Die Ringe des Saturn ist ein Reisebericht. Ein Ich wandert
durch die englische Grafschaft Suffolk und berichtet, was es sieht. Das ist
das eine. Jedoch beginnt dieser Bericht mit der Schilderung seines Beginns
in einem Zimmer im Krankenhaus in Norwich, wo Sebald, das Ich, das hier von
sich spricht, behandelt und von der Welt abgesperrt wird. Dieser Wanderung
wohnt also eine grundsätzliche Nachträglichkeit inne, sie beginnt
und endet daher, wenig überraschend, unter dem Zeichen der Melancholie,
aufgerufen wird der Tod, wird Dürers Engel der Melancholie. Und auch
die Machart des ganzen Buches, das sehr viel mehr ist als ein bloßer
Reisebericht, jedenfalls im buchstäblichen Verstand des Wortes, zeigt
sich bereits im ersten Kapitel: durchwandert nämlich wird viel mehr
als eine geografische Topografie, so gelangt Sebald von seinen ersten
Wanderschritten alsbald zu zwei befreundeten, nun verstorbenen Kollegen an
der Universität, von da zum Arzt und Gelehrten Thomas Brown und von
diesem zu Rembrandts Gemälde von einer anatomischen Vorlesung in
Amsterdam.
Das Mäandernde erweist sich bald als Methode. Es ist, als durchreiste
Sebald eine Landschaft mit Schlupflöchern in andere Zeiten und Weltgegenden,
Schlupflöcher, die leicht zu übersehen wären, die ein wenig
immer auch mit der Willkür seines Ausschweifens und Einholens zu tun
haben. Einmal ist es eine Fernsehsendung, die ihn zu weiterer, vor dem Leser
dann ausgebreiteter, Nachforschung über den widerständigen Diplomaten
Robert Casement veranlasst. Auf dem Umweg zu Casement jedoch liegt noch eine
hoch interessante Lebensbeschreibung Joseph Conrads: der Fluchtpunkt beider
Geschichten ist, ausgerechnet, Belgisch-Kongo. All die herbeigerufenen Menschen,
Tote meist und Vergessene oft, werden mit feinem Pinselstrich ganz sacht
verlebendigt, auf eine Weise, die ihnen nicht das falsche Leben
Authentizität fingierender Biografik einhaucht, sondern Entdeckung um
Entdeckung präsentiert. Oftmals auch aus deren eigenen Texten zitiert,
die Sebald in den seinen hineinfließen lässt. Die Markierung ist
dabei sparsam, gelegentlich spricht, plötzlich, das andere, nicht das
Sebald-Ich aus dem Text.
Jedoch auch die lesereisebegleitende erste Person rückt einem
nicht wirklich nahe. Es ist, als lege sie strengsten Wert auf Diskretion,
wolle sich nur als objektives Agens vorführen, das, fast ohne eigenen
Kommentar, vorstellt, herbeiruft, Bekanntschaften vermittelt. Selten einmal
begegnet man einem Ich, das einem so wenig subjektiv vorkommt, das auf alle
Wertung verzichtet und noch in der Beschreibung des Privaten seltsam
unpersönlich wirkt. Es gibt dafür einen Grund, das ist Sebalds
Sprache. Sie klingt und liest sich seltsam zeitlos, wie aus dem 19. Jahrhundert
entliehen. Die Perioden schwingen langsam, die Darstellung gibt sich objektiv,
vermittelt Fakten, keine Emotionen. Sebalds Sprache ist beinahe affektfrei,
sie greift auf das Dargestellte nie direkt zu, stellt es nüchtern, durch
manch altväterliche Formulierung zusätzlich Distanz erzeugend,
vor den Leser. Manchmal ist dieser strenge Kunstwille unheimlich, schlägt
um in kalte Kontrolle, als wäre den Sätzen egal, wovon sie sprechen,
solange sie es nur klassisch tun. Ein Massenselbstmord etwa wird so beschrieben:
"Auf jede nur denkbare Weise rotteten sie sich selber aus mit dem Schwert
und dem Messer, mit dem Feuer und mit dem Strick und indem sie sich
hinabstürzten von den Zinnen und von den Dächern der Häuser.
Viele sollen sich sogar begraben haben bei lebendigem Leib." Das Pathos dieser
Sprache und dieses Tons liegt in der Pathosverweigerung. Alles Verkleinernde,
Relativierende ist ihnen fremd: Humor, Ironie, Brüche der Stilebene,
und eben auch das Aufblitzen eines Subjekts, das dem strengen Ich
dazwischenführe. Es wird einem nicht warm mit Sebald (und soll es nicht
werden), Gewinn zieht man jedoch aus dem Buch auch bei einem gewissen Unbehagen.
Seine mäandernde Komposition beweist den Meister und faszinierend sind
alle Geschichten, die er auf seiner Wallfahrt zu erzählen hat.
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