Dr. Jekyll und Mr. Hulk
Der in Taiwan aufgewachsene und vielfach preisgekrönte Regisseur
Ang Lee ("Sinn und Sinnlichkeit", "Tiger & Dragon") versteht sich selbst
zu allererst als Künstler - und studierte diese Disziplin auch an
Hochschulen in New York und Illinois. Folglich rief die Nachricht, dass
ausgerechnet Lee das Marvel-Monster "Hulk" als knapp 140 Millionen Dollar
teuren Hollywood-Blockbuster auf die Leinwand bringen würde, vielerorts
Kopfschütteln hervor. Doch der 48-Jährige ließ sich von seinen
Zweiflern nicht beirren und drehte einen Comic-Film, wie man ihn so noch
nicht gesehen hat - ein außerordentliches Werk, das für
Gesprächsstoff sorgt und dabei Publikum wie Kritiker entzweit. Immerhin
scheint sich das Risiko gelohnt zu haben: Die Geschichte eines Wissenschaftlers,
der sich, wenn er wütend wird, in ein zerstörerisches grünes
Monster verwandelt, spielte in den USA bereits am ersten Wochenende über
60 Millionen Dollar ein.
Frage: Mr. Lee, was müssen wir Sie eigentlich fragen, damit Sie richtig
wütend werden?
Ang Lee: (lacht) Ach wissen Sie, ich habe "Hulk" erst vor fünf Tagen
fertig gestellt - und das Ganze war für mich wie Therapie. Nach dem
weltweiten Erfolg von "Tiger & Dragon" wurden mir einige große
Hollywood-Filme angeboten, unter anderem auch "Hulk". Den kannte ich damals
nur aus dem Fernsehen, also habe ich mich erstmal eingelesen. Denn wenn
überhaupt, dann wollte ich die Comics auf die Leinwand bringen, nicht
die Fernsehserie. Dabei interessierte mich besonders des Aspekt des Verwandelns
und Zurückverwandelns, das Unterdrücken und Ausleben von Emotionen,
der Gegensatz von "Sinn und Sinnlichkeit". (lacht) "Hulk" ist ein großes
Familiendrama und ein Abenteuer, das ich mit die Zeit und den Raum
überbrückenden Split-Screen-Schnitten ins Kino bringen konnte.
Und das Studio hat mich dabei unterstützt: Dort wollte man einen echten
Ang-Lee-Film haben.
Frage: Das Monster Hulk repräsentiert das Animalische im Menschen
- doch der Aspekt der Sexualität wird dabei, typisch Hollywood, vollkommen
unterdrückt.
Lee: Richtig, in diese Richtung darf man gar nicht gehen. Bei diesem Monster
geht es alleine um die Aggression. In Verbindung mit Sex wäre das wohl
etwas zu viel gewesen. Ich habe allerdings ein paar subtile Anspielungen
gemacht, Dinge wie phallisch aufrecht stehende Felsen, aber nichts
Offensichtliches. In einer Sequenz - dem Hundekampf - wollte ich auch Hulks
Shorts loswerden. Wir verdeckten seine Blöße stattdessen mit
Blättern, Gebäuden, Bäumen und Beleuchtungstricks - bis ich
mir wie in einem "Austin Powers"-Streifen vorkam. Es wirkte einfach
lächerlich, und ich habe das Ganze schließlich aufgegeben. (lacht)
Frage: Gab es bei den Dreharbeiten auch Momente, wo Ihnen alles über
den Kopf gewachsen ist?
Lee: Speziell in den letzten drei Monaten, in denen auch das Marketing voll
einsetzte, habe ich den Druck und die Verantwortung gespürt. Es war
ja klar, dass dieser immens teure Film weltweit ein großes Publikum
erreichen muss - und dass ich deshalb gewisse Teile so konventionell gestalten
muss, wie das auch alle anderen Filmemacher tun würden. Ich wollte zwar
auf jeden Fall etwas Besonderes kreieren, doch das klappt nur bis zu einem
gewissen Punkt. Ich denke aber, 80 Prozent des Films sind noch intakt, gerade
auch der künstlerische Teil.
Frage: Wie kamen Sie mit der aufwändigen Computer-Technologie
zurecht?
Lee: Es ist wie beim Renovieren eines Hauses: Alles dauert doppelt so lang
wie geplant. Ich wollte einen besonderen, persönlichen Film machen,
deshalb musste jeder Effekt maßgeschneidert werden. Die hierfür
notwendigen Ressourcen und die entsprechende Manpower hat nur George Lucas'
Firma ILM. Computer sind sehr dumm. Es kommt auf das Talent der Menschen
an, die sie bedienen.
Frage: Aus diesem Grund schlüpften sie selbst für viele Szenen
in einen Motion-Capture-Gummianzug und spielten für die Techniker den
Hulk. Damit dienten Sie der Computerfigur als Bewegungs- und
Ausdrucksmodell.
Lee: Richtig, für die meisten Szenen war ich selbst die Vorlage - nur
nicht für den drei Meilen weiten Sprung. (lacht) Hulks Landung habe
ich allerdings wieder selber vorgespielt.
Frage: Eigentlich sind Sie also der Hulk!
Lee: Ja, und das was eine sehr therapeutische Erfahrung. Wie ein Kind, das
im Sandkasten seine Fantasien ausleben darf.
Frage: Nach diesem Film stehen Ihnen in Hollywood sämtliche Türen
offen. Welchen Weg möchten Sie einschlagen?
Lee: Ich möchte jetzt erst einmal gar nichts tun. Früher hatte
ich nach jedem Film schon mein nächstes Projekt im Auge, aber nun
fühle ich mich zum ersten Mal erschöpft. Ich weiß noch nicht,
was ich als Nächstes machen werde. Vielleicht ein kleineres Projekt,
was ja ebenfalls eine große Herausforderung sein kann. Oder wieder
ein chinesischer Film.
Frage: Wie laden Sie Ihre Batterien wieder auf?
Lee: Mit Nichtstun. Meine Frau wird mich zuhause anbrüllen und mir
vorwerfen, nutzlos zu sein. Und dann muss ich wieder Filme machen. (lacht)
Interview: Rico Pfirstinger
(im Juni 2003 in den Universal Studios Hollywood)
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