Filmfest München 2003: Kurzkritiken

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Filmfest München 2003: Kurzkritiken

 

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Filmfest München 2003: Kurzkritiken
V
on Thomas Reuthebuch

 

Wim Wenders - The Soul of a man (D 2002)

Erstaunlich fesselnde Dokumentation über drei Blueslegenden, mit nie vorher zu sehendem Archivmaterial und etlichen inszenierten Spielfilmszenen, die uns das Leben von Skip James, Blind Willie Johnson und J.B.Lenoir näherbringen. Dazu eine ganze Reihe hochkarätiger, teilweise eigens für diesen Film entstandener Gastauftritte. So covern etwa Nick Cave and the Bad Seeds, Lou Reed, Bonnie Raitt, Beck, Los Lobos oder die phantastischen Jon Spencer Blues Explosion Songs von James, Johnson und Lenoir. Wenders hält sich weitgehend angenehm zurück, rückt sich nur einmal etwas unmotiviert in den Mittelpunkt, als Filmstudent in den sechzigern. Nach seinem Bap-Film-Fiasko eine positive Überraschung.

Stephen Frears - Dirty pretty things (GB 2002)

Ein Wiedersehen mit Audrey Tautou. Die Geschichte kreist um ein Hotel, das für die meist illegalen Einwanderer ihren multi-kulturellen Mikrokosmos bestimmt. Okwe (Chiwetel Ejiofor) ist Nachtportier, eigentlich aber ausgebildeter Mediziner. Tagsüber fährt er Taxi, zwischendurch schläft er auf dem Sofa des Zimmermädchens Senay (Audrey Tautou), ein täglicher Überlebenskampf an der Grenze der Belastbarkeit. Schließlich wird ihm vom schmierigen Juan (Sergi Lopez) angeboten im Hotel Organtransplantationen vorzunehmen. Senay soll die nächste Spenderin sein. Der Deal: britischer Passport und ausreichend Geld für die Ausreise ins gelobte Land, die USA. Stephen Frears geht ein beträchtliches Risiko ein. Er greift diesen brisanten Stoff auf und bearbeitet ihn in einem kommerziell verwertbaren Rahmen. Als die Geschichte im letzten Drittel zum Genrethriller gerät, lässt die Intensität jedoch spürbar nach. Die Figuren verlieren an Kontur, der Plot gewinnt die Oberhand. Am Ende ein eigentümlich unausgewogener Film mit zwei nicht recht zueinander passenden Teilen.

Katsumi Sakaguchi - Catharsis (Japan 2002)

Die Vorgeschichte: Der 14 jährige Naoki bringt ein Mädchen um. Seine Familie ändert ihren Namen und zieht in eine fremde Gegend. Der Film setzt ein, als die Familie Naoki nach 2 Jahren aus der Besserungsanstalt abholt. Regisseur und Drehbuchautor Sakaguchi hat seine Geschichte auf eine wahre Begebenheit gestützt, die in der japanischen Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt hat. Sein Interesse gilt dem Umgang mit einer solchen Tragödie im engsten Familienkreis. Ausser langen, statischen Einstellungen der Familie beim wortlosen Zusammensein, schwermütigen, sorgsam kadrierten Bildern, die immer ein wenig krampfhaft wirken, fällt ihm nicht viel ein. Es gibt kaum Denkanstösse, der Zuschauer wird alleine gelassen, mit den Protagonisten, die in ihrer Trauer und Hilflosigkeit erstarren.

José Padilha - Bus 174 (Brasilien 2002)

José Padilhas erster Kinofilm, eine reife Leistung, ein erschütterndes Dokument. Der Inhalt: Im Juni 2000 kidnappt ein junger Mann einen Linienbus in Rio de Janeiro. Über 4 ½ Stunden ist die Entführung landesweit im Fernsehen hautnah zu verfolgen, noch bis heute ist der Vorfall kontroverses Gesprächsthema. Padilha hat seinen knapp 2-stündigen Dokumentarfilm in zwei parallel erzählte Erzählstränge unterteilt. Zunächst wird der Background des Kidnappers beleuchtet, der als kleiner Junge hilflos zusehen musste, wie drei Männer seine Mutter brutal niederstechen und töten. Seither ist der Junge offensichtlich traumatisiert, beginnt eine Kariere als Straßenkind, landet in den menschenunwürdigen Gefängnissen Rios, versucht immer wieder verzweifelt auszubrechen aus dem verhängnisvollen Kreislauf aus Gewalt, Drogen und Kriminalität. Dann kümmert sich Padilha ausführlich um die Entführung selbst, um die Rolle der Polizei, die auf ganzer Linie versagt, zurückgehalten von Entscheidungsträgern in der Politik. Vor den Kameras darf kein Blut fließen, die Lage entwickelt sich immer deutlicher zur einer ausweglosen Situation. Beinahe endlos malträtiert Padilha den Zuschauern mit den Originalbildern der Entführung, mit dem finalen Schusswechsel, als der Entführer mit einer Geisel den Bus verlässt, von einem Polizisten attackiert wird, im Chaos die Geisel tödlich getroffen wird. Der Täter bleibt unverletzt. Die Polizei kann ihn vor der Lynchjustiz schützen und in Sicherheit bringen. Außerhalb der Reichweite der Fernsehkameras, wird er von den Polizisten mit Schlägen traktiert und erliegt seinen Verletzungen. Padilha operiert mit Blow ups des Originalmaterials, bringt Weggefährten des Entführers vor die Kamera, gewährt uns Einblick in die Gefängniszelle, aus der er ausbrach. Immer wieder zeigt uns die Vogelperspektive die Stadt aus der Luft, die Favelas, die sich bis zum Horizont erstrecken, die Straßenschluchten, den geweißten Beton, der sich an die Hügel klammert. Für die Straßenkinder hört an den blauen Rändern, am Pazifik, die Welt auf. Die meisten von ihnen sterben, ohne etwas anderes gesehen zu haben.

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