Souverän bewegt sich Isaac Julien, der vom Spielfilm kommt,
seit einigen Jahren im Grenzbereich zur Kunst, der von dieser Seite kaum
betreten wird - ganz im Gegensatz zur umgekehrten Bewegung von der Kunst
zum Film. Die Kunst liebt das Kino, von Stan Douglas bis Douglas Gordon,
von Janet Cardiff bis Pierre Huyghe, aber das Kino ignoriert, zu seinem Schaden
oft, die Kunst. Julien freilich wechselt behende von hier nach da. Im eher
dokumentarischen Stil setzt sich sein Film "Badass" mit dem amerikanischen
Blaxploitation-Kino auseinander; rätselhaft und zugleich glamourös
dagegen "Baltimore", die Video-Installation, von 16mm auf DVD transformiert
und projiziert auf zum Triptychon rechts und links leicht aufgeflügelten
Leinwänden, noch zu sehen bei der 3. berlin biennale, im Berliner
Martin-Gropius-Bau. Es existiert auch, und war zu sehen in Rotterdam, eine
Film-Version für eine Leinwand, durch die, als doppelter Split Screen,
die Teilung geht, drei Bilder in einem; im Museum: drei Bilder, simultan,
in den Raum geklappt, ohne die Kino-Suggestion der Einheit. Was das aber
auch denken lässt: den Split Screen als Spielraum und Trennsaum der
Kunst im Kino.
Ein alter Mann, eine junge Frau, unterwegs in einer kaum belebten
Straße in Baltimore, rechts, links, Ikonen beide. Sie sieht aus, was
die Tonspur mit Dialogen und Schüssen aus Blaxploitation-Streifen
unterstreicht, wie eine zum Model in Schwarz gestylte Pam Grier, kühl,
schön, selbstbewusst. Der Afro ist eine Perücke, sie wird irgendwann,
auf der rechten Leinwand, den linken Mundwinkel verziehen, mit der rechten
Hand ins Haar greifen und sich die Perücke vom Kopf streifen. Fast schon
eine allzu symbolische Geste der Ausstellung von Identitätskonstruktionen.
Die Frau, die man sieht, ist nicht Pam Grier, der Mann aber, der alte Mann
mit Bart, Hut, Zigarre, sieht nicht nur aus wie eine Ikone, er ist eine,
Melvin van Peebles, der mit seinem legendären "Sweet Sweetback" dem
Blaxploitation-Kino einen Kickstart gegeben hat, an den sich nun, wie auf
der Berlinale dieses Jahr zu sehen, auch die offizielle Filmgeschichte zu
erinnern beginnt.
Julien schickt die Ikonen ins Museum. In die Museen, genauer gesagt,
eine Vervielfachung auch hier. Schwarze Helden in Wachs, zum einen, nicht
ohne Ironie wird van Peebles darunter gesellt, in Wachs, in echt, sich
konfrontiert, die lebende Ikone und die wächserne. Als umspielbar in
seinen Repräsentationsqualitäten erweist sich der Saum, der Split
zwischen den Leinwänden, wenn van Peebles von rechts und von links dem
Saum sich nähert und in der Annäherung, die keine Begegnung sein
kann, sich auflöst, verschwindet, ins Nichts der Grenze der Darstellung,
das natürlich ein mächtiges Nichts ist, eine dramatische Stelle
im Bild, als der Split, in den das Bild entschwindet, um für neue Bilder,
auf der Leinwand rechts und links, Platz zu machen, Raum zu geben. Es gibt
die doppelte Trennung auch die Möglichkeit zu einer neuen Art von Jump
Cut - wie ja der Split Screen immer auch Schnitt-Ersatz, Schnitt-Figur ist
-, indem zwei der Bilder beinahe ineinander fließen, aber nur beinahe.
Man sieht einen Highway vor der Skyline von Baltimore, Verkehr, der aber,
rechts des linken Saums, mit Verzögerung ankommt. Auf der rechten Leinwand
eine weitere, andere Straßenszene. In einer großen Geste der
Durchkreuzung und Vernähung zugleich fährt dann, einmal, ein schwarzer
Strich von rechts nach links durch die Bilder und macht sie, für den
Moment, zum Bild.
Der Schnitt, der Zusammenschnitt der drei Bilder, der ein Mix ist,
bietet Julien beste Gelegenheit zur Antäuschung von Narration. Nie sind
der Mann, die Frau im selben Bild, auch wenn es die Antäuschung
räumlicher Kontinuitäten gibt und eine Begegnung, vielleicht, nur
nicht im selben Bild. Der Mann, könnte sein, sieht die Frau, aber was
dieser Schein konventioneller Schnittbegegnung hervorbringt, ist ein
atemberaubender Special Effect: im großen Saal des Museums (eines anderen
Museums) erhebt sich die Frau in die Luft, schwebt, Blaxploitation könnte
man sagen, eignet sich die Matrix-Ikonografie an, als wäre es ein Leichtes,
knallt dann zu Boden, hochhackige Schuhe im mittleren Bild, eine Zäsur,
ein Schnitt, geboren aus dem Schein der Konvention.
Das Museum, der Schnitt, die Verdopplung der Museen: Melvin van Peebles,
der Meister des transgressiven Schunds, als Altmeister nun unter Altmeistern
der Bildenden Kunst. Wie Zombies, glänzend, strahlend, starr und weich
im selben Moment, die Wachsfiguren vor den Altmeistern, darunter, als Figur
und in echt, die Ikone der Blaxploitation, Melvin van Peebles. Nebeneinander,
juxtaposition, im Bild, Auflösung der Narration (die ohnehin nur Schein
ist) ins Tableau ironischer Konfrontation. Links Melvin van Peebles in Wachs,
die Zigarre im Mund, unbewegt, rechts Melvin van Peebles lebensecht, er
öffnet den Mund, gespenstisch langsam, steckt sich, mit beinahe pathetischer
Geste, die Zigarre in den Mund, schlägt der Musealisierung ein Schnippchen.
Virtuos und souverän nützt Julien in "Baltimore" die Freiheiten
der Form, den Grenzbereich von Kino und Kunst, um diesen Schnippchen Tür
und Tor zu öffnen.
zur Jump Cut Startseite
|