David Bordwell ist ein in den USA und den englischsprachigen
Ländern einflussreicher Filmwissenschaftler - in Deutschland dagegen
wird er bisher wenig rezipiert. Sein Zugang zum Film ist mit allen Richtungen
allseits gängiger Theorie, etwa nach wie vor epidemisch verbreiteter
Psychoanalyse, kaum ins Gespräch zu bringen, daher vielleicht seine
Unbekanntheit hierzulande. Der Verlag der Autoren hat sich nun entschlossen,
etwas dagegen zu unternehmen und nicht etwa einen vorliegenden Band einfach
übersetzt, sondern aus einer von Bordwell in München 1999 gehaltenen
Vorlesungsreihe (am kunstwissenschaftlichen Institut!) ein eigenständiges
Buch gemacht, an dem die Methode des Wissenschaftlers glänzend kenntlich
wird.
Bordwell ist Formalist, falls man eine Schublade sucht, und das
heißt: ihn interessiert, wie Filme gemacht sind, nicht was sie bedeuten,
bedeuten könnten oder wie sie ideologisch lesbar wären. Ihn
interessiert die Grammatik der Filmsprache: Schnitt/Montage, Mise-en-scène,
Einsatz der Kamera und dies alles im Verhältnis zueinander. Dieser Zugang
ist einerseits, geradezu strukturalistisch, ahistorisch, insofern sich die
heraus gearbeiteten Möglichkeiten zu wenigen, streng genommen: nur zwei,
Paradigmen verdichten: von der von Bordwell so genannten
Präzisionsinzenierung, die mit dem Dreieck räumlicher Tiefe, das
die Kamera öffnet, inszenatorisch arbeitet. Eine Variation dieses Paradigmas
ergibt sich durch das In-Bewegung-Setzen der Kamera, einer Bewegung in Richtung
Choreografie von Personen/Gegenständen und Kamerabewegung selbst. Das
Gegenparadigma ist das der Montage mit ihren Untervarianten flüssiger
Découpage, der Auflösung in eine Vielzahl von Einstellungen mit
master shots und Halbnahen/Close-Ups von Ausschnitten, und der konstruktiven
Montage.
Der Clou von Bordwells Streifzug durch die Filmgeschichte (der
durch unzählige Stills in dem Band eindrucksvoll begleitet
wird) ist, dass er diese Paradigmen historisch entwickelt, dass er aufzeigen
kann, wann und wie sie entstanden sind, welche Moden und Renaissancen sie
durchmachen, wie sie variiert werden etc. Für jede der Epochen, die
er in seiner Vorlesungsreihe behandelt - Stummfilm, früher Tonfilm,
Fünfziger Jahre (mit fast ausschließlich japanischen Beispielen),
Neunziger Jahre (wobei er die Lücke kursorisch füllt) - gibt es
durch die formalistische Lektüre faszinierende Einsichten: Bordwell
versteht es, dem Blick aufs Einzelbild, auf jeden einzelnen Schnitt, jede
Bewegung von Kamera oder Figur, die innewohnende Logik abzulesen, bzw., wie
am Beispiel von Michael Bays The Rock, gerade das Fehlen einer solchen.
Präzise kann er so inszenatorische Meisterschaft benennen. Mit großer
Begeisterung demonstriert er originelle Lösungen und Auflösungen.
Sein eigener Standpunkt ist dabei recht vorurteilsfrei: so sehr er die
Präzisonseinstellung aus dem Halbdunkel der filmgeschichtlichen
Geringschätzung retten will und so sehr er längere Einstellungen
den seit den siebziger Jahren in Mode gekommenen rasanten Schnitten vorzieht:
stets kommt es ihm vor allem darauf an, zu zeigen, wie ein Film/ein
Regisseur/eine Sequenz funktioniert.
Mit großer Konsequenz verzichtet Bordwell auf Hermeneutik,
Ideologiekritik, Auseinandersetzung mit Figurenpsychologie, Narratologie:
also alles, was man als Inhalt dem Formalen gegenüberstellen kann (einzig
ganz am Ende der Vorlesungen wird man mit seiner Auffassung überrascht,
dass er alle Kitano-Figuren für Halbwüchsige hält). Ja, er
verzichtet sogar darauf, aus seinen formalen Einsichten - über
Blicksteuerung, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit etc. - irgendwelche generellen
oder auch spezifischen Schlüsse zu ziehen. Sein Ansatz ist deutlich
begrenzt und soll es auch sein. Was immer man aber sonst noch über Filme
sagen wollen kann: sich durch Bordwell den Blick fürs Detail schärfen
zu lassen, kann in gar keinem Fall schaden.
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