Die simple Wahrheit Hollywoods
Arthur Cohn ist auf seine Weise einzigartig: Der gebürtige
Schweizer gilt als erfolgreichster unabhängiger Filmproduzent der Welt
und ist dreifacher Oscar-Gewinner. Die Qualität seiner in über
vierzig Jahren geleisteten Arbeit gilt Kennern im Hinblick auf ihre
Integrität und Stilsicherheit als vorbildlich. Wir trafen Arthur Cohn
kurz vor der Deutschlandpremiere seines neuen Films "Behind the Sun" in
München.
Frage: Mr. Cohn, vor kurzem feierte Ihr neuester Film "Behind the
Sun" in Hollywood seine Weltpremiere. Ein Erfolg?
Arthur Cohn: Voll und ganz. Wir feierten im American Film Institute,
das von Steven Spielberg, Sydney Pollack und anderen großen Regisseuren
geleitet wird. Bei der Premiere war sehr viel Prominenz anwesend, was für
einen solchen Film eigentlich ungewöhnlich ist, denn "Behind the Sun"
wurde in portugiesischer Sprache mit englischen Untertiteln gedreht, hat
keine namhaften Darsteller, und Regisseur Walter Salles hat erst zwei große
Filme gemacht. Trotzdem war Amerikas Anteilnahme wesentlich größer
als bei typischen Studioproduktionen.
Frage: Woher diese Begeisterung?
Cohn: Ich möchte mich nicht wichtig machen, aber das Filminstitut
kennt mich gut - alle meine Filme feiern dort ihre Premiere. Und weil Filme
wie "Central Station" oder auch "Ein Tag im September" so erfolgreich waren,
herrscht natürlich eine unglaubliche Erfolgserwartung. Deshalb ist es
Leuten wie Goldie Hawn oder Michael Douglas wichtig, auf meinen Premieren
anwesend zu sein.
Frage: Fühlen Sie sich dadurch geschmeichelt?
Cohn: Es ist eine große Ehre für mich. Auch die
Deutschlandpremiere von "Behind the Sun" wird mit einem großen Staraufgebot
aufwarten können. Seit zwölf Jahren gab es bei einer Premiere des
Disney-Verleihs keine solche Prominentendichte mehr. Durch den großen
Andrang fühle ich mich in meiner Arbeit bestätigt. Das zeigt, dass
anspruchsvolle Filme von Presse und Stars doch noch gewürdigt
werden.
Frage: Ein Indikator dafür, dass anspruchsvolle Filme in Zukunft
wieder mehr Zuspruch finden?
Cohn: Ich würde mir wünschen, dass Sie recht haben. Der
anspruchsvolle Film steht in Deutschland bei der Kritik hoch im Kurs, aber
die breite Masse interessiert sich nicht für ihn. Das Popcorn-Kino hat
in Deutschland deutlich bessere Chancen als echte Filmkunst. Ich hoffe stark,
dass sich das eines Tages wieder ändern wird, aber bislang ist diese
Tendenz leider nicht zu erkennen.
Frage: Wie sehen Sie diesbezüglich Ihren Status in
Hollywood?
Cohn: Man kennt mich dort als einen Produzenten, der ungewöhnliche
Filme mit unbekannten Schauspielern dreht. Das ist in Hollywood einmalig.
Ein erfolgreicher Produzent hat mir neulich anvertraut, dass er gerne Kunstfilme
produzieren würde, sich solche Experimente aber nicht leisten kann.
Und genau hier liegt das Problem: An einen anspruchsvollen Filmstoff mit
geringer Erfolgsgarantie traut sich niemand mehr heran. Der finanzielle Erfolg
ist zu wichtig geworden. Als ich beschloss, den Terror bei den Olympischen
Spielen von 1972 als Kunstfilm zu produzieren, hielt man mich für
verrückt. "Ein Tag im September" war dann aber ein riesiger internationaler
Erfolg. Auch mein Film "Der Garten des Finzi Contini" wurde in Europa zuerst
von 19 Verleihern abgelehnt, in Amerika von zwölf. Erst als der Film
den Oscar gewann und euphorische Kritiken bekam, wurde er plötzlich
gekauft und in die Kinos gebracht. Heute ist "Finzi Contini" ein Kultfilm,
er wurde erst vor ein paar Monaten von tausenden Journalisten in die Top
20 der besten Filme aller Zeiten gewählt. Ohne den Oscar hätte
kein Mensch diesen Film gesehen. Das zeigt, welche Bedeutung die Academy
mittlerweile im Filmgeschäft besitzt.
Frage: Trotzdem werden die Oscars von vielen Menschen
belächelt
Cohn: Man wirft den Oscars vor, dass die Wahl ungerecht verläuft,
aber das stimmt einfach nicht. 5700 integere Leute, die sich rund um die
Uhr mit dem Medium Film beschäftigen, versuchen faire Urteile zu treffen.
"Ein Tag im September" zum Beispiel zog beim Oscarrennen an "Buena Vista
Social Club" vorbei, obwohl Wim Wenders' Film damals schon 20 Millionen
eingespielt hatte. Die Academy-Mitglieder ließen sich davon jedoch
nicht beeindrucken: Sie wollen ganz im Gegenteil großartigen Filmen
über den Oscargewinn eine Chance zu geben und mit ihrem Votum etwas
bewegen. Dafür gibt es unzählige Beispiele. Doch Deutschland weiß
das einfach nicht zu schätzen.
Frage: Demnach sehen Sie im Oscar die beste Werbung für einen
Film?
Cohn: Für meine Art von Film auf jeden Fall. Ich mache praktisch
keine Werbung, da ich überzeugt bin, dass zuviel Reklame die Academy
abstößt. Diese Leute wollen ihre Integrität bewahren und
selbst urteilen. Europa aber lächelt hochnäsig über die Oscars.
Ich dagegen finde es toll, dass auch ausländische Filmemacher eine Chance
bekommen. Marc Foster, ein unbekannter Regisseur aus der Schweiz, hat mit
"Monsters Ball" und Halle Berry dieses Jahr den Oscar für die beste
Hauptdarstellerin gewonnen. Solche Erfolge halte ich für unglaublich
wertvoll, denn sie zeigen, dass mit Perfektion gemachte Filme ihre Chance
kriegen.
Frage: Worin äußerst sich denn Ihre Perfektion?
Cohn: In der langen Produktionszeit der Filme. Die Entwicklung des
Drehbuchs von "Behind the Sun" dauerte 15 Monate, die Dreharbeiten 13 Wochen,
der anschließende Filmschnitt volle sieben Monate, und danach kamen
weitere drei Monate Endbearbeitung. Diese unglaubliche Zeitspanne leistet
sich kein einziger deutscher Film. Meine Perfektion liegt also in der Zeit
und nicht in der Budgetspanne. Die meisten Filmemacher gelangen nach einigen
Jahren zu der Erkenntnis, dass sie ihre Filme hätten besser machen
können. Über meine Filme möchte ich das niemals denken
müssen.
Frage: Als Produzent sind Sie schon jetzt eine Legende. Was macht
Sie bei Ihrer Auswahl so treffsicher?
Cohn: Erstens: Ich produziere einen Film nur dann, wenn ich
überzeugt bin, dass ich das Beste daraus machen kann. Habe ich auch
nur geringe Zweifel daran, lasse ich es lieber ganz sein. Vielen fehlt dieses
Gespür, und das ist schade. Und zweitens: Ich produziere nur Stoffe,
die vorher noch nie realisiert wurden. Man könnte mir den besten Western
anbieten, ich würde ohne zu zögern ablehnen. Die gigantische
"Remake-Arie" beweist zurzeit doch nur, dass die Leute keine neuen Ideen
mehr haben. Meine Filme sind dagegen komplett neu, etwas Besonderes und
thematisch ungewöhnlich.
Frage: Ein Musterbeispiel dafür ist Ihr erster Film "Himmel und
Dreck" von 1960
Cohn: Vollkommen richtig. Der Film wurde in Neuguinea gedreht, zusammen
mit Einheimischen, die weder Autos noch Elektrizität kannten. Sie kannten
keinerlei modernen Luxus und waren - das ist die Grundaussage des Films -
doch viel glücklicher als wir. In Amerika war der Film ein riesiger
Erfolg: Die Schlangen waren vor einigen Kinos mehrere hundert Meter lang.
Der Film hat die Amerikaner stark berührt. Ein vom modernen Luxus vollkommen
eingenommenes Volk erfährt, wie einfach Glück sein kann.
Frage: Sie zielen also auf den empfindlichen Nerv des
Publikums
Cohn: ...und ich versuche ihn zu treffen. Deshalb halte ich mich jedes
Jahr mindestens vier Monate lang in Amerika auf, um den aktuellen Trend
mitzubekommen. Deutsche Filmemacher sind zufrieden, wenn sie eine Co-Produktion
mit Frankreich hinbekommen haben. An Amerika denken sie erst gar nicht. Wenn
ein Film aber in Amerika keine Erfolgsaussichten hat, produziere ich ihn
erst gar nicht. Nehmen Sie zum Beispiel "Sehnsucht nach Afrika": Aus finanziellen
Gründen musste ich den Film viel zu früh an Frankreich verkaufen.
Der Verleih dort wollte nicht warten und brachte eine leidliche Version auf
den Markt. Das Ergebnis war eine Katastrophe. Ich habe den Film
anschließend noch einmal neun Monate lang geschnitten, da ich niemals
akzeptieren kann und will, dass meine Filme keinen Erfolg haben. Dann habe
ich ihn in Amerika herausgebracht - und er gewann den Oscar. Der Erfolg in
Amerika führte dazu, dass er in Frankreich innerhalb einer Woche das
Zwanzigfache des ursprünglichen Ergebnisses einspielte.
Frage: Warum dann diese Distanziertheit der Kinobetreiber gegenüber
Kunstfilmen?
Cohn: Die großen Kinos haben in ihrem Programm einfach keinen
Platz mehr für Kunstfilme. Kaufen sie einen Blockbuster wie "Vanilla
Sky", werden sie von den Studios gezwungen, noch zehn andere Filme mitzukaufen.
Nur auf diese Weise können die Studios im Amerika die hohen Gagen der
Superstars bezahlen. Die einzige Chance, es mit einem Kunstfilm überhaupt
in die deutschen Kinos zu schaffen, ist der Erfolg in Amerika. Kann man diesen
Erfolg vorweisen, wird der Film auf einmal überall gekauft. Das ist
die simple Wahrheit des Filmgeschäfts.
Johannes Bonke/Rico Pfirstinger (Interview am 10. April 2002 in
München)
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