Hocht trabt, eins, zwei, drei, der Titel daher: Moderne Film Theorie.
Drin sind dann aber nur Aufsätze, die Filmtheorien vorstellen (plus
Addendum, zu dem ich später komme). Keine Filme und keine Moderne, sondern
Informationen zu Theorien, Texten, Autoren neuerer Theorie und auch nicht
mehr ganz neuer, mit dem "Autorenkino" beginnt es. Mit diesem befasst sich
der Herausgeber Jürgen Felix und misst, als wäre es ihm eine
Pflichtaufgabe eher als eine Herzensangelegenheit, den Weg aus "von Hitchcock
zu Tarantino", "von René Clair zu Guy Maddin", vom klassischen Auteur
also zum ironischen, selbstreflexiven und zitatverliebten der Postmoderne
und von Bazin bis Sarris, der französischen zur amerikanischen Kritik
eher als Theorie. Nun war, das sieht auch Felix so, der Auteur-Begriff immer
eher ein kanonpolitischer Terminus als etwas, das sich theoretisch fassen
ließe oder mit dem man theoretisch viel Relevantes zu fassen bekäme.
Was ein Autor ist oder ein Werk, wird sich der Theorie wie der Filmgeschichte
immer (auch) innerhalb eines Netzes anderer Parameter erweisen. Cineasten
dagegen sind es, die von Autoren nicht lassen können, als der nicht
wegzudiskutierenden Tatsache, dass auf den Anhalt, den der Name des Regisseurs
gibt, allzuoft Verlass ist: für Verehrung und Ablehnung, für ein
Bild von der Welt und der Kunst, das man teilt oder nicht.
Nüchtern, mit empirischem Interesse, entsprechend verlässlich
und langweilig Knut Hickethiers Vorstellung dessen, was man aus dem Genre-Begriff
machen kann, wohin er führt, wie weit er trägt, von Georg Seeßlen
bis TV-Formate, arg treuherzig gelegentlich, wenn es etwa heißt: "Der
Kriminalfilm mit seinen Subgenres des Detektiv-, Polizei- und Gangsterfilms
thematisiert ebenfalls eine Grenzüberschreitung, jedoch innerhalb der
bestehenden Gesellschaften. Der Täter verletzt die bestehenden Normen
und spricht damit im Zuschauer ein Bedürfnis an, auch einmal die bestehenden
Verhältnisse mit ihren Regeln außer Kraft setzen zu können."
Andernorts werden Bedürfnisse geweckt, das Buch angesichts derart
aufregender Einsichten nun zuzuklappen. Was schade wäre, denn mit der
Art, wie Frank Kessler einem Saussure und Metz und jede Menge Strukturalismus
serviert (lang ist's her, muss man sagen), kann man ebenso leben wie mit
Hermann Kappelhoffs souveränem und sich selbst durchaus überzeugend
positionierendem Streifzug durch die diversen Varianten psychoanalytischer
Theorie mit ihren intensiven, für einige Zeit höchst einflussreichen
Kontaktaufnahmen mit dem Kino wie der Filmwissenschaft. Von hier zum Kapitel
über feministische Filmtheorie (Autorin Heike Klippel) ist's ein kurzer
Schritt. In keinem anderen Feld aber ist derzeit - trotz oder wegen der
Stagnation der Verhältnisse - so viel Bewegung, nicht zuletzt aus wachsender
Unsicherheit und Einsicht in die Folgenlosigkeit vergangener Kämpfe.
Mit Laura Mulveys und diversen psychoanalytischen Gewissheiten vom Blick,
den der Film als (patriarchalischer) Text der Zuschauerin und dem Betrachter
aufzwingt, ist es nicht mehr so weit her wie noch vor zwanzig Jahren. In
der distanzierteren Haltung zur hergebrachten feministischen Theorie - in
Deutschland bei Autorinnen wie Annette Brauerhoch oder Renate Lippert - mag
ein Stück Resignation stecken, aber auch die Bereitschaft und der Wille,
neue Wege zu beschreiten.
Es folgt, beschrieben von Britta Hartmann und Hans J. Wulff eine
Darstellung des Bordwell-Thompsonschen Neoformalismus, also der gegen alle
theoretischen (sei es nun politischen, psychoanalytischen oder philosophischen)
Spekulationen gerichteten programmatischen Besinnung auf Erzählstrategien
und "Devices", auf formale Entwicklungen, die Geschichte machen als das,
was Stile und Epochen unterscheidet. Die Rezeption dieser Wiederkehr des
mal zu verblüffenden Einsichten führenden, mal störrisch den
Wirklichkeits- gegen den Möglichkeitssinn ausspielenden Formalismus
in Deutschland nimmt gerade an Fahrt auf - die zentralen Texte aber harren
noch der Übersetzung. Deshalb ist vielleicht gerade dieses Kapitel für
den, der sich orientieren will auf dem weiß Gott diversifizierten Markt
der Theorie, am wenigsten verzichtbar. Keinen schärferen Kontrast gibt's
in diesem Band als den zwischen Bordwell und dem was folgt, Lorenz Engells
und Oliver Fahles Darstellung nämlich der Deleuzeschen Filmphilosophie.
Der Deleuze des "Bewegungs-" wie des "Zeitbilds" ist wohl das originellste
und aufregendste (apropos: wo ist eigentlich Cavell geblieben in diesem Band?)
in Sachen Filmtheorie und auch das am wenigsten kommensurable. Man weiß
darum nicht, ob man die gelungene Zusammenfassung des Deleuzeschen Werks,
die die Autoren bieten, loben oder doch kritisch anmerken soll, dass sie's
bei der immanenten Wiedergabe belassen, ohne den Versuch, Anschlüsse
herzustellen oder aus der oft die Stacheln gegen das theoretische Umfeld
aufstellenden Terminologie von Gilles Deleuze auszubrechen, der Leserin und
dem Leser zum Anhalt, auf welchen Ebenen der Abstraktion und der Reflexion
sich Deleuze eigentlich bewegt. Was man sich bei der Lektüre der beiden
Bände fragt, findet hier leider keine Antwort.
Die beiden letzten Aufsätze: Drehli Robnicks souveräne
Gegenüberstellung vor allem von phänomenologischer Theoriebildung
(Merleau-Ponty und Sobchack) und Kracauers Bemühungen um die Erfassung
des Kino-Erlebens als anderer, gerade nicht auf abstrakte Theorie und
geklärte Subjekt-Objekt-Verhältnisse abziehbarer Art des
In-der-Welt-Seins des Menschen. Und Joachim Paechs etwas beliebiges
Mäandern durch eine Reihe von Phänomenen, die er alle unter den
Begriff und den Hut der "Intermedialität" zu bringen sucht. Das theoretische
Interesse aber scheint sich hier irgendwann in der lustlosen Aneinanderreihung
von Varianten des Zusammentreffens verschiedener "Medien" mit dem Kino zu
verlieren. Ein schwacher Beginn also, ein schwacher Schluss: mittendrin aber
wird man vielfach auf den neuesten Stand der jeweiligen Theorie gebracht.
Erfreulich die ganz unideologische Offenheit des Herausgebers, der hier das
Unversöhnlichste durch ausgewiesene Experten des jeweiligen Bereichs
für sich sprechen lässt, ohne dem Leser irgendwelche Vorlieben
vorschreiben zu wollen (dass ein Kapitel zum Neo-Marxismus fehlt, ist keine
Absicht; es war eines geplant und kam, warum wird nicht erläutert, nicht
zustande.)
Die pointierteste These des Bandes - auch dem Herausgeber geschuldet
- findet sich im übrigen nicht in der Auswahl der Theorien, sondern
in einer Eigenart der Darstellung. An jedes der Theoriekapitel nämlich
schließt sich ein mal längerer, mal kürzerer Abschnitt an,
der, an jeweils einem Film, die Anwendbarkeit der Theorie in der konkreten
Analyse belegen soll. Mit der gegenseitigen Scheu oder dem Desinteresse,
die für gewöhnlich das Verhältnis von Theorie und Gegenstand
belasten, wird hier also kurzer Prozess gemacht und die Autoren dürfen
und müssen sich auf dem Feld der mehr Präzision und zugleich den
freihändigeren Umgang mit dem Objekt fordernden Analyse bzw. Kritik
bewähren. Erwartungsgemäß gelingt dies unterschiedlich gut.
Eher unbeholfen nimmt sich Frank Kesslers semiotische Untersuchung von Oliver
Stones JFK aus; beeindruckend - wenn auch ein wenig lang geraten -
ist Hermann Kappelhoffs psychoanalytische Lektüre von Titanic.
Achtbar schlagen sich Engell und Fahle in der Erarbeitung Deleuzescher Kategorien
an Tom Tykwers Winterschläfer. Vor allem eines machen diese
Paarungbildungen von Theorie und Gegenstand - über subjektive Vorlieben
der jeweiligen Autoren geradezu objektivierend hinausgehend - deutlich: die
Theorie wählt sich Vorzugsobjekte, an denen ihr Zugriff aufs Feld der
Gegenstände am besten zur Wirkung kommt. Nicht jeder Film hat jeder
Theorie eine interessante Seite zu bieten. Und umgekehrt, für die Kritik,
gilt, dass Eklektizismus das höchste Gebot ist. Die Utopie der Verbindung
von Kritik und Theorie wäre, vom Gegenstand her, dem Film in der
Beschreibung den Blick anzumessen, der ihm der gemäßeste ist.
Die Herausbildung dieser Wahlverwandtschaften ist, zuletzt, vielleicht der
anregendste Aspekt dieses alles in allem höchst verlässlichen -
und im deutschen Srpachraum eine schmerzliche Lücke füllenden -
Bandes. |