Mit dem Vorschlag, einen italienischen Film anzuschauen, gewann man in
den letzten Jahren keine Freunde. Ein Grappa reichte selten aus, um barockes
Ausstattungskino ("Il Testimone dello sposo"), pathetische Romanzen ("Brenne
im Wind") oder krudes Beziehungsgeplapper ("Winter") zu verdauen.
Das neue italienische Kino, seit der Nachkriegszeit alle zehn Jahre
regelmäßig proklamiert, versteckte sich - wenn es überhaupt
vorkam - auf deutschen Leinwänden in der mediterran ausgeleuchteten
Ecke eines Klischees. Der auf seiner Vespa um die Hügel Roms swingende
Regisseur und Schauspieler Nanni Moretti war Mitte der 90er Jahre mit "Liebes
Tagebuch" zur Ikone einer Wiedergeburt des italienischen Kinos geworden.
Seine ironische Nabelschau, die Privates mit Politischem elegant
verknüpfte, eröffnete mit der Redseligkeit eines Woody Allen eine
Perspektive auf Italien fern von Pizza, Pasta und Pesto. Richtig ernst wurde
Moretti erst wieder 2001 mit "Das Zimmer meines Sohnes".
Andere Produktionen, die den Weg über die Alpen fanden, erzeugten eher
Sodbrennen denn angenehmes Prickeln im Magen. Auf Beifall bei Kritik und
Publikum stieß vor allem der 1999 mit dem Oscar geehrte Film "Das Leben
ist schön" von dem penetrant komischen Roberto Benigni. Neben dem immer
gern zitierten "Cinema Paradiso" von 1988 verbindet der deutsche Zuschauer
mit einem Film made in italy vielleicht noch den Publikumsrenner "Brot
und Tulpen" und seit diesem Jahr "Lampedusa" oder "100 Schritte".
Anlässlich der sechsten Cinema!Italia!-Tournee, die jetzt in Berlin
startete und mit ihren sieben Filmen im Anschluss durch weitere 18 Städte
gondelt, lässt sich zweierlei feststellen: Der italienische Film erlebt
eine Renaissance. Aber diese wird zurzeit nicht von einer Garde junger
Regisseure, sondern einer Riege älterer Herren getragen.
Auf dem Münchner Filmfest spürte man den Hauch der Gerontokratie
zuerst: In einer Sonderreihe wurden "I Maestri - Die Meister des italienischen
Kinos" gewürdigt. Altmeister wäre die richtige Bezeichnung für
die vier Regisseure gewesen, deren Geburtsjahr einige Zeit zurückliegt
und deren Reputation als Filmemacher unbestritten ist: Pupi Avati, Ettore
Scola, Roberto Faenza und Michele Placido. Alle vier Werke spielten in der
Vergangenheit. Ein Zufall, wie man in München schwor. Doch blieb der
Eindruck haften, dass italienische Regisseure in dekorativen Sets mit einem
erstklassigen Ensemble auf bewährte Erzählmuster zurückgreifen.
Das war München. Dann kam das Filmfestival von Venedig und kehrte mit
kräftigem Besen gegen gerade aufgebaute Vorurteile. Drei italienische
Filme (zwei im Wettbewerb, einer außer Konkurrenz) setzten sich zu
einem großen politischen Gemälde zusammen und zeigten, dass
historisierendes Kino Spannung erzeugt. Insbesondere wenn es vergangene
Ereignisse beleuchtet wie die ungeklärten Schüsse auf eine
1.-Mai-Demonstration in Sizilien ("Segreto di Stato" von Paolo Benvenuti),
die Studentenrevolte 1968 in Paris ("Die Träumer" von Bernado Bertolucci,
Kinostart bei uns Mitte Januar 2004) sowie die Entführung und Ermordung
des Christdemokraten Aldo Moro 1978 ("Buongiorno, Notte" von Marco Bellocchio).
Auf die neu erwachte Liebe zur Politik im italienischen (Festival-)Film antwortet
die Cinema!Italia!-Tournee mit neuem italienischen Kino von jungen Regisseuren.
Von der Blutrache als perfekt geplantem Verbrechen auf Sardinien ("Arcipelaghi")
über die Suche nach ewiger Liebe ("Casomai") oder den Problemen eines
Italieners in Amerika ("My name is Tanino") reicht das Spektrum. Ein schwuler
Tierpräparator kommt auch vor ("L'Imbalsamatore"), und der Hauptdarsteller
Stefano Accorsi aus "Der letzte Kuss" spielt in der Komödie von Marco
Ponti wieder einen Mann, der nicht weiß, was er will ("Santa Maradona").
Wenn vier Italiener Ende Dreißig über ihre verpassten Chancen
im Leben sinnieren, sieht das bei dem Rocker Luciano Ligabue, der hier seinen
zweiten Film vorstellt, schrill aus. Aus der Kameraperspektive mutiert bei
ihm die Touristenmeile Rimini zu Las Vegas ("Da zero a dieici"). Das ist
zum Teil nur mäßig interessant, führt aber auch nicht zu
Sodbrennen.
23.10. - 29.10. Mannheim Atlantis und Heidelberg Gloria & Gloriette;
30.10. - 05.11. Düsseldorf Black Box und Köln Odeon Kino; 06.11.
- 12.11. Göttingen Lumiere und Kassel Filmladen; 13.11. - 19.11. Darmstadt
Rex Kino und Lich Kino Traumstern;
20.11. - 26.11. Hannover Kino am Raschplatz und Münster Cinema und
Kurbelkiste;
27.11. -03.12. Stuttgart Kino Delphi 1+2 und Freiburg Friedrichsbau;
04.12. - 10.12. München Filmmuseum;
11.12. - 17.12. Bremen Atlantis; Hamburg zeise kinos.
Preisverleihung am 13.12.2002 um 20:00 Uhr in den Zeise Kinos in Hamburg
in Anwesenheit des italienischen Generalkonsuls und weiterer Gäste.
Der Publikumsgewinner startet im nächsten Jahr in den Kinos.
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