"Lulu", das Zentrum von Pabsts Film, ist eine seltsame Figur.
Projektionsfläche der Männer, denen sie begegnet wie dem Blick
des Zuschauers. Beweglicher Shifter, reduziert auf einen Körper, ein
Lachen, in vielen Großaufnahmen aufgelöst ins Schwarz/Weiß
des Gesichts und der dieses rahmenden Haare. Man bekommt kaum die
Möglichkeit, an ihr ein moralisches Urteil, eine psychologische Deutung
zu befestigen. Sie tritt auf als Katalysator männlichen Begehrens, das
auf verschiedene Varianten des Drangs zur Selbstzerstörung
hinausläuft. Die Natürlichkeit ihres Spiels, viel gerühmt,
ist leere Verführungskraft, mit allen Paradoxien des Naiven gewaschen:
das Verführerische der Unschuld, die diese Kraft doch immer ahnt. Und
sie einsetzt - wenn sie den Sohn gegen den Vater ausspielt, wenn sie die
sie begehrende Gräfin Geschwitz in manipulatorischer Absicht bezirzt,
wenn sie den Auftritt vor der designierten Ehefrau des Geliebten verweigert
und diesen dann, an seiner Schwäche für sie packend, triumphal
vorführt. Dass sie dennoch Unschuld bleibt, ist das Unfassbare und
Konsequenz eines Darstellungs-Stils, der zur dargestellten Figur nicht sie
deutend und charakterisierend hinzutritt, sondern diese Figur selbst ist.
Die Abwesenheit von Psychologie im Zentrum des Films fordert die
Serialisierung des Begehrens. Schön, Schigolch, Alwa, die Gräfin,
der Marquis, der Trapezkünstler, zuletzt Jack the Ripper. Es mischen
sich Hass und Liebe, Unterwerfung und Widerstand, Zwanghaftes und
Erlösungswünsche. Lulu bleibt seltsam unbefleckt, sie ist der
reflektierende Spiegel, in dem nichts ein Bild, einen Eindruck hinterlässt
(und der Versuch, sie selbst im Spiegel zu bannen, endet tödlich für
Schön). Die Logik der Narration (Entwicklung, Vertiefung, Verstrickung
von Figuren, Schürzung des Knotens und Auflösung, Dramatisierung
des Konflikts) wird ersetzt durch die immer nur episodische Dramatisierungen
erlaubende Logik der Serie. Die Männer, die Lulu verfallen, vervielfachen
sich, als Individuen tun sie kaum was zur Sache. Lulu als Vampir: nicht von
Blut nährt sie sich, sondern von begehrenden Blicken. An deren (klar,
das Objekt notorisch verfehlender) Idealisierungskraft lädt sich ihre
Reinheit stets aufs Neue auf. Das Ende ist nicht Ans-Ende-Gelangen eines
Bogens, sondern Setzung, an deren Stelle, immer weiter, auch Fort-Setzung
stehen könnte. Jack the Ripper ist der - fraglos passende - Deus ex
Machina als Radikalisierung der Liebe/Hass- Verschränkungen, die Lulu
auf sich ziehen muss. An ihm treten idealisierende Sehnsucht und von allen
psychologischen Beweggründen gelöster Zerstörungsdrang
pathologisch auseinander. Sein Blick trifft Lulus nicht - fällt auf
eine andere Licht-Reflexion, das gleißende Messer im Dunklen. Eine
Auslöschung und Jack the Ripper kehrt zurück in den Schatten des
Londoner Nebels und seiner historischen Anonymität. |