Welcher Art ist der "Schauplatz" von Lola Montes? Auf den
ersten, eröffnenden Blick: ein Zirkus. Es gibt die Manege als Ort, Trapeze
und Kulissen in ständiger Bewegung, dazu den unablässig redenden,
die Peitsche schwingenden Conférencier. Den Clown, Pferde, Auftritte.
Zugleich ist dieser Zirkus Theater, in den Nebenräumen, die gezeigt
werden, der Garderobe etwa, und in der Art des Schauspiels, das vorgeführt
wird. Oder jene Hybridform von Zirkus, Zoo und Theater, die der im Film mehrfach
erwähnte P.T. Barnum mit immensem Erfolg fürs bürgerliche
amerikanische Publikum neu erfunden hat: die Freakshow. Präsentiert,
als Freak, wird Lola Montes, deren (europäische) Vergangenheit Abend
für Abend im Zirkus-Theater von New Orleans ihre Wiederaufführung
als zynische Farce erlebt.
Im selben Moment jedoch, in dem Ophüls hier mit schwindelerregender
theatraler Inszenierungskunst eine Form kapitalistischer Ausbeutung denunziert,
hebt er sie mit der verlebendigenden Kraft des in Konkurrenz zum Theater
tretenden Mediums - und sei es täuschend - wieder auf. Was episodisch
als Film auf- und aus der scheinbaren Abfilmung des Zirkus-Theaters heraustritt,
bleibt zwar der narrativen Folge des biografischen Erzählens verhaftet,
löst sich in der Darstellung aber bis zum Vergessenmachen des "anderen
Ortes" auf in die Unmittelbarkeit des "reinen" Mediums: den illusionistischen
Historienfilm in Technicolor und Cinemascope. Es verschwindet, so scheint
es, der Erzähler-Conférencier, vergessen sind Kulissenschieberei
und Zurichtung durch Dramaturgie und jene Versatzstücke der eigenen
Geschichte, die hervorzustoßen Lola Montes coram publico immer
wieder genötigt wird.
Das Vergessen jedoch ist nichts als Schein. Im Grunde geht es dagegen
um die Durchdringung der Orte, die sich, der eine wie der andere, als der
des Films erweisen. Die Differenz zwischen dem Zirkus, der als Bühne,
die kein Guckkasten ist, die eigene Gemachtheit im ständigen umtriebigen
Machen ausstellt, und dem Film, der sie zu verbergen sucht, löst sich
beim genaueren Hinsehen auf. Es gibt die unterschiedlichsten Marker der
Verbundenheit - im Eintritt des Ringmeisters ins Filmbild der historischen
Erzählung, in der Vernähung der Bilder durch die langsame
Überblendung, im Einsatz des Kasch, der einerseits den (auf der
Zirkusbühne freilich gerade fehlenden) Theatervorhang evoziert und
andererseits als spezifisch filmischer Trick einen Verfremdungseffekt darstellt,
der als Eintrag ins illusionistische Bild den Blick auf die ihm vom Medium
aufgenötigten Scheuklappen verweist.
Hinzu kommt, dass die Kamera - in einer Gegenbewegung zur
Kasch-Eingrenzung - hier wie da jene raumgreifende Fluidität besitzt,
die oft als Ophüls' Handschrift beschrieben wurde. Im Zirkus folgt sie,
beinahe schnittlos, der Allegorie von Lolas Aufstieg bis in die Kuppel, im
Film misst sie in atemberaubenden Plansequenzen architektonische Räume
aus, ein Theater ebenso wie den Palast Ludwigs des I., in dem sie dem Ruf
nach Nadel und Faden von oben nach unten und zurück hinterhereilt. Doch
auch dieser scheinbaren Freiheit korrespondiert eine Begrenzung: indem
nämlich in der Tiefenstaffelung des Raums immer wieder - im Theater
wie, dort noch auffälliger, im Film - Gegenstände in den Vordergrund
des Bildes gerückt werden (Pfeiler, Säulen, Seile), die den freien
Blick auf die Figuren im Hintergrund geradezu zäsurieren. Tatsächlich,
könnte man sagen, geht es in Lola Montes um genau dieses
Verhältnis zwischen Freiheit und Begrenzung. Und unschwer ist so die
dialektische Form als Entsprechung von Lola Montes' Leben zwischen den
Freiheiten, die sie sich herausnimmt und den Konventionen, von denen sie
eingeholt wird, lesbar.
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