Rezensionen: Honoré de Balzac: Die menschliche Komödie

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Das Balzac-Projekt

Der Versuch, den Mount Everest der Literatur des 19. Jahrhunderts zu bezwingen.

DAS BALZAC-PROJEKT

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Der 3. Band

(zum ersten Band)

(zum zweiten Band)

(zum fünften Band)

Gobseck

(21.7.2005)

Es beginnt mit einer Szene aus dem Privatleben: Camille de Grandlieu richtet einen wohlgefälligen Blick auf den jungen Grafen de Restaud. Zwischen diesen Blick und eine mögliche Heirat jedoch fällt eine Geschichte, die der Anwalt Derville erzählt. Er stellt, mit seiner auf den Punkt getimeten Erzählung, die Bedingungen her, unter denen die Heirat möglich wird. Der junge Mann mit der furchtbaren Mutter ist nicht, wie alle denken, arm, sondern reich. In diesen Rahmen zwischen dem naiven und dem (anzunehmenden, nicht gezeigten) aufgeklärten Blick einer Liebenden schaltet Balzac nun ein Leben, das ein privates nicht zu nennen wäre. Gobseck, der Held der Geschichte, ist vielmehr Verkörperung eines Prinzips. Genauer gesagt, eines Prinzips und einer Leidenschaft, einer Verquickung zwischen beidem, in der die Zeit, in der die Figuren leben, zu sich selbst findet.

Gobseck, Sohn eines Holländers und einer Jüdin, ist Wucherer. Er lebt, wie ein Mönch, in einer Zelle. Legenden eines aufregenden Lebens in der Jugend umgeben ihn als auratische Vorgeschichte. Er ist alt, er vertraut keinem. Der Anwalt Derville wird durch reine nachbarschaftliche Kontiguität zum Rechtsberater, wenn nicht Freund. Der erste Blick auf Gobseck täuscht. Derville, der ihm seine Zukunft anvertraut hat, wird später sagen können, und nicht ohne Recht:

Für ihn ist Geld eine Ware, die man in aller Gewissensruhe teuer oder wohlfeil verkaufen kann, je nachdem der Fall beschaffen ist. In seinen Augen ist ein Kapitalist ein Mann, der durch die hohen Zinsen, die er für sein Geld verlangt, von vorneherein als Teilhaber an lukrativen Unternehmungen oderSpekulationen beteiligt ist. Abgesehen von seinen Grundsätzen in Finanzdingen und seinen philosophischen Beobachtungen über die menschliche Natur, die es ihm gestatten, sich wie ein Wucherer zu verhalten, bin ich im tiefsten Innern überzeugt, daß er, wenn es sich nicht um seine Geschäfte handelt, der am meisten zartfühlende, der rechtschaffenste Mensch von ganz Paris ist. In ihm stecken zwei Menschen: er ist ein Geizhals und ein Philosoph, klein und groß.

Gobseck ist ein ehrenwerter Mann, und zwar als leidenschaftlicher Kapitalist. Die Rechtschaffenheit erweist sich an Derville und dem Grafen de Restaud, die sich ihm anvertrauen. Er schenkt ihnen nichts, aber er behandelt sie fair. Sonst aber gebärdet er sich als die Rache des Kapitals an denen, die zum Geld sich ins Verhältnis der Schuld setzen. Die Verschuldung, die nach Benjamin der Kapitalismus als Religion ist, kennt das Prinzip der Rache in der Gestalt des exorbitanten Zinses. Der Versuch der Entschuldung führt so immer nur zu weiterer Verschuldung. Nur wer der Schuld und der Verschuldung ins Gesicht sieht, wird saniert. Ihm bleibt noch die Dankbarkeit erspart, die er dem Kreditgeber schuldete, verlangte der die gewöhnlichen Zinsen nicht. Das ist der zarteste Punkt im Prinzip Gobseck, der Punkt seines Rechtgefühls. Die Leidenschaft für die Vermehrung des Geldes, die reine Gier, die aber stets nicht nur das Recht, sondern auch eine Art Gerechtigkeit des Exzesses auf ihrer Seite weiß.

Die Verortung im privaten Leben wird in dieser Erzählung sichtbar als bloße Rücksicht auf Konvention. Im unverblümten Junktim von Interessen und Liebe, Erwägung und Leidenschaft, Geld und Zartgefühl offenbart sich vielmehr jene Ununterscheidbarkeit von privaten und öffentlichen Angelegenheiten, die sich dem Kapital, das verschuldend gleichsetzt, was nicht gleich ist, verdankt.