Wie man zu Walt Disneys Fantasia steht, ist, in einem ganz
objektiven Sinn, eine Geschmacksfrage. Nicht in jeder Hinsicht, das technische
Können aller beteiligten Zeichner und Animatoren (über 100) steht
außer Frage. Mit gutem Grund gelten die Expressivität der Figuren
- nicht nur, aber insbesondere im Ausgangs- und Mittelstück, dem
"Zauberlehrling" mit Mickey Mouse -, die Variabilität der Zeichenstile,
die Geschmeidigkeit der Bewegungsabläufe, der Einfallsreichtum der
Figurenerfindung als Meilensteine des Animationsfilms. Die Frage nach dem
Geschmack kommt an einer anderen Nahtstelle des ungewöhnlichsten unter
Walt Disneys Filmen ins Spiel: der der Verknüpfung von Bild und Ton,
konkret: von klassischer Musik und Zeichentrickanimation.
Der Film war, als er 1940 ins Kino kam, kein Erfolg, weder beim Publikum
noch bei der Kritik. Igor Strawinsky soll über die Umstellungen, die
man an seinem "Sacre du Printemps" vorgenommen hat, entsetzt gewesen sein.
Walt Disney, der mit dem Werk Reputation als Ernst zu nehmender Künstler
erlangen wollte, war enttäuscht und verzichtete fortan auf vergleichbare
Experimente. Die Linie aber, an der sich Ambition und Ablehnung trafen, ist
heute eine geworden, an der unterschiedliche Geschmäcker aufeinander
treffen, nicht mehr Ideologien. Ihre Voraussetzung war der Glaube an die
Unterscheidbarkeit von U und E, von Kunst und Unterhaltung. Disney und die
Spötter waren sich darin im Grunde einig. Während Disney aber meinte,
dem bisher als Kinderkram abgetanen Zeichentrick per Verschmelzung mit der
klassischen Musik zur künstlerischen Satisfaktionsfähigkeit verhelfen
zu können, hielten die Puristen dies Unterfangen für ein nicht
zu duldendes Sakrileg.
Aus heutiger Sicht ist das Problem von "Fantasia" freilich genau dieser
Glaube Walt Disneys an die Ideologie der Moderne. Ihm ging es nicht um Widerstand
oder Selbstbehauptung des Eigensinns seiner Kunst, sondern darum, teil zu
haben an der Aura des Ernsten. Dass man dürfen darf, was Disney wagte,
nämlich Herzstücke des klassischen Repertoires mit Animationen
zu illustrieren (oder seine Animationen von klassischer Musik illustrieren
zu lassen), das wird heute kaum noch einer bestreiten. Ob man das Unternehmen
für gelungen hält, ist nur noch eine Sache des Geschmacks - und
je nachdem, wie man zu Kitsch und Ernst, zu Experiment und Spielerei steht,
wird man an der einen Episode mehr, an der anderen weniger Freude haben.
Unbestreitbar gelungen, das aber als konventionellste der Episoden,
ist die Animation des Dukasschen "Zauberlehrlings", mit dem vertrauten Helden
Mickey Mouse. Eine ungewohnte, aber wenig riskante Übung ist die abstrakte
Animation von Bachs Toccata. Ausgesprochen hübsch, der trivialen Musik
von Ponchielle wegen aber auch keine gewagte Sache, ist das Ballett der Nilpferde
und anderer nicht übemäßig eleganter Tiere. Die beiden Episoden,
in denen das Urteil zur Geschmackssache wird - und zwar unweigerlich - sind
die Illustration von Beethovens Pastorale mit verniedlichten Figuren aus
der römischen Mythologie und das Schlusskapitel, das in zwei Teile
zerfällt, einen finsteren Mussorgsky und das Pathos von Bildern, die
man zu Schuberts "Ave Maria" gesucht und gefunden hat.
Nur in diesen beiden Stücken werden wirkliche Streitfragen der
Ästhetik ausgetragen. Beethoven sieht sich hier konfrontiert mit einer
Niedlichkeitsoffensive, einem bezaubernden Reigen der Zentauren und Zentaurinnen,
umrankt von Putten (römische Mythologie? Naja) und kleinen Faunen. Oben
thront ein göttlich lüsterner Zeus, der nach Lust und Laune Blitze
wirft. Hier trifft sinfonisch getragener Ernst auf einigermaßen
unbändige Spielfreude, die die Grenze zum Kitsch immer wieder lustvoll
übertritt. Ganz anders geht es zu bei Mussorgsky und Schubert, die
"Fantasia" zum Kontrast von Hölle und Himmel animiert. Ohne Zweifel
eindrucksvoll sind die Ausgeburten finsterer Fantasie des ersten Teils, zwischen
Hieronymus Bosch und Matotti, dazu riesige nackte Brüste in einem
Disney-Film. Noch erstaunlicher, dass man sich auch auf das sentimentale
Pathos von Schuberts "Ave Maria" eingelassen hat, mit stillen, zur Abstraktion
strebenden Bildern einer Lichtprozession, einem menschenleeren Wald als Ende
des ganzen Films. Hier wird nun das ungebrochene Pathos nicht jedermanns
Sache sein - mir aber scheint der Wagemut hier am größten und
uneingeschränkt bewundernswert.
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