Menschen gefunden, zum
Song & Dance gebeten wird und mit dem Kopf zu wippen beginnt. Mehr noch
als bei Spielberg wird hier jedoch die Geschichte des Finders viel eher als
die des Gefundenen erzählt. Rohit heißt der Held und im Körper
eines Mannes (Hrithik Roshan ist wirklich nicht wiederzuerkennen) sitzt der
Geist eines Kindes. Wie er erst die Liebe findet, dann den Außerirdischen,
dann wundersame Geistes- und Körperkräfte, das geht immerzu sehr
zu Herzen und ein Basketballspiel, bei dem - with a little help from the
alien - Knirpse über sich hinauswachsen, macht unendlich viel mehr
Spaß als die aufwändigsten Harry-Potter-Besenflugspektakel.
3-Iron (Kim Ki-Duk, Südkorea 2004)
Wie stets gilt die Vermutung, dass Kim Ki-Duk nicht weiß, was er tut.
Jedenfalls möchte man gar nicht wissen, was er zu tun glaubt. Seine
große Stärke aber besteht wiederum darin, dass er weder sich noch
uns Erklärungen auftischt. Was geschieht, bleibt rätselhaft und
aus den Rätseln macht Kim leere Bilder eher als solche, in denen er
etwas wie Bedeutung versteckte. Dies hier umso nachdrücklicher, als
das Liebespaar, das in Wohnungen einbricht, um Kaputtes ganz zu machen und
sich ansonsten häuslich einzurichten für den Moment, schweigt und
schweigt. Golfbälle und Schläger treten auf als Leitmotive, man
nimmt es hin. Der Mann wird zum Geist, einfach so, und erst am Schluss, als
alles sich in einer ménage à trois einrichtet, wie es sie so
auch noch nicht gab, fallen zwischen den Liebenden drei Worte.
Geschlechterpolitisch bewegt sich das wie oft bei Kim am Rand des Indiskutablen,
lesbar im besten Falle als (misogyne) Männerfantasie von einer
Frauenfantasie.
Meet the Fockers (Jay Roach, USA 2004)
Munteres Scherzsammelsurium mit heftigeren Ausschlägen vor allem im
Zotenbereich. Leicht anpolitisiert, indem hier die amerikanische Rechte (Robert
de Niro) - allerdings weniger neokonservativ als alte Paranoia-Fraktion -
und ein floridianisches Spät-Hippietum (Dustin Hoffman, Barbra Streisand),
aufeinander gehetzt werden wie Hund und Katze. Die Gags werden gefeiert,
wie sie fallen, die selbstverständlich unterforderten Stars müssen
nur das Gesicht hinhalten. Auf dem Spiel steht im Grunde nichts, übers
Klischee trägt das Klischee den Sieg davon. Im direkten Vergleich der
Focker-liberalen Versöhnungs- mit der Team-America-rechten
Vernichtungsvision muss die Linke nun allerdings sogar im Bereich der
sexuell-fäkalen Transgression eine herbe Schlappe einstecken.
Kurz gesagt 3
Abel Ferrara: The Gladiator (USA 1986)
Ein Fernsehfilm von Abel Ferrara und man sieht beides: Die generische, nicht
Ferrarasche Kunstlosigkeit der Bilder und das schiere Böse, ohne dessen
Auftauchen in der Ferrara-Welt nichts geht. Das Böse ist hier ein Auto,
das ähnlich wie in Spielbergs "Duell" aus dem Nichts und
im Grunde ohne Grund andere Autos bedrängt. Es ist schwarz, den Fahrer
sieht man nicht, jedenfalls nie so, dass man etwas erkennt, und für
eine kurze Serie von Einstellungen lohnt sich der ganze Film. Ferrara filmt
die Schnauze dieses Autos, aus verschiedenen Winkeln, den Spoiler, die
Scheinwerfer, die Flanke und selten hat er das Böse so suggestiv ins
Bild gerückt: die Schnauze zittert und bebt, ein Gleiten durch die
Schwärze der Nacht, ein Tourneurscher Leopard, aber seiner vermeintlichen
Unbelebtheit wegen nur noch urtümlich drohender, das reine Affektbild,
ein Grauen, das sich nicht einer Drohung verdankt, sondern der urtümlichen
Drohlichkeit dieses Bilds. Der Plot formuliert daraus eine Rache- und Vigilante-,
und zuletzt, nur bedingt Ferrara-typisch, eine Erlösungsgeschichte.
Auf Spannungsinszenierungen verzichtet Ferrara, fast möchte man sagen,
ausdrücklich, er betont in der Schlichtheit der Anlage eher das Repetitive,
aus allen Erklärungskontexten sich immerzu Ausfällende der
Konfrontationen.
Anurag Bose: Murder (Indien 2004)
Indischer Erotikthriller, bei dem die erotischen Momente so weit gehen, wie
man eben noch für möglich hielte (also nicht sehr weit) und die
Thriller-Momente geradezu ausdrücklich den Anschluss an Hollywood suchen.
Erzählt wird die Geschichte einer Wiederverheiratung unter widrigen
Umständen. Ein indisches Ehepaar in Bangkok, er trauert der bei einem
Unfall ums Leben gekommenen Ehefrau nach, die er durch deren jüngere
Schwester ersetzt hat. Ihr läuft die Liebe aus einem früheren Leben
über den Weg, der Mann, der, weil er sie gegen einen anderen allzu brutal
verteidigt hatte, ins Gefängnis musste. Sie erweist sich als zum Ehebruch
verführbar und erst über dem Mord am Liebhaber, den dann beide
Ehemann und Ehefrau gestehen, erkennen sie einander und ihre
Liebe. Es mangelt nicht an Slickness der Inszenierung, nicht an
überraschenden Wendungen, aber auch nicht an einer Bleischwere, die
das Hanebüchene und bei allem Gekonnten doch sehr Gewollte der Anlage
wie der Ausführung sehr fühlbar macht.
Pier Paolo Pasolini: Porcile (Italien 1969)
Alles beginnt mit einer Einstellung voller Schweine. Der Schweinestall des
Titels. Von hier laufen die Bilder auseinander, ohne auf der Ebene der doppelten
Diegese je zueinander zu finden. Im einen Fall kämpfen sich in vage
mittelalterlich anmutende Gewänder und Helme gekleidete wilde Männer,
die von Schmetterlingen bis Menschenfleisch keine Speise verschmähen,
durch die mutmaßlich sizilianische Wüste. Sie werden verfolgt
und zur Strecke gebracht von Männern der Kirche. Derjenige, den man
zuerst sieht, der Protagonist dieses Erzählstrangs, wird nicht
abschwören: Ich habe Menschen gefressen, ich habe es genossen, wiederholt
er ein- ums andere Mal. Im anderen Fall sind wir in einem Schloss und einem
Schlossgarten. Es soll Bad Godesberg sein. Ein deutscher Nachkriegsindustrieller
mit Hitlerbärtchen kennt keine Reue und schließt sich mit dem
Konkurrenten, der ein gesichtsoperierter Judenmörder ist, zusammen.
Der Sohn ist Jean-Pierre Léaud und wird von Anne Wiazemski agitiert
(beide italienisch synchronisiert), die als Linke zwischendurch zum Protest
an der Berliner Mauer verschwindet. Er kratzt sich am Kopf, sie sagen immer
wieder "tralala", dann fällt er ins Koma und als er wieder erwacht,
geht er, wie üblich, in den Schweinestall, um Unsägliches zu tun.
Diesmal aber fressen ihn die Schweine, restlos. Das schwankt zwischen
montypythonesker Groteske, Godardscher Revolutionsfilmerei und dem komplett
Erratischen. Mannigfaltige Perversionen feiern fröhliche Urständ.
Zum geschlossenen Ganzen findet das nie. Wie sollte es auch.
Amit Saxena: Jism (Indien 2004)
Ein für indische Verhältnisse wiederum sehr freizügiger film
noir, der aber trotz gelegentlicher Anleihen bei 9 ½ Wochen
(Eiswürfel!) die entschieden bessere Figur macht als Murder,
mit dem er sich master mind Mahesh Bhatt und den Kameramann Fuwad
Khan teilt. Der Plot ist vertraut, es handelt sich schlicht um die indische
Variante von James M. Cains Double Indemnity. Auch wenn alles für
an Hollywood geschulte Nerven etwas langsam in Gang kommt, überzeugt
es atmosphärisch durchaus. Grandios eine Sequenz früh im Film,
wenn der Mann wie das Begehren selbst ein ganzes Haus ins Rütteln zu
bringen scheint. Leider überzeugt der fatale Drift des Plots insgesamt
mehr als die femme fatale selbst, die allzu hölzern durchs Bild
stakst und vor allem viel Bauch zeigen darf. Übrigens wird so
leidenschaftliche geküsst, wie ich es noch in keinem indischen Film
gesehen habe.
Walter Hill: Southern Comfort (USA 1981)
Unter den Krypto-Vietnamfilmen vielleicht der finsterste. Mit großartigen
Dialogen und lächerlichen Platzpatronen bewaffnet, schickt Hill eine
Truppe von neun Reservisten zu einer Übung in den Dschungel von Louisiana.
Es gelingt ihnen durch mehr als eine Dummheit, die hinterwäldlerischen
Bewohner der Sümpfe gegen sich aufzubringen. Sie verirren sich und einer
nach dem anderen werden sie aus dem Hinterhalt getötet. Es gibt
Anklänge an "Deliverance", aber im Vordergrund steht die kristallklare
Vietnam-Allegorie. In deren Dienste gestellt die sehr präzise
Typisierung der Figuren: Sie könnten genauso gut die Namen Bosheit,
Dummheit, Überforderung, Umsicht, Rechthaberei, Vorsicht oder Irrsinn
tragen. Das Buch erspart ihnen nichts und hält sich, was Schönheit
angeht, an die Natur. Spannung bezieht "Southern Comfort" nicht aus
Überraschungen, sondern aus der Unerbittlichkeit, mit der geschieht,
was geschehen muss. Bösartig das Ende, bei dem auch mit der Ankunft
in einer fröhlichen Cajun-Gemeinschaft längst nicht alles vorüber
ist. Verdammt nah am Meisterwerk.
George Lucas: Star Wars III Revenge of the Sith (USA 2005)
Schwerer Fall von Küchenpsychologie im Weltraum: Wie einer zum Schurken
wird. Dass alle Darsteller schlecht aussehen, haben sie nicht nur dem Drehbuch
zu verdanken und George Lucas' weithin berühmter Dialogkunst. Vielmehr
stehen hier einzelne Kämpfe und Schlachten mit dem schleichenden Fortgang
der Handlung im Niemandsland der digitalen Nachbearbeitung in dermaßen
statischem Verhältnis, dass die Zeit selbst während der Kämpfe
stillzustehen scheint. Mehr noch als die ersten beiden Prequel-Teile
zerfällt dieser Film in seine Bestandteile: Die lächerliche
Erklärung der Vader-Werdung. Die Schauspielkunst, von der alle Beteiligten
offenbar glauben, das könne die CGI auch noch miterledigen. Die
Kämpfe, denen es eklatant an Rhythmus, Perspektive und erst recht Eleganz
fehlt. Die naive Politparabel. Die Musik, die wie immer verdoppelnd rumst
und sonst gar nichts tut. Die Kamera, die zwar um die Kämpfenden
herumfuhrwerkt, von Schwerelosigkeit aber Zentner weit entfernt bleibt.
Überhaupt ist, der Tragödie wegen, auf die es so verzweifelt wie
hoffnungslos hinauswill, alles noch einmal bleischwerer als zuvor. Bleiben
nur die spielerischen Blenden als gelegentliche Hinweise auf die Leichtigkeit,
von der einst mehr als nur ein paar Spurenelemente vorhanden waren.
Kurz gesagt 4
Clint Eastwood: Blood Work (USA 2002)
Kompetent gemachter Krimi, interessant aber vor allem im Rahmen des
Eastwood-Oeuvres. Was ihn fasziniert haben dürfte, ist der kranke Held,
der sich auch inmitten wirklich abstruser Verwicklungen als Inbegriff des
Professionals erweist. Der FBI-Profiler Terry McCaleb verliert im
Dienst sein Herz, sehr buchstäblich. Aus dem neuen, das er erhält,
wird ein Fall als Anamnese in nun auch eigener Sache. Die Tote, der er sein
Leben verdankt, wurde ermordet und keine Wendung ist dem Buch nach
Vorlage von Michael Connelly zu krude, um die Verstrickungen zwischen
dem Herzen, dem Mörder und McCaleb auf die Spitze zu treiben. Und auf
vertrackte Weise ist dieser Fall nicht zu lösen, denn der Tod, der nicht
rückgängig zu machen ist, erweist sich als Bedingung des Weiterlebens.
Die Marionette bleibt hier, obgleich sie die Fäden, an denen sie
geführt wird, durchschneidet, doch Marionette. Daraus aber macht Eastwood
keine Tragödie, vielmehr ist das ohnehin der Rahmen seines
professionalistischen Weltbilds: An dem Ort, an dem einer sich findet, muss
er das beste machen aus dem, was er hat. Und das Herz nehmen, das kommt,
egal, wer es ihm zuspielt.
Pen-Ek Ratanaruang: Last Life in the Universe (Thailand 2003)
Asiatisches Kunstkino, das in Gesten der Imitation asiatischen Kunstkinos
erstarrt und den neuen japanischen Brutalfilm gleich noch mitverspeisen will.
Oder: Was geschieht, wenn einer, der in verschiedenen Filmsprachen nichts
zu sagen hat, Wong Kar-Wei und Takashi Miike kreuzt. Mit Hilfe von Christopher
Doyle kommen dabei Bilder heraus, die nach etwas aussehen. Das täuscht.
Es ist nichts dahinter, aber für Momente leerer Schönheit geht
der Plot über Leichen. Der Wechsel des Tonfalls, der mehr als einmal
sich ereignet, ist Ausweis der Beliebigkeit, mit der hier Versatzstück
an Versatzstück gereiht wird. Miike-Zitat und verdrehte Liebesgeschichte,
der junge Mann, der, wie einst Harold, sich immerzu umbringen will, die tote
Schwester, die ohne ersichtlichen Grund an die Stelle der Lebenden tritt,
im Bild. Hier ein bisschen digital-magischer Realismus, dort ein kleines
Blutbad. An diesem Film ist alles falsch, auf höchst virtuose Weise.
Brian de Palma: Sisters (USA 1972)
Brillante Psycho-Variation, mit allem schizophrenen Drum und musikalischen
Dran: Bernard Herrman wurde in London aufgetrieben und fabriziert die Musik,
die wir von ihm kennen. Sisters ist wohl der erste Ausweis von de Palmas
Hitchcock-Obsession. Die Kunst, die hier von Können kommt, darf man
bewundern und wahrscheinlich hat alles seine filmgeschichtliche Richtigkeit.
Wo bei Hitchcock die Obsessionen sich noch der katholisch verkorksten Seele
verdankten, da wird de Palma von der gleichfalls perversen Lust an der
Wiederholung des Meisters getrieben. Die Perversion liegt offen zutage und
ist sozusagen das objektive Korrelat ihrer selbst. Das ist aber auch der
Kern des Problems: Wo bei Hitchcock namenloser Schrecken nach formalem Ausdruck
verlangt, da rekonstruiert de Palma diese Ausdrucks-Strukturen nach den Regeln
der Kunst. Das Problem ist nicht, dass er weniger virtuos wäre als
Hitchcock. Das Problem ist, dass er weniger pervers ist. Man merkt es auch
an der forcierten Komik, die eine Idee ist, keine Notwendigkeit.
Peter und Bob Farrelly: Shallow Hal (USA 2001)
Die Farrellys sind in ihrer Bescheidenheit groß. Sie forcieren nichts
und suchen immer den direkten Weg. Sie pflücken aber, anders als es
in Komödien die Regel ist, die Scherze am Wegesrand und stürmen
nicht querfeldein. Denn der direkte Weg führt nicht zum Scherz, sondern
zu Botschaften und Werten, die simpel sind und nichts anderes sein wollen.
In der Einfachheit der Mittel, im Verzicht auf den Effekt, den das Billige
macht, sind ihre Filme ohne Falsch. Und natürlich täuscht die
Einfachheit, denn die Farrellys verlieren noch im Gröbsten weder Takt
noch Feingefühl. Sie schlagen sich bedingungslos auf die Seite der Schwachen
und diagnostizieren Verkommenheiten, indem sie erzählen, wie es sein
sollte inmitten der Welt, wie sie ist. Shallow Hal ist so nicht weniger als
ein Bildungsroman, der den Weg des oberflächlichen Hal in die Tiefe
nachzeichnet und den Zuschauer genau so lange am Herzen herumführt,
bis er zu sehen lernt wie Hal selbst.
Martin Scorsese: The Aviator (USA 2004)
So leer, so tot wie kein anderer Scorsese-Film. Ausgerechnet an einem
Phänomen des Irrsinns und des Exzesses wie Howard Hughes erstarrt die
Virtuosität Martin Scoreses zu einer Form von Kunsthandwerk, die sich
wie eine Rückbesinnung auf Papas, wenn nicht Opas Kino ausnimmt. In
jedem Bild steckt der Wille zum Gelungenen, aber auch die Angst vor dem Wagnis
irgendeiner Behauptung. Ins goldene Licht des Beginns getaucht hat simple
Psychologie einen verheerenden Auftritt und mit den enervierenden
Mimikrybemühungen Cate Blanchetts an der Hepburn-Legende findet der
Schrecken noch kein Ende. Natürlich ist das Buch einfach uninspiriert
und das Biopic ein Genre, dem man schon mit der wüsten Entschlossenheit
eines Ken Russell zu Leibe rücken muss, damit es einen Muckser tut.
Aber doch und doch ist dieser Film auch ein Bankrott der Regie, eine Studie
in formvollendetem Akademismus.
Alejandro Jodorowsky: Santa Sangre (Italien, Mexiko 1989)
Jodorowsky ist ein Meister des Grand Guignol und der Travestie. Ein Heiligenkult
um ein Mädchen mit abgehackten Armen und im Zirkusrund Amok laufendes
Begehren: daraus entfaltet sich eine Tragikomödie der Perversionen.
Was gelegentlich in eine Serie von fantastischen Bildeinfällen zu zerfallen
droht, halten zuletzt Motivwiederholungen- und variationen in grandioser
Manier zusammen. Das Blut aus dem Rüssel des Elefanten, die virtuose
Armlosigkeit, der Messerwurf, das Blut, das heilige Blut. Jodorowsky bedient
sich aus dem Reservoir des Katholischen, plündert Sakrament um Sakrament.
Es ist ihm jedoch nie um Profanierung zu tun, um eine Entheiligung, sondern
im Gegenteil um die perverse, travestierende Umschöpfung des Sakraments.
Plump und doch atemberaubend steigt die Seele als Gans aus dem Grab. Die
Urszene liegt in der Eucharistie von Tod Brownings "Freaks" ("We will make
her one of us"), dem "Santa Sangre" durchweg nahe steht. Fast schon
beglückend ist es zu beobachten, wie im entscheidenden Moment immer
der schmutzige Gedanke und der Splatter über den Hang zum pittoresken
Bildeinfall und zur folkloristischen Musikuntermalung triumphieren.
Kurz gesagt 5
Onir: My Brother Nikhil (Indien 2005)
Quasidokumentarisch der Rahmen der Erzählung: Die Schwester, die Eltern,
der Geliebte erinnern sich an Nikhil, der an Aids gestorben ist. Ein Schwimmstar
der Region, beliebt, bekannt und aus Angst und Verachtung gemieden, sobald
seine Erkrankung bekannt wird. Sein Vater verstößt ihn, der Geliebte
nimmt ihn zu sich, die Schwester hält zu ihm. Ein im Rahmen der
Bollywood-Parameter wirklich nüchternes Drama, das auf die Ausbeutung
von Emotionen verzichtet. Mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit wird
die schwule Liebesgeschichte dargestellt, Aussagen über den Weg der
Ansteckung vermeidet der Film ausdrücklich: weil es egal ist. Von etwas
merkwürdigen Day-for-Night-Aufnahmen und der weichgespülten Musik
abgesehen, ein sehr angenehmes Topical.
Breck Eisner: Sahara (USA 2005)
Ein Abenteuerfilm ist, wenn sie nicht miteinander schlafen. Es wäre
keine Zeit dafür, denn immerzu kommt etwas dazwischen, der WHO-Ärztin
(Penelope Cruz) und dem abenteuerlustigen Schatzsucher (Matthew McConaughey).
Die absurde, vor dem ziemlich großartigen Vorspann ins Bild gesetzte
Prämisse bereitet auf das Realitätsregister, in dem sich "Sahara"
bewegt, schon mal vor: In Afrika gestrandet sei, so die Vermutung, ein
gepanzertes Südstaatler-Schiff die "Texas" - aus dem amerikanischen
Bürgerkrieg, das auf der Flucht mal eben den Atlantik überquert
hat und auf nun ausgetrockneten Flüssen durch die Sahara schipperte.
Auch eine Rolle spielen eine die Weltmeere gefährdende Giftquelle und
ein schurkischer Präsident sowie sein geldgieriger Handlanger, die an
der Ausbreitung des Giftes alles andere als unschuldig sind. Die schönste
Szene ist die, in der die Helden den Raum finden, in dem sich nach den Regeln
des Genres der Goldschatz befinden müsste: Hier ist es, ein feiner
selbstironischer Zug, nur eine Giftmülldeponie. Weil es ein Abenteuerfilm
ist, steht die Liebesgeschichte sehr im Hintergrund. Im Vordergrund, und
das ist auch gut so, albern der Schatzsucher und sein Buddy sich von einer
Lebensgefahr in die nächste.
Gary Fleder: The Impostor (USA 2005)
Problematisch an der Verfilmung von Philip K. Dick-Kurzgeschichten ist der
viele Plot-Zwischenraum, der auf Spielfilmlänge bleibt: Gary Fleder
ist nicht der erste, der ihn mit viel Flucht und Schießerei füllt.
Den Dickschen Vorlagen, deren Action nie im Realen spielt, sondern in dessen
möglichen Varianten, läuft das merklich zuwider. Besonders enervierend
ist, dass Fleder keine Einstellung zu Ende denken kann und die wie stets
bei Dick faszinierende Grundidee in allerlei effektsüchtige Einzelteile
zerlegt, die mit dem Ganzen nichts zu tun haben. Die Idee ist nicht das erste
mal die, dass ein Mann sich seiner Identität nicht sicher sein kann:
Er wird verhaftet als einem menschlichen Vorbild täuschend nachgeahmtes
trojanisches Pferd, in dessen Herzen eine Bombe schlummert. Einen Film lang
kämpft er um den Beweis, für sich und seine Verfolger, dass er
der ist, der er zu sein glaubt. Die Implikation dieser Denkanordnung expliziert
sich am Ende, das wenigstens ist Fleders bestens besetztem Machwerk (Gary
Sinise, Madeleine Stowe) zugute zu halten, mit durchschlagender Konsequenz.
Tod Browning: The Show (USA 1927)
Cock Robin, der Zauberer, liebt Salome, die zwischen ihm und den
Besitzansprüchen des schurkischen Griechen hin- und hergerissen ist.
Cock Robin wiederum hat es auf das Geld einer ungarischen Landpomeranze
abgesehen, deren Vater der Grieche aus einem Hinterhalt erledigt. Das Geld,
die Frau: das Begehren der Männer prallt aufeinander. Und zwar vor
Zuschauern, deren männlicher Teil ausdrücklich, aber chancenlos
mitbegehrt. Browning macht seinen Figuren eine Szene nach der anderen, die
Kamera nimmt das Show-Geschehen nie ohne Publikum in den Blick. Ein
tödlicher Übersprung von der Bühne zum Betrachter ereignet
sich, der Leguan, die gefährlichste Attraktion, springt einem Zuschauer
an den Hals, der das nicht überlebt. Aber auch auf der Bühne selbst
ist im Tanz der Salome ein keineswegs nur fiktives Leben in Gefahr. Am Ende
sortieren sich von einem melodramatischen Tochter-Sohn-Vater Nebenplot
unterstützt die Dinge nach moralischer Art und lakonisch lautet
die letzte Schrifttafel: The Show goes on.
Tod Browning: West of Zanzibar (USA 1928)
Wieder eine Zaubershow, wieder Eifersucht: Phroso, der Zauberer, verliert
seine Frau an den Nebenbuhler. Sie schlagen sich, Phroso fällt vom
Geländer und ist querschnittsgelähmt, ein Freak, der sich fortan
auf seinen Händen voranbewegt. Bald darauf wird die Frau tot aufgefunden
in einer Kirche, sie hat ein Kind geboren und am Ende dieser wild bewegten
ersten zehn Minuten bereitet uns die nächste Schrifttafel auf Wilderes
vor: 18 Jahre später, Sansibar. Phroso, als Dead-Legs, sucht finsterste
Rache am Nebenbuhler, der mit Elfenbeinexport gutes Geld verdient. Von den
Schwarzen, die in allerlei ritualistischem Aberglauben und Abwehrtanz gefangen
scheinen, wird Phroso als Zauberer verehrt keine schlechte Karriere
-, während er sich mit abgewrackten Weißen umgibt, die die Rache
in Szene setzen sollen. Freilich hat er sich in einem entscheidenden Punkt
getäuscht, der ihm zum Verhängnis wird. Nur mit der Wiederholung
der Zaubershow, in der jetzt die Tochter durch die Rückwand des Sarges
verschwindet, lässt die Unschuld sich retten; an Phroso halten die
Schwarzen, in ihren Beerdigungsritualen durch den Zaubertrick ("no believe")
düpiert, sich schadlos.
Arnaud Desplechin: La Sentinelle (F 1992)
Ein Familienroman der deliranteren Art. Im Leben, genauer gesagt im Gepäck
des Pariser Botschafter-Sohnes und angehenden Pathologen Mathias taucht nach
der Rückkehr aus Bonn sehr unerwartet ein nach den Regeln der Kunst
einbalsamierter Kopf aus Russland auf. Mit ihm und seiner Bedeutung wird
Mathias fortan beschäftigt sein, schnippelnd im Labor, recherchierend
im Archiv, geheimnisvolle französisch-russische Geheimverbindungen
aufdeckend. Dieser wirklich durchgeknallte Einfall gibt der Milieustudie
der eingebildeten Jeunesse Dorée, die "La Sentinelle" auch ist, einen
Drall ins Absurde. Die Beziehungen Freundschaft, Verwandtschaft,
Konkurrenz, Eifersucht werden vom unernsten Ernst der politischen
Verwicklungen, die der Kopf mit sich bringt, überformt. Desplechin nutzt
seinen Verfremdungseffekt als Werkzeug, um das Geschehen und die Dialoge
unentwegt zuzuspitzen zu einer mal unterschwelligen, mal ausdrücklichen
Aggressivität. Lesbar ist das alles letztlich nur als Weltpolitisches
herbeifiebernde Größenfantasie einer zu Tode gelangweilten Jugend
im vermeintlichen Posthistoire.
Stephen Chow: Kung Fu Hustle (HK 2004)
Der Plot als Ermöglichungsstruktur für Pointen, die nur nach
Verrücktheitsgraden zu sortieren sind. "Kung Fu Hustle" ist der
Martial-Arts-Film als Special-Effects-Film als Animationsfilm. Diesen
Körpern ist alles möglich, Elasto-Fu, Wire-Fu, Effekt-Fu und
Pointen-Fu. Eine Gegenstandswelt im Zustand der Transformierbarkeit, die
mehr als den äußerlichsten Schein eines Zusammenhalts des
Plots, der Figuren, der Körper, der Orte nicht benötigt.
Entsprechend instabil, und das ist vielleicht die eigentliche Innovation,
die sich in der Chowschen Verquickung von mou lei tau und Martial Arts ergibt,
sind auch die Heldenfiguren, deren Heroismus strikt auftrittsförmig
bleibt. Unvermittelt bleiben die Superkräfte des Auftritts und der sofortige
Rückfall ins Unscheibare, der darauf folgt. Lesbar wird so aller
Superheroismus als nichts weiter denn die schiere
Selbstermächtigungsfantasie. Noch die sentimentale Liebesgeschichte
macht kurz vor der Erfüllung halt und in Sachen Kampf und Fu geht es
strukturell um nichts anders als das Wahrmachen der Antizipation: Ich werde
ein Held gewesen sein. Es ist dies die Zeitform der Fantasie, die in der
Regel übers ja durchaus nicht immer unbefriedigende bloße Antizipieren
nicht hinauskommt. Den vom Genre geforderten Momenten "wirklicher" Kampfkunst
ist so bereits in der Aktion und darstellungstechnisch in der mehr als
ersichtlichen Virtualität der Effekte die Rückkehr zum
Realitätsprinzip eingeschrieben.
Matt Dillon: City of Ghosts (USA 2004)
Das Bangkok des Films ist ein Ort, den man einzig auf Karten des Imaginären
eingetragen findet. Er liegt, das wird man auch sagen können, als
generalisiertes Exotikum nicht fern vom Klischee. Oder, anders: In jedem
Bild, das man sieht, in jedem Satz, der gesagt wird, in jeder Wendung, die
der Thrillerplot nimmt, ist das Klischee dieses Bildes, dieses Satzes, dieser
Wendung präsent. Die Stärke des Films liegt darin, dass er das
weiß. Es fehlt nie viel zum Umschlag in die Parodie und wenn man genau
hinsieht (auf Affen achtet und Schlangen und überhaupt auf Gerard
Depardieu), kann man erkennen, dass der Gehalt von Bildern, Sätzen und
Wendungen eben genau auf jenem Punkt siedelt, an dem etwas umschlägt
von da, wo es Ernst ist, dahin, wo der Ernst vergeht. Es ist dies genau der
Punkt, an dem Schund sich selbst transzendiert und zu etwas Deliziösem
wird. Genießbar wird darin die Schwebe zwischen dummem Ernst und dummer
Parodie, obwohl gar nichts anderes präsent scheint als diese Skylla
mit Charybdis ohne Wasser zwischendrin. Das schwebende Navigieren am
Umschlagspunkt von Ernst in Parodie produziert aber jene Leichtigkeit der
Gespenster, die in Filmen wie diesen umgehen. Es ist etwas Sublimes darin,
das sich jedem, der nur sieht, was zu sehen ist, auf immer entzieht.
Steven Spielberg: Krieg der Welten (USA 2005)
Der Film ist groß als Wahrnehmungskino. Die Bilder zu Beginn, wenn
die Körper unscharf ins Licht übergehen, ganz so, als sei der Blick
gerade erst erwacht und könne, überrumpelt vom Unbegreiflichen,
nicht wirklich erwachen. Die Vereinzelungen des Blicks auf verirrte
Gegenstände, das Scheitern der Syntheseleistung der Wahrnehmung wie
des Denkens im Angesicht des Außerordentlichen. Ein Hin und Her zwischen
Fesselung des Blicks und gewaltsamem Losreißen. Eine kleine
Phänomenologie weniger des Schreckens und Entsetzens als der Faszination
des Entsetzens, der sich entziehen muss, wer überleben will. Die
grundstürzendste Erfahrung, dass der Boden sich auftut unter den
Füßen, dass nichts und nirgends bleibt als Ort der Sicherheit.
Der Rest des Films ist dann (nicht unähnlich "Saving Private Ryan")
Bearbeitung dieses großartigen Beginns. Spielbergs Kino der Angst immer
als das einer Hegung, die sich die Unhegbarkeit mancher Ängste nicht
eingesteht, obwohl gerade dies die am tiefsten liegende und nur knapp
unter der Oberfläche des Films liegende - Angst sein dürfte, die
Angst vor der Ohnmacht. Die Erfahrung der Ohnmacht will Spielberg nur als
eine denken, die zur Selbstbemächtigung führt. Die Hegung und Heilung
wird, auch im Krieg der Welten, privatisiert, nicht nur familial, nicht nur
in der Einführung von Helden, die zu Helden nicht taugen, aber zu Helden
werden (dem Alter nach erwachsene Kinder, die erwachsen werden, meist
auch hier - gespiegelt in Kindern, die in vielem erwachsener sind), auch
technisch, in einer Bewegung des Abbremsens und Seinen-Platz-Findens, wenn
auch selten mit einer so brutalen Bereinigung wie hier. Das bedrohliche Fremde
im Eigenen muss hinter verschlossener Tür getötet werden und ich
frage mich, ob das nun zynisch ist oder naiv: Erwachsen ist, wer töten
kann, um zu überleben. Es bleiben ein guter Witz ("Diese Wesen kommen
von ganz woanders her." "Europa?") und ein kurzer Besuch in der Geisterbahn
(der brennende Zug). Immer dann, wenn Spielberg groß beginnt, ist die
Enttäuschung am Ende umso ärger.
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