Scherpunkt Asien: Shunji Iwai: All about Lily Chou-Chou (Japan, 2001)

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All About Lily Chou-Chou

Regie: Shunji Iwai

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Shunji Iwai: All about Lily Chou-Chou  (Japan, 2001)
Kritik von Ekkehard Knörer

Shunji Iwai: All about Lily Chou-Chou

zum Asien-Schwerpunkt

Erstaunlich, wie wenig All About Lily Chou-Chou zu tun scheint, was der Film, alles in allem, sehr virtuos tut: eine Geschichte erzählen. Die Bilder wirken wie Fundstücke aus den Leben, in die sie einen Einblick geben; die Komposition drängt sich (weiß Gott) nicht in den Vordergrund, tritt man aber ein Stück zurück, merkt man, wie sich alle Geschehnisse um ein Zentral- und wenige Nebenmotive gruppieren. Das Zentralmotiv ist das des tyrannischen Cliquendrucks unter Jugendlichen, der zu seelischer und auch körperlicher Bestialität führt. Als Nebenmotive bringt Iwai, auf den ersten Blick ganz genre-konform, erste, schwierige Lieben, gemeinsame Ausflüge und Schulprobleme ins Spiel. Weniger ein Motiv als der Hintergrund, vor dem der Rest in Szene gesetzt wird, ist die Titelfigur, die nie persönlich auftritt, um deren Musik aber ein nicht geringer Teil der Gespräche kreist: Lily Chou-Chou, eine (fiktive) Pop-Ikone.

Gespräche ist freilich irreführend: es sind kurze Sätze aus Internet-Chats, die Iwai als Buchstaben-Bilderbeat unter seinen Film legt, Sätze, die um den mysteriösen Äther kreisen, dem sich Lily Chou-Chous Genie verdanken soll. Kompletter Blödsinn also - und darin nicht nur realistisch, sondern, dank der Entstehungsgeschichte des Films sogar ganz authentisch. Begonnen hat Iwai das Projekt als interaktiver Web-Roman, der nach und nach und unter heftiger Mitwirkung der Besucher entstehen sollte; das Projekt wurde abgebrochen, aber viele der Chat-Zeilen sind direkte Inputs der Website-Bsesucher. Im Film werden sie nun zu Material, aus dem Iwai die zentrale Beziehung seiner Geschichte modelliert, die in Tyrannei umschlagende Freundschaft zwischen dem schüchternen Yuichi und dem vom Musterschüler zum brutalen Cliquen-Anführer sich entwickelnden Oshino.

Beide führen ein Doppel-Leben, das reale und das virtuelle (und das eine weiß, ein bisschen wie bei Lubitschs Rendezvous nach Ladenschluss, nichts vom anderen; nur dass das hier die tiefschwarze Variante ist), für beide Leben führt Iwai Bilder vor: auf der einen Seite die Chat-Zeilen vor schwarzem Hintergrund, als zusätzlicher und verstärkender Schnitt ins Abbildungs-Bilder-Gewebe die nervös aufblitzenden Reload-Signale, die auf jeden neuen Eintrag folgen. Andererseits die von einer hochauflösenden digitalen Videokamera in satten und sehr schönen Fehlfarben aufgenommenen Szenen, die die Jugendlichen in ihrem Alltag zeigen. Die Schönheit der oftmals leicht taumeligen Bilder wird dabei von der abgrundtiefen Bösartigkeit der Handelnden konterkariert. Yuichi, ein geborenes Opfer, sucht Anschluss an den als vermeintlicher Streber ausgegrenzten Oshino. Tatsächlich kommen sie sich näher, machen mit Freunden einen Abenteuer-Urlaub auf Okinawa.

Diesen Urlaub filmt Iwai als Homevideo, verwackelt, ziel- und belanglos, urplötzlich und unvorbereitet aber kommt es zu zwei traumatisierenden Ereignissen: Oshino ertrinkt um ein Haar und ein Mann, den die Reisegruppe auf der Insel kennengelernt hat, gerät vor ein Auto. Danach ist Oshino wie verwandelt. Die Art dieses Umschlags ist typisch für den Film, das Schockerlebnis ist die fast nur symbolische Erklärung für die Veränderung. Der Film argumentiert nie psychologisch, das Verhalten der Figuren bleibt erratisch, oft schwer verständlich, ist nicht recht in eine vernünftige Kontinuität zu bringen. Redundanzen und Phasen, in denen buchstäblich nichts passiert (auch dem geduldigen Betrachter wird's da gelegentlich zu viel) stehen plötzliche Ein- und Ausbrüche von Gewalt und Tempo gegenüber - und seltsamerweise gibt gerade dieses Hin und Her dem Film einen klaren Rhythmus. Und was als blinder Pfad erscheinen mag, wird stets zurückgebunden an die wenigen wichtigen Motive des Films, der eher unerwartet noch auf einen letzten Höhe- und Schlusspunkt zusteuert und die beiden Hauptfiguren bei einem Konzert von Lily Chou-Chou ein letztes Mal aufeinandertreffen lässt.

Eine der großen Stärken des Films ist es, dass ihm nicht auf die Stirn geschrieben steht, was er eigentlich will. Ein Porträt japanischer Jugendlicher von heute ist er genauso wie eine zwischen Mystizismus und Schocks pendelnde Meditation über Musik und Sehnsüchte; manchmal ein Bildergedicht; manchmal selbstgefällig, manchmal atemberaubend. Wer die Geduld aufbringt, sich auf All About Lily Chou-Chou einzulassen (der Film macht es einem nicht immer leicht), darf sich auf ein faszinierendes Film-Erlebnis gefasst machen.

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