Wim Wenders - The Soul of a man (D 2002)
Erstaunlich fesselnde Dokumentation über drei Blueslegenden,
mit nie vorher zu sehendem Archivmaterial und etlichen inszenierten
Spielfilmszenen, die uns das Leben von Skip James, Blind Willie Johnson und
J.B.Lenoir näherbringen. Dazu eine ganze Reihe hochkarätiger, teilweise
eigens für diesen Film entstandener Gastauftritte. So covern etwa Nick
Cave and the Bad Seeds, Lou Reed, Bonnie Raitt, Beck, Los Lobos oder die
phantastischen Jon Spencer Blues Explosion Songs von James, Johnson und Lenoir.
Wenders hält sich weitgehend angenehm zurück, rückt sich nur
einmal etwas unmotiviert in den Mittelpunkt, als Filmstudent in den sechzigern.
Nach seinem Bap-Film-Fiasko eine positive Überraschung.
Stephen Frears - Dirty pretty things (GB 2002)
Ein Wiedersehen mit Audrey Tautou. Die Geschichte kreist um ein Hotel,
das für die meist illegalen Einwanderer ihren multi-kulturellen Mikrokosmos
bestimmt. Okwe (Chiwetel Ejiofor) ist Nachtportier, eigentlich aber ausgebildeter
Mediziner. Tagsüber fährt er Taxi, zwischendurch schläft er
auf dem Sofa des Zimmermädchens Senay (Audrey Tautou), ein täglicher
Überlebenskampf an der Grenze der Belastbarkeit. Schließlich wird
ihm vom schmierigen Juan (Sergi Lopez) angeboten im Hotel Organtransplantationen
vorzunehmen. Senay soll die nächste Spenderin sein. Der Deal: britischer
Passport und ausreichend Geld für die Ausreise ins gelobte Land, die
USA. Stephen Frears geht ein beträchtliches Risiko ein. Er greift diesen
brisanten Stoff auf und bearbeitet ihn in einem kommerziell verwertbaren
Rahmen. Als die Geschichte im letzten Drittel zum Genrethriller gerät,
lässt die Intensität jedoch spürbar nach. Die Figuren verlieren
an Kontur, der Plot gewinnt die Oberhand. Am Ende ein eigentümlich
unausgewogener Film mit zwei nicht recht zueinander passenden Teilen.
Katsumi Sakaguchi - Catharsis (Japan 2002)
Die Vorgeschichte: Der 14 jährige Naoki bringt ein Mädchen
um. Seine Familie ändert ihren Namen und zieht in eine fremde Gegend.
Der Film setzt ein, als die Familie Naoki nach 2 Jahren aus der Besserungsanstalt
abholt. Regisseur und Drehbuchautor Sakaguchi hat seine Geschichte auf eine
wahre Begebenheit gestützt, die in der japanischen Öffentlichkeit
großes Aufsehen erregt hat. Sein Interesse gilt dem Umgang mit einer
solchen Tragödie im engsten Familienkreis. Ausser langen, statischen
Einstellungen der Familie beim wortlosen Zusammensein, schwermütigen,
sorgsam kadrierten Bildern, die immer ein wenig krampfhaft wirken, fällt
ihm nicht viel ein. Es gibt kaum Denkanstösse, der Zuschauer wird alleine
gelassen, mit den Protagonisten, die in ihrer Trauer und Hilflosigkeit
erstarren.
José Padilha - Bus 174 (Brasilien 2002)
José Padilhas erster Kinofilm, eine reife Leistung, ein
erschütterndes Dokument. Der Inhalt: Im Juni 2000 kidnappt ein junger
Mann einen Linienbus in Rio de Janeiro. Über 4 ½ Stunden ist die
Entführung landesweit im Fernsehen hautnah zu verfolgen, noch bis heute
ist der Vorfall kontroverses Gesprächsthema. Padilha hat seinen knapp
2-stündigen Dokumentarfilm in zwei parallel erzählte
Erzählstränge unterteilt. Zunächst wird der Background des
Kidnappers beleuchtet, der als kleiner Junge hilflos zusehen musste, wie
drei Männer seine Mutter brutal niederstechen und töten. Seither
ist der Junge offensichtlich traumatisiert, beginnt eine Kariere als
Straßenkind, landet in den menschenunwürdigen Gefängnissen
Rios, versucht immer wieder verzweifelt auszubrechen aus dem
verhängnisvollen Kreislauf aus Gewalt, Drogen und Kriminalität.
Dann kümmert sich Padilha ausführlich um die Entführung selbst,
um die Rolle der Polizei, die auf ganzer Linie versagt, zurückgehalten
von Entscheidungsträgern in der Politik. Vor den Kameras darf kein Blut
fließen, die Lage entwickelt sich immer deutlicher zur einer ausweglosen
Situation. Beinahe endlos malträtiert Padilha den Zuschauern mit den
Originalbildern der Entführung, mit dem finalen Schusswechsel, als der
Entführer mit einer Geisel den Bus verlässt, von einem Polizisten
attackiert wird, im Chaos die Geisel tödlich getroffen wird. Der Täter
bleibt unverletzt. Die Polizei kann ihn vor der Lynchjustiz schützen
und in Sicherheit bringen. Außerhalb der Reichweite der Fernsehkameras,
wird er von den Polizisten mit Schlägen traktiert und erliegt seinen
Verletzungen. Padilha operiert mit Blow ups des Originalmaterials,
bringt Weggefährten des Entführers vor die Kamera, gewährt
uns Einblick in die Gefängniszelle, aus der er ausbrach. Immer wieder
zeigt uns die Vogelperspektive die Stadt aus der Luft, die Favelas, die sich
bis zum Horizont erstrecken, die Straßenschluchten, den geweißten
Beton, der sich an die Hügel klammert. Für die Straßenkinder
hört an den blauen Rändern, am Pazifik, die Welt auf. Die meisten
von ihnen sterben, ohne etwas anderes gesehen zu haben.
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