Als das Hongkong-Kino im Westen im großen Stil entdeckt
wurde, in den späten 80er und frühen 90er Jahren, hatte die New
Wave - für die, je unterschiedlich, Namen wie Tsui Hark, John Woo oder
Ann Hui stehen -, ihren Höhepunkt fast schon wieder überschritten.
Einige der wichtigsten Regisseure der damaligen Kronkolonie versuchten sich
nach ihrer Entdeckung im Westen in Hollywood, mit meist eher bescheidenem
Erfolg. Inzwischen hat die Bugwelle der Aufmerksamkeit die naturgemäß
etwas langsamer rezipierenden Akademien erreicht. David Bordwell, der im
Moment vielleicht wichtigste Filmwissenschaftler, hat 2000 ein Standardwerk
vorgelegt, das in gewohnt präzisen Analysen die formalen Differenzen
des Hongkong-Kinos im Verhältnis vor allem zu Hollywood und damit auch
seine Eigenständigkeit auf den genauen Begriff bringt. In deutscher
Sprache hat nun der kleine und sehr engagierte Bender-Verlag als zweiten
Band seiner wissenschaftlichen Reihe "Filmforschung" Petra Rehlings für
die Veröffentlichung gekürzte Dissertation mit dem Titel "Schöner
Schmerz" vorgelegt. Er hat damit, um es kurz zu machen, niemandem einen Gefallen
getan.
Der Untertitel verrät, in welche Richtung das Unternehmen gehen
soll: "Das Hongkong-Kino zwischen Traditionen, Identitätssuche und
1997-Syndrom". Für die Abteilung "Traditionen" steht das erste Kapitel,
in dem Rehling einen Überblick über die ersten achtzig Jahre -
von 1898 bis 1979 - zu geben versucht. Die weiteren Teile laufen dann auf
das, was sie das 1997-Syndrom nennt, zu - also die Auseinandersetzungen mit
der seit den 80er Jahren mit Gewissheit bevorstehenden Rückgabe der
britischen Kolonie an die Volksrepublik China. Der Hongkong-Film wird analysiert
als Spiegel der Mentalität der Bewohner des Stadtstaats: in ihm soll
sich die Suche nach einer Identität zwischen kolonialer Westbindung
und Entwurzelung der chinesischen Herkunft zeigen als Entwicklung von einer
"Konsolidierung von Heimatgefühlen" (Kapitel 3) zum "Individualismus"
(Kapitel 4). Der Zugriff also ist nicht - wie bei Bordwell - ein formalistischer,
sondern, und hier muss man den wahrlich kongenial formulierenden Klappentext
zitieren: "Petra Rehling bedient sich der Methode der Cultural Studies".
Bedienen nämlich tut sie sich tatsächlich, und zwar wahllos bei
den verschiedensten Theoretikern (von Fredric Jameson bis Henry A. Giroux),
deren teils ohnehin nicht hohes analytisches Niveau sie mit einiger
Naivität unterschreitet. Nachgeplappert ohne jede Kritik oder
eigenständige Fragen werden Plattitüden wie, in einem ganz beliebig
herausgegriffenen Beispiel: "Vertrautheit mit Populärkultur kann
Gemeinschaftsgefühle unter gesellschaftlichen Gruppierungen entwickeln
und bis zur Gründung von Fankulturen reichen." Aha. Eine ungelenk
formulierte Trivialität, ergo Wissenschaft. So geht das ohne Ende fort,
ohne erkennbare methodische Strukturierung, irgendwie kommt alles vor, von
"Konsumkultur" bis "Rolle der Frau", jeder Ansatz zur genaueren Analyse einzelner
Filme oder Regisseure jedoch wird sogleich untergepflügt in den
unfruchtbaren Boden dahergelaufener bzw. daherzitierter Allgemeinplätze
jener Afterform von Postmoderne, die in dem, was "Cultural Studies" heißt,
im schlechtesten Fall Methode wird. Zitat: "Menschen in einer Großstadt
wie Hongkong haben sich an kurze 'Sinnesschnipsel' gewöhnt: an einen
Wahrnehmungs- und Erzählmodus, der sehr viel mit den rapiden, blitzartigen
Schnittfolgen von MTV-Musikvideos gemein hat." Was das genau heißen
könnte oder ob's nicht bloßer Unsinn ist, das wäre doch zu
zeigen, nicht vorauszusetzen. Rehling aber zeigt nichts, sondern steckt
allermeist die Filme, auf die sie sich bezieht, in eine ihrer
übergroßen Schubladen. Sie denkt nicht vom Gegenstand her, sondern
von zur interpretatorischen Feineinstellung kaum genutzter Theorie, zu der
das Einzelwerk dann passend gemacht wird. Weil sie nicht sucht, was gegen
den Strich der vorgefassten Meinung läuft, wird sie auch nie fündig.
Für den Eigensinn des Films als ästhetischem Gegenstand fehlt jedes
Verständnis - aber vielleicht kommt das davon, wenn man sich der Methode
der "Cultural Studies" "bedient".
All das ist schlimm genug. Zur Qual aber wird die Lektüre dadurch,
dass Petra Rehling, um es so hart zu sagen, wie es nötig ist, ein
außerordentlich gespanntes Verhältnis zur deutschen Sprache hat.
Genauer: es herrscht da eine tiefe Feindschaft, die der Leser, da offenbar
auch kein Lektor eingegriffen hat, nun ausbaden muss. Was ist etwa - vom
Inhalt jetzt mal abgesehen - von solchen Sätzen zu halten: "Zeit ist
eines der Faktoren, die vom Medium Film beherrscht werden können. Sie
ist für den Film, ja für jeden Text, ein dehnbarer Begriff, den
zu definieren, es sich sehr viele Künstler zur Aufgabe machten. (...)
Besonders der Filmemacher Wong Kar-wai widmete der Zeit einen großen
Teil seines Ausdrucks." Diese Gedanken- und Sprachhavarie ist kein Einzelfall,
im Gegenteil. Es schmerzt durchaus, das zu schreiben, angesichts des
Fleißes, der ohne Zweifel drin steckt, auch angesichts des Engagements
des Verlags: aber dieser Band ist ein einziges Unglück. Allen Freunden
des Hongkong-Kinos kann man getrost raten, ihn zu ignorieren. Angst und bange
aber wird einem, wenn man bedenkt, dass er in Deutschland zum ersten Anlaufpunkt
für Neugierige und theoretisch interessierte Nicht-Kenner werden
könnte. Dann nämlich hat dieses zudem seltsam leidenschaftlos daher
kommende Buch nicht nur keinen Nutzen. Dann ist der Schaden, den es anrichtet,
womöglich beträchtlich. Ein Jammer. |