Interview mit Ang Lee zu "Hulk"

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"Hulk": Regisseur Ang Lee (48) über nackte Tatsachen, das süße Nichtstun und den Druck der Marketingabteilung

 

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"Hulk": Regisseur Ang Lee (48) über nackte Tatsachen, das süße Nichtstun und den Druck der Marketingabteilung
von Rico Pfirstinger

 

Dr. Jekyll und Mr. Hulk

Der in Taiwan aufgewachsene und vielfach preisgekrönte Regisseur Ang Lee ("Sinn und Sinnlichkeit", "Tiger & Dragon") versteht sich selbst zu allererst als Künstler - und studierte diese Disziplin auch an Hochschulen in New York und Illinois. Folglich rief die Nachricht, dass ausgerechnet Lee das Marvel-Monster "Hulk" als knapp 140 Millionen Dollar teuren Hollywood-Blockbuster auf die Leinwand bringen würde, vielerorts Kopfschütteln hervor. Doch der 48-Jährige ließ sich von seinen Zweiflern nicht beirren und drehte einen Comic-Film, wie man ihn so noch nicht gesehen hat - ein außerordentliches Werk, das für Gesprächsstoff sorgt und dabei Publikum wie Kritiker entzweit. Immerhin scheint sich das Risiko gelohnt zu haben: Die Geschichte eines Wissenschaftlers, der sich, wenn er wütend wird, in ein zerstörerisches grünes Monster verwandelt, spielte in den USA bereits am ersten Wochenende über 60 Millionen Dollar ein.

Frage: Mr. Lee, was müssen wir Sie eigentlich fragen, damit Sie richtig wütend werden?

Ang Lee: (lacht) Ach wissen Sie, ich habe "Hulk" erst vor fünf Tagen fertig gestellt - und das Ganze war für mich wie Therapie. Nach dem weltweiten Erfolg von "Tiger & Dragon" wurden mir einige große Hollywood-Filme angeboten, unter anderem auch "Hulk". Den kannte ich damals nur aus dem Fernsehen, also habe ich mich erstmal eingelesen. Denn wenn überhaupt, dann wollte ich die Comics auf die Leinwand bringen, nicht die Fernsehserie. Dabei interessierte mich besonders des Aspekt des Verwandelns und Zurückverwandelns, das Unterdrücken und Ausleben von Emotionen, der Gegensatz von "Sinn und Sinnlichkeit". (lacht) "Hulk" ist ein großes Familiendrama und ein Abenteuer, das ich mit die Zeit und den Raum überbrückenden Split-Screen-Schnitten ins Kino bringen konnte. Und das Studio hat mich dabei unterstützt: Dort wollte man einen echten Ang-Lee-Film haben.

Frage: Das Monster Hulk repräsentiert das Animalische im Menschen - doch der Aspekt der Sexualität wird dabei, typisch Hollywood, vollkommen unterdrückt.

Lee: Richtig, in diese Richtung darf man gar nicht gehen. Bei diesem Monster geht es alleine um die Aggression. In Verbindung mit Sex wäre das wohl etwas zu viel gewesen. Ich habe allerdings ein paar subtile Anspielungen gemacht, Dinge wie phallisch aufrecht stehende Felsen, aber nichts Offensichtliches. In einer Sequenz - dem Hundekampf - wollte ich auch Hulks Shorts loswerden. Wir verdeckten seine Blöße stattdessen mit Blättern, Gebäuden, Bäumen und Beleuchtungstricks - bis ich mir wie in einem "Austin Powers"-Streifen vorkam. Es wirkte einfach lächerlich, und ich habe das Ganze schließlich aufgegeben. (lacht)

Frage: Gab es bei den Dreharbeiten auch Momente, wo Ihnen alles über den Kopf gewachsen ist?

Lee: Speziell in den letzten drei Monaten, in denen auch das Marketing voll einsetzte, habe ich den Druck und die Verantwortung gespürt. Es war ja klar, dass dieser immens teure Film weltweit ein großes Publikum erreichen muss - und dass ich deshalb gewisse Teile so konventionell gestalten muss, wie das auch alle anderen Filmemacher tun würden. Ich wollte zwar auf jeden Fall etwas Besonderes kreieren, doch das klappt nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich denke aber, 80 Prozent des Films sind noch intakt, gerade auch der künstlerische Teil.

Frage: Wie kamen Sie mit der aufwändigen Computer-Technologie zurecht?

Lee: Es ist wie beim Renovieren eines Hauses: Alles dauert doppelt so lang wie geplant. Ich wollte einen besonderen, persönlichen Film machen, deshalb musste jeder Effekt maßgeschneidert werden. Die hierfür notwendigen Ressourcen und die entsprechende Manpower hat nur George Lucas' Firma ILM. Computer sind sehr dumm. Es kommt auf das Talent der Menschen an, die sie bedienen.

Frage: Aus diesem Grund schlüpften sie selbst für viele Szenen in einen Motion-Capture-Gummianzug und spielten für die Techniker den Hulk. Damit dienten Sie der Computerfigur als Bewegungs- und Ausdrucksmodell.

Lee: Richtig, für die meisten Szenen war ich selbst die Vorlage - nur nicht für den drei Meilen weiten Sprung. (lacht) Hulks Landung habe ich allerdings wieder selber vorgespielt.

Frage: Eigentlich sind Sie also der Hulk!

Lee: Ja, und das was eine sehr therapeutische Erfahrung. Wie ein Kind, das im Sandkasten seine Fantasien ausleben darf.

Frage: Nach diesem Film stehen Ihnen in Hollywood sämtliche Türen offen. Welchen Weg möchten Sie einschlagen?

Lee: Ich möchte jetzt erst einmal gar nichts tun. Früher hatte ich nach jedem Film schon mein nächstes Projekt im Auge, aber nun fühle ich mich zum ersten Mal erschöpft. Ich weiß noch nicht, was ich als Nächstes machen werde. Vielleicht ein kleineres Projekt, was ja ebenfalls eine große Herausforderung sein kann. Oder wieder ein chinesischer Film.

Frage: Wie laden Sie Ihre Batterien wieder auf?

Lee: Mit Nichtstun. Meine Frau wird mich zuhause anbrüllen und mir vorwerfen, nutzlos zu sein. Und dann muss ich wieder Filme machen. (lacht)

Interview: Rico Pfirstinger

(im Juni 2003 in den Universal Studios Hollywood)

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