Was man sieht, bedarf der Erklärung und dass man am Ende
erst sie bekommt, ist ein grandioser Zug. Kein Twist, keine Überraschung,
die aus dem Nichts kommt und über einen herfallen will, sondern die
klare, nüchterne, schmerzhafte Erkenntnis: Darum. Natürlich.
Ein Mann auf seinem Motorrad, ein Rennen, die Nummer 77, die Kamera
folgt, der Ton bleibt immer wieder aus. Dann: Der Mann packt das Motorrad
in seinen Kombi. An einer Tankstelle eine junge Frau. Violet. Come with me,
sagt er. Und please. Zweimal. Please. Please. Wie Vincent Gallo in dieses
Please einen Schmerz legt, eine Verzweiflung, die so leise ist, dass sie
einem fast auch entgehen könnte. Die Verletzung bleibt namenlos, ganz
lange. Violet. Come with me. Violet steigt in seinen Wagen, sie küssen
sich, dann steigt sie aus. Der Mann, sein Name ist Bud, fährt weiter,
durch Städte, über Straßen, two-lane blacktop. Seltsam
verfärbtes Licht fällt durch die Windschutzscheibe. Vincent Gallo
von der Seite, Vincent Gallo von hinten, der Schmutz auf der Scheibe,
Straßen über Straßen. Filmen als Fahren, darunter liegt
Musik, sanft und pathetisch.
Besuch bei den Eltern, Daisys Eltern mit dem braunen Kaninchen. Wer
Daisy ist? Das kann ich nicht sagen, jetzt noch nicht, denn der Film sagt
es nicht, jetzt noch nicht. Eine Szene vollständiger, rettungsloser
Trostlosigkeit. Der Vater nimmt nicht Teil am Gespräch, diese Welt ist
nicht mehr seine Welt. Eine Welt, aus der man fallen kann und vielleicht
ist auch Bud, den Vincent Gallo spielt (aber er spielt ihn nicht, er spielt
ihn, als spielte er ihn nicht) aus ihr gefallen, versucht nur
zurückzufinden oder auch nicht, indem er fährt und fährt.
Dann hält er an, ein Rastplatz, eine Frau an einem Tisch, er zieht eine
Cola aus einem Automaten, er geht an der Frau vorüber, er dreht sich
um, setzt sich zu ihr. Sie küssen sich, Worte fallen nicht. Dann fährt
er weiter. Ihr Name ist Lily. Violet, Lily, Daisy.
Der Mann fährt, der Schmutz der Scheiben, immer wieder
Überblendungen von einer Straße in die nächste, und auch:
Abblenden, sanft, nicht abrupt, ins Schwarze. Er ist in einer Stadt, an jeder
Kreuzung fragt ihn eine Nutte, ob er Lust hat. Er lehnt ab, auch als Rose
ihn fragt. Dann fährt er um den Block, nimmt sie doch mit, er will nicht
mit ihr schlafen. Er bezahlt sie, sie steigt aus dem Wagen. Violet, Lily,
Rose, Daisy. Dann kommt er an, das Haus ist verlassen, er hinterlässt
eine Nachricht für Daisy, nimmt ein Zimmer in einem Motel. Zeit vergeht.
Dann kommt Daisy, sie entschuldigt sich, sie hatte keine Zeit sich
zurechtzumachen. Sie fleht ihn an, sie nicht zurückzuweisen. Sie bläst
ihm einen, es ist alles zu sehen und doch nicht wahr. Er dreht sich danach
auf dem Bett zur Seite, verzweifelt, er weint, er verflucht sie. Es wird
keinen Trost geben, keine Erlösung, das wissen wir spätestens jetzt,
denn wie in düstere, regenverhangene Dämmerung fällt die
Erklärung wie ein Blitz. Nun steht alles in großer Klarheit da:
Es wird keinen Trost geben, eine Ende nur, das kein Ende ist: Vincent Gallo
von der Seite, freeze frame, Schluss.
Ein ganz großer Moment und man wird davon halten dürfen,
was man will, mitten im Film. Der Mann packt in der Salzwüste von Salt
Lake, im Nichts und Nirgendwo, sein Motorrad aus dem Kombi, steigt auf,
fährt geradewegs ins Weiße hinein. Erst folgt die Kamera ein wenig,
dann bleibt sie zurück, hält nur das Verschwinden fest, den Moment
des Übergangs. Erst haften die Räder noch auf dem Weiß, dann
gerät das Motorrad in eine Zone der Spiegelung, des Flirrens, das Motorrad
schwebt wie im Nichts. Was diesem Bild alles Metaphysische austreibt (wenn
man will), ist der sachliche Schnitt, der folgt. Die Fahrt mit dem Kombi
geht einfach weiter, Straßen über Straßen und die Erlösung
bleibt aus, bis zum Ende.
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