Explosionen, Krieg, keine Erläuterungen. Ein Junge flieht. Er rettet
sich unters Verdeck eines Autos, fährt aus der Stadt, aufs Land, er
springt herunter, weiß nicht wo, versteckt sich im Feld. Er ist allein,
verstört, seine Eltern sind tot. Der Film erzählt, wie Bashu eine
neue Familie findet. Eine Mutter. Zuletzt: einen Vater.
Bashu kauert im Feld, versteckt sich. Eine Frau und ihre Kinder. In einer
raschen Einstellung in Großaufnahme sieht man, wie die Frau das weiße
Kopftuch bindet. So jedenfalls müsste man nüchtern beschreiben,
was in dieser Einstellung geschieht. Was man aber sieht, ist das symmetrische
Bild eines vom Tuch fast verdeckten Gesichts. Ein weißer Streifen in
der einen Hand bricht aus dem Bild nach links, in der anderen Hand einer
nach rechts. In dieser Einstellung wird die Frau, das Gesicht fast verdeckt,
vorgestellt. In einem sehr rasch vergehenden Bild, dann sieht man wieder
den Jungen. Bahram Baizai ist verantwortlich auch für den Schnitt -
der den Film bestimmt. Denn im raschen, überraschenden, elliptischen
Schnitt eilt die Erzählung durch Raum und Zeit. Eher durch den Raum
als die Zeit. Oft definiert der Rhythmus des Schnitts das Geschehen, das
so kein Geschehen ist, sondern reiner Rhythmus. Es geht nicht um Effekte
des Elliptischen, auch nicht um Effekte der Montage an sich: sei es im Kontrast,
in der Überraschung, in Pointen. Gar nicht. Es geht um den Schnitt und
die Abruptheit, mit der die Bilder aufeinander folgen. Die Bilder selbst
gewinnen im Rhythmus dieses Schnitts eine ganz unvertraute Schärfe.
So ist "Bashu", in der Montage, reines Kino. Er ist aber auch dem Ritus
abgewonnenes Theater. Es ist, als wohnte man der Erfindung von Riten bei.
Die Frau, die zur Mutter werden wird, ahmt Tiergeräusche nach. Der Sohn,
der nicht ihre Sprache spricht, lernt es von ihr. Diese Geräusche
durchbrechen das, was Kommunikation wäre, menschliche Kommunikation,
durch einen noch nicht instituierten Ritus, der nichts mit Naturmystik zu
tun hat, sondern mit einer ganz eigenen Weise, miteinander zu sein.
Verständigung nicht als Austausch von Botschaften, sondern
Verständigung als Finden eines Ritus, dessen Bedeutung keineswegs klar
ist, abgesehen davon, dass beide an diesem Finden beteiligt sind, die
Geräusche so zum Ritus werden lassen.
Der abrupte Schnitt, die ausgestoßenen Schreie, unterstützt von
Gesten, Bewegungen, deren Bedeutung ebenso wenig klar ist, das Bewegungsbild
und das Theater verdichten sich in der Montage zu einer Form des Films, die
ihresgleichen sucht. Suspendiert ist die Sprache der Narration. Suspendiert
ist in gewisser Weise überhaupt die Sprache, die sekundäres Hilfsmittel
bleiben muss, auswendig, nur vorgelesen. Der "Sohn" spricht die Sprache seiner
Familie nur, wenn er aus einem Schulbuch vorliest. Zueinander finden der
"Sohn", die "Mutter" im abrupten Schnitt-Schrei-Geflatter der
Bilder-Töne-Bewegungen. Am Ende, wenn auch der "Vater", lange abwesend,
nur in Briefen anwesend (und, der Logik des Films folgend, nur umso abwesender)
den "Sohn" akzeptiert, flattern sie auf, Vater, Mutter, Kinder, der adoptierte
Sohn, in Geschrei, in Bewegung, im Schnitt. Bahram Baizai hat das Kino neu
erfunden.
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