Das Drehbuch zur zweiten Auflage des Buchs Subversion zur
Primetime, der ersten kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit
dem Serienphänomen Die Simpsons, könnte vom Schöpfer
Matt Groening persönlich stammen. Just nachdem der Schüren-Verlag
das Buch in erster Auflage publiziert hatte, sah er sich mit einer Strafandrohung
des Rechteinhabers 20th Century Fox wegen angeblicher Verletzung
des Urheberrechts konfrontiert. Sofort hat der Kenner der Serie den arroganten,
bebrillten Anwalt der Simpsons vor Augen, der als Deus ex
Machina stets zur Stelle ist, wenn ein Charakter der Serie eine
Urheberrechtsverletzung begeht. Dann wird etwa Grandpa Simpson, der gerade
seinen zweiten Frühling erlebt und Chaplins berühmten
Brötchentanz aus Goldrausch ganz rührselig aufführt
stante pede mit einer einstweiligen Verfügung des Anwalts in
seine dürftigen Schranken verwiesen. Stein des Anstoßes im Fall
Schüren waren vor allem die dem Buch notwendigerweise beigefügten
Bildzitate, die, schwarz-weiß und als Videostills nicht eben von
höchster Qualität, eindeutig als Zitate erkennbar und damit eigentlich
urheberrechtlich legitimiert waren. Offensichtlich hatte man aber bei
Fox Angst davor, dass jemand in der Annahme, ein offizielles
und damit qualitativ in jeder Hinsicht befriedigendes Merchandising-Produkt
zu erstehen, irrtümlich zum Schüren-Buch greifen könnte und
sich aus Missgefallen über die kleinen, gar nicht bunten Photos nie
mehr an der breiten Produktpalette des Hauses Fox verlustieren
werde. Ausgerechnet die Serie, die immer wieder medienkritisch
Marketingmechanismen reflektiert und selbst aus unendlich vielen Zitaten
besteht, wird Auslöser eines absurden Copyright-Streits. Die zweite
Auflage durfte jetzt doch erscheinen, etwas Cover-Kosmetik und genaue
Zitatangaben zu jedem Photo scheinen eine Verwechslungsgefahr nun
auszuschließen.
Das Buch von Michael Gruteser, Thomas Klein und Andreas Rauscher versteht
sich als Cultural Studies-Reader und ist daher recht offen konzipiert. Das
enorme Simpsons-Sellout findet ebenso Berücksichtigung wie
temporäre Brüche in den Geschlechtsbildern und der
Versuch einer topographischen Rekonstruktion der Cartoon-Stadt Springfield.
Die, um es vorweg zu nehmen, rundum gelungene Analyse der Serie inklusive
ihrer außermedialen Effekte wird getragen von einer eindrucksvollen
Detailkenntnis und der spürbaren Begeisterung der Autoren für ihren
nunmehr knapp 300 Folgen umfassenden Gegenstand. Was alle Kapitel wie ein
roter Faden durchzieht ist die Behandlung des Phänomens der
Intertextualität, das in der Strategie der Serie die wohl bedeutendste
Rolle spielt.
Andreas Rauscher hält die Serie so auch für eine ins
Unendliche ausufernde Enzyklopädie des postmodernen Alltags, die
beständig popkulturelles Wissen sammelt und vermittelt. Das gilt auch
für die mittlerweile zu einem Who is Who angewachsene Liste
der Gastauftritte prominenter und ehemals prominenter Zeitgenossen, die ihrem
gelben Comic-Äquivalent bereitwillig ihre Stimme geliehen haben: Stephen
Hawkings, Kim Basinger, Paul McCartney, Mel Gibson, John Waters et al. Der
Gastauftritt dient als selbstironischer Verweis auf Image und Rollenbiographie
des Stars oder weitet sich aus zum Diskurs über die vom Star auf der
fiktionalen Ebene eines Films und die im medialen Alltag übernommenen
Rollen, sowie die damit assoziierten Phänomene. Selbst Michael
Jackson versuchte über einen Auftritt bei den Simpsons sein
verdächtig gewordenes Neurotiker-Image zu postmodernisieren: Homer Simpson
lässt verlautbaren, er habe in einer Irrenanstalt den leibhaftigen
King of Pop getroffen, der nun für einige Tage bei den Simpsons
logieren werde. Die daraufhin vor dem Haus der Simpsons wartenden Massen
werden allerdings wie die Zuschauer, die in Trailern auf den prominenten
Auftritt scharf gemacht wurden, bitter enttäuscht. Der angebliche Superstar
entpuppt sich als der übergewichtige weiße Maurer Leon Kompowsky,
der seine notorischen Wutausbrüche durch das imitieren der typischen
Jackson-Spreche unter Kontrolle gebracht hat. Im Lauf der Folge zeigt sich
jedoch, dass Kompowsky nicht nur über erstaunliche Detailkenntnisse
aus der Karriere des Thriller-Stars verfügt, sondern sehr
wahrscheinlich doch die unbekannte Person hinter Michael Jackson ist.
Tatsächlich wurde Kompowsky von Jackson synchronisiert, auch wenn er
im Abspann der Serie unter dem Pseudonym John Jay Smith aufgeführt wurde.
Die Autoren haben einfach die unzähligen und grotesken Mythen, die sich
um den Superstar ranken, wörtlich genommen und schließlich durch
Überaffirmation dekonstruiert. Manchmal funktioniert ein
solcher Cameo aber auch einfach nur als surrealer Gag am Rande.
In seinem so brillanten wie knappen Essay weist Diedrich Diederichsen
auf das gelungene Konzept postmoderner Aufklärung hin, dass
Matt Groening mit seiner Serie verfolgt. Ein unendlicher Anspielungskosmos
kann erkundet werden und so erzeugt auch noch die Lektüre der Wiederholung
der Wiederholung einen aufklärerische[n] Gewinn. Die
enormen Wissensmassen, die hier durchprozessiert werden, lassen die Sendung
jedoch nicht elitär werden. Die Simpsons werden von Kindern,
die weder Jim Messina noch Jaques Derrida noch Richard Nixon kennen, noch
den Omega Man, The Shining oder Brother From
Another Planet gesehen haben, durchaus bis ins Detail verstanden und
auswendig gekonnt.
Die Referenzen der Simpsons beziehen sich gerne auch auf
das eigene Genre des Zeichentricks. Einmal erklärt Lisa ihrem Bruder
Bart, dass Cartoons nicht unbedingt realistisch sein müssen, während
man im Bildhintergrund für ganz kurze Zeit Homer Simpson sehen kann,
der am Wohnzimmerfenster vorbei spaziert obwohl er zur gleichen Zeit auch
auf der Couch im Bildvordergrund sitzt. Oder: Lisa ärgert sich
darüber, dass mal wieder eine Folge der ultrabrutalen und konsequenten
Tom und Jerry-Paraphrase Itchy und Scratchy aus altem
Episodenmaterial zusammen geschnitten wurde. Enttäuscht schaltet sie
den Fernseher ab und gesellt sich zum Rest der Familie, worauf man sich im
trauten Kreis amouröse Anekdoten erzählt, welche sich dem Zuschauer
freilich in Form von Ausschnitten alter Simpsons-Folgen
präsentieren. Diese intertextuellen und selbstreferentiellen Verweise
finden sich oft im kleinen, übersehbaren Bilddetail wieder, erstrecken
sich jedoch auch auf die Tonebene, etwa in Form von Anklängen klassischer
Genre-Soundtracks. Thats Metateinment!
Die Serie ist, da sind sich alle Beiträger des Buches einig und
die These dürfte nur schwer zu widerlegen sein, die intelligenteste
US-amerikanische Fernsehproduktion der letzten Jahre, vielleicht sogar aller
Zeiten. Mit den Simpsons wird die programmatische Forderung der
Postmoderne nach dem Schließen der Gräben zwischen Massen- und
Hochkultur auf ebenso elegante wie amüsante Weise eingelöst.
Statt mit viel Schweiß einen eklektizistischen Elfenbeinturm
in Heimarbeit zu basteln, leistet das Autorenkollektiv der Simpsons
massenwirksame Übersetzungsarbeit in Sachen Popkultur. Von diesem
ewigen laterale[n] Apropos, das Alltagswissen, Mythos und jegliche
Art von Diskurs miteinander verknüpft profitiert auch das unbedingt
lesenswerte Buch von Gruteser, Klein und Rauscher. |