Das Kino zu lieben heißt das Leben zu lieben, das man nicht
haben kann. Die Liebe zum Kino also ist reine Projektion, nicht aber als
Verkennung. Das Bewusstsein des ewigen Verfehlens von Leben und Kino macht
den Liebhaber des Kinos zum Melancholiker, der das immer viel zu kleine eigene
Glück kompensiert durch das große Glück auf der Leinwand.
Was er genießt, ist so das Verfehlen wie das Wissen darum, ist die
Kompensation wie - sogar - die eigene Melancholie, die, könnte man sagen,
durch die - sei es projizierte - Ereignislosigkeit des eigenen Lebens ja
auch hart erarbeitet ist. Ein double bind, im übrigen, denn: aus der
Einbildung, im Kino das eigene Leben immer zugleich zu verfehlen und auf
ungeheure Weise (als falsches?) zu vervielfachen, führt kein Weg hinaus.
Von diesen Zusammenhängen erzählt Michael Althens Buch "Warte
bis es dunkel ist". Es tut dies freilich in keinesfalls theoretisierender
Weise. Vielmehr ist es genau das, was der Untertitel sagt: "Eine
Liebeserklärung ans Kino". Immer spricht hier ein Liebender, in dessen
Sprache noch in den reflektierenden Passagen diese Liebe nachzittert - und
in der schwärmerischen Vergötterung der weiblichen Stars fallen
die Worte schon mal ganz zurück ans Klischee. Man muss, manchmal, das
Pathos schon aushalten können, den Kitsch auch, der die Beschreibung
befällt, wenn es um den Gegenstand unbedingter Liebe geht: "Ihre Lippen",
heißt es über Michelle Pfeiffer, "sind geradezu die Wunde, durch
die unsere Träume in ihren Körper eintreten, der Ort, an dem gegen
den Hochmut ihres Körpers eine Trauer sitzt, welche die Hoffnung
nährt, ein Kuss könne womöglich alles retten." Wer Sätze
wie diesen indiskutabel findet, für den ist das Buch so wenig geschrieben
wie für den, der keine Ahnung hat davon, was es heißt, mit Haut
und Haar dem Kino verfallen zu sein.
Das heißt nicht, dass Althen im rechten Moment nicht auch zum
selbstironischen Bericht aus dem wirklichen Leben in der Lage wäre,
in dem er Michelle Pfeiffer gegenüber sitzt und es fehlen ihm die Worte,
die Gedanken und überhaupt alles, was ihn als halbwegs intelligenten
Fragesteller erscheinen ließe (Frau Pfeiffer wird dann ans Telefon
gerufen und kehrt nicht wieder). Als dies geschieht, ist Michael Althen
längst einer der angesehenen Filmkritiker der Republik - die Beschreibung
seines Wegs dahin aber macht den vielleicht charmantesten Teil seiner
Kino-Geschichten aus. Programmatisch verschaltet er gleich im zweiten Kapitel
"14. Oktober 1962" den Beginn seines Lebens mit dem Kino und mit seiner
Heimatstadt München (über die er übrigens gemeinsam mit Dominik
Graf einen sehr schönen Essayfilm gedreht hat). Er liest in der
Süddeutschen Zeitung nach und zählt auf, welche Filme da
liefen, von "Mariandls Heimkehr" bis "Der Mann, der Liberty Valance erschoss".
Er schweift durch das Kinojahr, von Chris Markers "La Jetée" bis zu
Brigitte Bardot und "Privatleben". Und eines fällt ihm auf: Keines der
Kinos, in denen damals, im Jahr 1962, diese Filme gezeigt wurden, existiert
heute noch.
Es ist kein Wunder, für einen Autor, der ein so persönliches
Verhältnis zu seinem Gegenstand hat, dass er im Subjektiven wie im
Anekdotischen mehr Wahrheiten findet als in allen Objektivierungen. Genauer
gesagt: Die Schwärmerei Althens ist die Vorderseite eines sehr spezifischen
Verhältnisses zum Kino als Kunst. Kritik ist für ihn in erster
Linie Annäherung an etwas wenig Greifbares: eine Gestik vielleicht,
eine Atmosphärik des Kinos. Und dazu gehört alles: das, was auf
der Leinwand zu sehen ist, das, was sich jenseits der Leinwand abgespielt
hat und als Klatsch verbreitet wird, aber auch das, was das Kino im Kritiker
auslöst. Der ist Subjekt mit all seinen Idiosynkrasien - die jedoch,
das zeigt etwa das Kapitel zu den prägenden Fernseherlebnissen, über
die Einmaligkeit des Zufalls, der immer im Spiel ist, ihre Anschlüsse
finden im partiell geteilten Horizont kollektiver Generationenerfahrungen.
Das heißt auch: der Kritiker hält, indem er sich zu seiner Erfahrung
bekennt, fest, was nachfolgenden Generationen verloren sein wird. Einen Blick,
der sich der historischen Konstellation verdankt, in die er hineingeboren
ist. Es wird, vielleicht, der zehn Jahre später Geborene, die
Vergötterung Romy Schneiders oder Jacqueline Bissets nicht mehr begreifen
können. Auch darin liegt die Melancholie produzierende Fragilität
der emphatischen Schwärmerei. Das Wir, das manchmal durchaus irritierend
an der Stelle des Ich steht, ist so nicht so sehr Vereinnahmung des Lesers
wie (immer auch vergebliche) Beschwörung einer Gemeinsamkeit.
Die schönsten Kapitel des Buches sind daher die, in denen Althen
konsequent von sich erzählt. Von seiner education sentimentale, die
das Kino geleistet hat, im Münchner Filmmuseum, dem "Keller der endlosen
Seligkeit", und in der B-Movie-Gegenwelt im Hinterhofkino in der
Fraunhoferstraße. Es ist dies alles im Grunde - gewiss nicht ohne Pathos
- angeschrieben gegen die Furie des Verschwindens, dem die elektrischen Schatten
auf der Leinwand nichts als den Schein der Dauer entgegenzuhalten haben.
Dieser Schein aber ist das Leben wert: "Alles ist schließlich
möglich, wenn es dunkel wird. Wirklich alles. Das ist schon ein großes
Glück." |