Joseph Losey: Accident - Zwischenfall in Oxford (GB 1967)

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Joseph Losey: Accident - Zwischenfall in Oxford (GB 1967)

GB 1967
 

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Joseph Losey: Accident - Zwischenfall in Oxford (GB 1967)
Kritik von Ekkehard Knörer

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Dirk Bogarde, Hauptdarsteller in drei Filmen Loseys zuvor, fragte den Regisseur, welcher Art das jüngste Projekt, Accident, sein solle. Loseys Antwort: "Diesmal mache ich den perfekten Film. Ich habe das perfekte Drehbuch, die perfekte Besetzung, die perfekte Crew. Ich brauche nicht mehr als die Sonne, solange wir drehen." Das Erstaunliche daran: Accident ist dieser ganz und gar vollendete, makellose Film geworden, den Losey sich vorgenommen hat. Kaum ein anderes Werk der Filmgeschichte zeugt von einer derart entschiedenen, bis ins Kleinste gehenden Kontrolle des Regisseurs über jedes Detail seines Films, einer Bewusstheit auf den Millimeter der Einstellung, des Art Designs, der Kamerabewegung, des Schnitts, der Schauspielerführung und des Musikeinsatzes. Die Kehrseite, derentwegen der Film von Kritikern wie David Thomson verabscheut wird: nichts scheint dem Zufall überlassen, es gibt keine Lücke, in die Improvisation oder der Widerstand des Materials, ja, der Wirklichkeit stoßen könnten. Das heißt keineswegs, dass sich Accident zu einem geschlossenen, sterilen Sinn-Ganzen fügt, es heißt nur, dass seine Rätselhaftigkeit, seine Sperrigkeit auf das Kunst-Wollen und Kunst-Können seiner Macher zurückzuführen ist. Oder, wenigstens: wo etwas am Film entgleitet, falls etwas entgleitet, ist dieses Entgleiten nicht mehr sichtbar. Accident tritt auf mit dem unerhörten Anspruch, ganz und gar, restlos, determiniert zu sein. Bazins Alptraum: eine Zurichtung der gefilmten Wirklichkeit auf ein Binnenreich der Zeichen, deren Referenzseite abgeschattet wird, die stattdessen, im souveränen Zugriff auf ihre ambivalenten Bedeutungspotenziale, verwendet werden nach Regeln - äußerst strengen Regeln -, die dieser Film sich gibt, von seinem Anfang bis zu seinem Ende (das den Anfang spiegelt). Lesbar in einem über den offensichtlichen Mimetismus hinausgehenden Sinn sind diese Zeichen - so die Utopie dieses Films - nur nach der Seite ihres Ortes im Spiel, nicht nach der Seite ihrer Abbildung von Wirklichkeit.

Unter dem Credit-Vorspann eine statische Einstellung. Nacht, symmetrisch ins Bild gerückt ein Landhaus. Leises Schreibmaschinengeklapper, die Kamera verharrt und nichts geschieht bis der Name des Regisseurs durchgelaufen ist. Dann ein langsamer Zoom auf das Haus, der plötzlich stoppt. Man hört ein Kreischen von Bremsen, ein Jaulen blockierter Räder. Kurze Pause - der Crash. Die Kamera ruht weiter, die Tür des Hauses öffnet sich. Dann ein Schnitt, Dunkelheit, Licht einer Taschenlampe, Schnitt, der havarierte Wagen. Aus diesem in sich und seinen Verhältnissen noch einmal verschobenen Anfang entfaltet der Film rückwärts seine Geschichte. Drei Männer, die um eine Frau kreisen, einer ist bei dem Unfall ums Leben gekommen. Der Film arrangiert Gruppenbilder, in immer neuer Konstellation, die Übergänge von einem Bild zum anderen aber funktionieren nicht nach der Logik der Psychologie, so wenig wie die Übergänge von Einstellung zu Einstellung der Logik der filmischen Standardgrammatik gehorchen. Auf der Inhaltsebene produziert das Rätselhaftigkeit, auf der formalen Manierismus. Ein Manierismus jedoch, der nichts mit visueller Großmannssucht, nichts mit Verselbständigung der Mittel und nichts mit Disziplinlosigkeit zu tun hat, sondern Mal für Mal Überraschungen und Schönheit produziert und zwar nicht so weit entfernt von jenem Ideal, das einst Dr. Johnson für die dichterische Herstellung kühner Bilder und kühner Bildverknüpfungen forderte: das Ergebnis, so seine Forderung, müsse "at once natural and new" erscheinen. Das lässt sich behaupten für Loseys Auflösung eines Gesprächs der Professoren in der Bibliothek. Er beginnt mit einem Master Shot eine Treppe hinunter auf die kaum identifizierbaren, mehr oder weniger im Kreis sitzenden Personen, es folgen reihum Großaufnahmen von Gesichtern, talking heads, die Anzügliches aus der Zeitung vorlesen, Professoren, unter sich, mit einer so ausgetüftelten wie lässigen Handbewegung eines großen Regisseurs charakterisiert, ein für alle mal.

Die inszenatorischen Bravourstücke dieses Films sind sonder Zahl - ein in Dialog wie Schnitt wie Schauspielerführung hinreißend choreografiertes Picknick, ein Bootsausflug mit synkopierten Bildern (überhaupt: die Synkope als Betonungsverschiebung wäre eine der Metaphern, die Loseys Verfahren annäherungsweise beschreiben könnten), eine nächtliche Begegnung auf der Treppe, ein im radikalen Achsensprung geschnittener Dialog, ein Tennismatch. Ganz, und doch nicht ganz, aus dem Rahmen fällt eine Begegnung des Helden mit einer lange nicht gesehenen Geliebten: Ton und Bild sind asynchron, eine Radikalisierung des Verfahrens, das hier überzeichnend ausgestellt wird und dennoch, gerade in der formalen Loslösung vom Rest, den Bezug dazu wahrt. Keineswegs ist es hier wie in den anderen szenischen Teil-Schließungen so, dass diese Stücke in sich aufgingen oder gar nichts anderes wären als raffinierte Bebilderungen der Dialoge. Das eine und das andere stehen vielmehr in komplexen Kommentierungs- und Brechungsverhältnissen zueinander, es gibt keinen Schlüssel, der einem den Weg zu eindeutigen Deutungen öffnen würde. Eher geht es um das Ins-Spiel-Bringen der unterschiedlichsten Aspekte, die den Grundkonflikt, der selbst geprägt bleibt von Verdrängung, Verschiebung, Sublimation, Verschweigen des Begehrens, aus allen topischen Entwicklungsmöglichkeiten reißen, oder wenigstens einige Schritte wegführen von der Szene seines offenen Ausbruchs: in solchen Momenten des Herausgelöstseins aus dem Ganzen werden einzelne Beziehungen umgewendet, gegen das Licht gehalten, durchgespielt. Und so virtuos das ist, so wenig verliert es sich selbstverliebt in sich selbst; ein Film, der an allen Stellen glitzert und funkelt, ohne dass man der Brillanz je müde würde: sie ist so neu und natürlich zugleich, so ernst und verspielt, so formbewusst und dennoch von den Figuren fasziniert; Accident ist ein Film wie kein anderer.

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