Mit was für einer Geschichte haben wir es hier eigentlich
zu tun, das ist die erste Frage. Dass sie bis zum Ende so recht nicht zu
beantworten ist, macht eine der irritierenden Qualitäten des Films aus.
Worauf er hinaus will, ist ihm nicht klar, wird es auch dem Betrachter nicht,
aber genau so sperrt er sich der Botschaft, der klaren Zuteilung von Sinn,
der Einordnung ins Genre, in die Geschichte, auch die des Kinos.
Eine zufällige Begegnung, die eine Wiederbegegnung ist, steht
am Beginn. Ein Umsiedlerlager, ein Arzt, den Peter Lorre müde seines
Lebens spielt, immer die Zigarette in der Hand, auf der Suche nach dem
nächsten besten Schluck Alkohol, als gälte es etwas zu vergessen,
wenn nicht alles. Die Begegnung aber bedeutet das gerade Gegenteil: Erinnern,
Wiederaufrühren des Vergangenen. Dr. Rothe und der Neuankömmling
Nowak begeben sich in die Kantine, betrinken sich, fallen in die Nacht, in
ein Zeitloch, in das hinein der Film in Rückblenden ihre Geschichte
erzählt.
Sie spielt zu einer anderen Zeit, die Protagonisten tragen andere
Namen. 1943, Rothe ist Wissenschaftler in einem Labor, die Gestapo
- in Gestalt vor allem von Hoesch, der jetzt Nowak
heißt - eröffnet ihm, dass seine Verlobte Forschungsergebnisse
an England verraten hat. Es folgt ein Schnitt, Rothe kommt nach Hause, geht
wortlos am gedeckten Tisch vorbei, an dem die Verlobte sitzt und ihre Mutter,
schließt sich ein in sein Zimmer. Er wird sie ermorden, in einem Zustand
der Trance (diese Linie zieht das Drehbuch weiter, es kommt zu einem zweiten,
noch gespenstischeren Mord in einem Zugabteil, während eines Fliegeralarms).
Der Film verschiebt sich vom Polit- zum Psychothriller, ohne dass zwischen
beidem eine schlüssige Verbindung hergestellt würde. Zitat, zum
einen, von Peter Lorres berühmtester Rolle in "M", Verschiebung aber,
so muss man es lesen, ganz anderer Art: der Schuld ins Private, wo sie (beinahe)
motivlos wird, erklärbar nur aus der kranken Psyche. Und doch bleibt
die Kluft zwischen Tat und politischem Zusammenhang so offensichtlich, dass
nicht Beruhigung, sondern nur Irritation die Folge sein kann.
Ein Politplot, mehr als vage angelehnt an die
Stauffenberg-Verschwörung, kommt hinzu, fast aus dem Nichts, erneuter
Wechsel von Schauplatz und Atmosphäre. Gestapo-Leute, Widerständler,
eine Verfolgungsjagd. Der ganze Film folgt einer Logik des Traums, an seiner
Oberfläche treiben - Schuld, Mord, Vergeltung, Verrat - Motive, die
aufs engste zusammenhängen, die jedoch disparat über die
auseinderdriftenden Teile des Plots verstreut werden. Die Lektüre dieses
Films kann nur eine sein, die einsammelt, selbständig neu arrangiert,
gegen den Strich der Erzählung vorgeht. Auch so aber wird sich, zum
Glück, der Eigensinn von "Der Verlorene" nicht brechen lassen. Das
Unzusammenhängige ist seine Stärke, entzieht den Film Szene für
Szene der Auflösbarkeit. Überschuss liegt auch im Detail: im subtilen
Gegeneinander von (leise) expressionistischer Inszenierung und banaler Kraft
von Dialog und Alltagssetting. Und nicht zuletzt: im Gemurmel Peter Lorres,
in seinen Gesten und Bewegungen. Die Hand vor dem Gesicht, der Blick in den
Spiegel. Darstellung ist hier nicht Ausstellung von Virtuosität, sondern
im Blick, der immer ein wenig zu lang auf Lorre ruht, irreduzibles Mehr.
Nicht nur eine Rolle.
zur Jump Cut Startseite |