"American Splendor" ist ein Film über den Sozialtypus Nerd. Eine
Rehabilitation des Nerds, die einem nicht vormacht, Nerds seien angenehme
Menschen. Man erlebt sie besser aus der Distanz. "I am depressing", sagt
Harvey Pekar und man glaubt ihm aufs Wort. "I am a Nerd", sagt Toby Radloff
und ein Blick genügt. Man hört es auch mit geschlossenen Augen,
denn in Wahrheit sagt er "I am a Niard" und diese Abweichung fasst zusammen,
was den Nerd ausmacht: Er ist unmöglich. Er weiß sich nicht zu
benehmen. Er ist seltsam und das auf total uncoole Art. Ja, der Nerd ist
das Gegenteil von cool, weil seine Abweichung nichts Heroisches hat. Die
psychischen Mechanismen liegen offen zu Tage, und genau darin liegt der Grund,
dass seine Sublimationen scheitern müssen, ohne allen Glanz, ja, noch
die Selbsterkenntnis des Nerds ist eine traurige Sache, sie weckt Mitleid,
im besten Fall. Am Scheitern des Nerds an sich und der Welt gibt es nichts
zu bewundern. Der Nerd ist ein hoffnungsloser Fall, noch wenn er bei David
Letterman auftaucht oder bei MTV: Missverständnisse, die sich schnell
aufklären.
"American Splendor" ist ein Film über Harvey Pekar und Harvey Pekar
ist ein Nerd, das ist keine Frage. Sein Blick auf die Welt und das Dasein
und vor allem sich selbst ist schärfer und aufrichtiger, als irgend
jemandem gut tun könnte. Depressive Menschen, sagen psychologische Studien,
zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie sich, anders als die anderen,
nicht selbst überschätzen. Nerds wissen über die Welt gut
Bescheid, weil sie nicht dazu gehören, da kann man genauer hinsehen.
Die Existenz des Nerds ist überstrahlt vom Unglück und genau davon
erzählen Harvey Pekars Comics. Selbst unter seinesgleichen ist er allein
und davon handeln seine Geschichten, die mitten aus seinem Leben gegriffen
sind. Harvey Pekar erzählt von sich, seinem Job als Aktenverwalter im
Krankenhaus von Cleveland, von seinen Kollegen, die nicht minder seltsam
sind als er selbst. Im Gegenteil: Toby Radloff, der 80 Meilen fahren wird,
hin, dann wieder zurück, um im Kino den Film "Revenge of the Nerds"
zu sehen, ist eine der bizarrsten Figuren, die man sich nur vorstellen kann.
Nerds, das kommt dazu, und das kann man hier sehen, sind stets schon die
Karikatur eines Nerds. Was natürlich alles noch schlimmer macht. Recht
nonchalant stellen die Regisseure von "American Splendor" die echten Nerds
gegen ihre fiktionalen Nachempfindungen und es wird deutlich, dass im Spielfilm
nichts übertrieben wird, im Gegenteil. Fiktionalisierung ist, beinahe
unvermeidlich, schon Milderung, das zeigt der Vergleich, den "American Splendor"
in so schöner, weil ganz beiläufiger Weise, möglich macht,
das zeigen Dokumentationen wie "Crumb" (Robert Crumb tritt auch hier auf,
er ist der erste Zeichner, der Pekars Geschichten umsetzt) oder "Cinemania"
- und das zeigt, ex negativo, ein Spielfilm wie "Ghost World", der der
Nerd-Existenz eine Art Glamour verleiht, die sie nicht hat. Nicht haben kann,
weil der Nerd niemals ein Held sein kann. Und er kann niemals ein Held sein,
weil er die Wahrheit über uns alle ist, eine Wahrheit, die wir
schlechterdings nicht ertragen können. Der Nerd hält uns die
Durchsichtigkeit unserer verzweifelten Versuche vor Augen, klüger,
schöner, liebenswerter, edler zu scheinen als wir sind, indem er in
sichtbarer Weise so medioker und fanatisch und verzweifelt und klein ist,
wie wir es selber sind.
Man kann den Nerd nicht lieben, weil man in seinem Angesicht vor dem Nerd
in sich, dem ganz und gar nicht liebenswerten Autisten, den keiner kennt
außer dir selbst, erschrickt. Du verspottest den Nerd und meinst dich
selbst. Umso bewundernswerter sind Filme wie "American Splendor" oder "Crumb"
oder, mit Abstrichen, "Cinemania", die es dir möglich machen, den Nerd
in dir zu akzeptieren. Es liegt nicht weniger als die Utopie des
Zwischenmenschlichen darin zu sehen, wie die Nerds Harvey Pekar und Toby
Radloff und Joyce Brabner einander haben wie die Stachelschweine, die sich
gegenseitig wärmen. "American Splendor" macht es möglich, mehr
als Mitleid zu empfinden, für die Nerds, die du nicht lieben kannst.
Eine Nähe, eine Wärme, eine Zärtlichkeit, die etwas beinahe
Utopisches hat, weil sie auf alle Sentimentalitäten und Romantisierungen
entschlossen verzichtet, verzichten muss.
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