Als am Ende Hab und Gut versteigert, die Existenz zerstört
und nichts geblieben ist als das Haus, in dessen leeren Räumen Shosuke-San
nun sitzt, zeigt die Kamera, Schnitt um Schnitt, Einstellungen des Gebälks.
Das ist der Rest, das war's und das schiere Holz kontrastiert mit dem
Wappen, das man zuvor in korrespondierenden Einstellungen gesehen hat, mit
dem Wappen, das Shosuke-San als Mitglied und Nachfahren einer wohlhabenden,
hoch angesehenen Familie des Dorfs ausweist, in dem er lebt. Die Bewohner
wollen ihn, dieser Herkunft wegen, nicht seiner gegenwärtigen Existenz,
sogar zum Bürgermeister machen, er aber lehnt ab und hält die
verheerendste Lobrede auf den anderen Kandidaten, die man sich vorstellen
kann. Der wird trotzdem gewählt.
Hiroshi Shimizus "Mr. Shosuke Ohara" ist ein Film über ein Haus
so sehr wie über den Mann, der darin lebt. Ein Film über
Ökonomie, der das Wort auf seine Wurzel - oikos -
zurückführt, ein Film über Verausgabung gegen alle wirtschaftliche
Vernunft. Zwei Medien dieser Verausgabung stehen gegeneinander: Geld und
Sake. Die Sake-Wirtschaft kennt keine Vernunft und die Vernunft der
Geldwirtschaft bleibt Shosuke-San gänzlich fremd. Die Alkoholisierung
aller Beteiligung, ihre Stillstellung, ihre Entfernung aus den
Wirtschaftszusammenhängen der ökonomischen Vernunft ist das nicht
erklärte, aber das mit aller Konsequenz durchgeführte Programm
dieses Helden. Noch den Einbrechern, die Pech haben, weil sie ins Haus kommen,
als es gänzlich leergeräumt ist und die noch mehr Pech haben, weil
sie an den seiner Schulden ebenso wie seines Habs und Guts und gesellschaftlichen
Rangs beraubten Herrn dieses Hauses geraten, der immer noch seinen Körper
hat. Und dieser Körper, man hat es zuvor schon erfahren und gesehen,
ist ein aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz trainierter Körper (und der
Darsteller einer der großen Actionfilm-Vorkriegs-Stars des japanischen
Kinos und das ganze in dieser Weise auch eine Allegorie auf die jüngste
japanische Geschichte). Hier an dieser Stelle, als alles zu spät ist,
kommen der Körper des Helden von trauriger Gestalt und ein Zweck zusammen,
für den rasch überwundenen Moment: Er erledigt die Einbrecher.
Danach bietet er ihnen Sake an, um sie zu trösten. Eine letzter Triumph
der Verausgabungsökonomie des Alkohols. Sie kennt kein Arg, sie ist
der Gegenentwurf zur Schwarzmarktökonomie, der zu gehorchen Shosuke-San
mehrfach nahegelegt wird.
Das Haus ist - zunächst - ein Organismus (zuletzt nur noch eine
leergeräumte Bühne für ein Endspiel der alkoholinduzierten
Menschlichkeit). Was Ozu niemals täte: Shimizu schlitzt es auf, jagt
dem Realismus der Darstellung eine Kamerafahrt durch den Leib, zweimal. Eine
Plansequenz vom einen Ende des Hauses zum anderen, von Shosuke-San, der sich
verleugnen will, aber nicht verleugnen kann, als der Geldverleiher auftritt,
um Schulden einzutreiben, über das Regiment der Moderne, verkörpert
von Näherinnen, denen Shosuke-San aus Gutmütigkeit, nicht aus Sinn
fürs Erwerbsleben, Raum und Nähmaschinen zur Verfügung stellt,
hin zu (und auf diesem Weg tauchen auf und verschwinden die Geräusche
der Nähgeschäftigkeit) dem Raum am anderen Ende des Hauses, wo
der Geldverleiher wartet. Mit Sake sediert wird, die Großaufnahme der
Hand. Später die gleiche Fahrt zurück, während der Auktion,
die das Haus auflösen wird. Ein letztes Abfahren des Raums, eine Fahrt,
die dann bei der Frau landen wird, außerhalb, für die im Grunde,
das macht diese Fahrt deutlich, gar kein Platz ist in der (auch:
Geschlechter)Ökonomie des Films.
Wie alle großen komischen Figuren des Films ist Shosuke-San
kein Individuum, sondern ein Prinzip, sein Name (der nicht der des Individuums
ist) ganz entsprechend einem Kinderlied entnommen, das das Schicksal dieses
Mannes schildert: Er ging bankrott, weil er schon am Morgen trank, ein Nichtstuer
war. Das Prinzip ist freilich schwer zu bestimmen: Er ist kein Tölpel
und wird respektiert. Er hat keine Meinung, aber dies - wie in der politischen
Lobrede - in höchst subversiver Weise. Er reitet auf einem Esel. Er
will dabei sein - ganz zu Beginn, als man ihn zum Baseballspiel lädt
- und es geht daneben. Vielleicht ist das Prinzip dies: Keinen Widerstand
leisten. Geben, auf dass man in Frieden gelassen wird. Die Welt und all ihre
Differenzen und Komplexität aufheben, verschwimmen lassen im Alkohol.
Das kann nicht gut gehen, die Welt ist nicht so. Am Ende verlässt
Shosuke-San das Haus, das leergeräumte. Abschied vom alten Japan, gewiss,
wieder die allegorische Lesbarkeit. Und so viel mehr als das: Ein Mann, den
Koffer auf den über die Schulter gelegten Schirm gesteckt, geht die
Bahngleise entlang, verschwindet in der Ferne. Das Gegenbild zu "Children
of the Beehive", keine Aufnahme in der neuen Gemeinschaft, sondern der Abschied
aus der alten Gemeinschaft (seine Frau jedoch ist wieder dabei; das ähnelt
der Konstruktion des ohnehin nicht unverwandten Ozu-Film "A Story of Floating
Weeds"). Zuvor zeigt der Film einen glänzenden Sinn fürs Episodische.
Jetzt aber der Abschluss ins Offene.
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