Ein knappes Jahrzehnt nach der Charakterstudie "Heat" führt Michael
Mann seine L.A. Crime Saga fort. Die Parallelen sind unverkennbar. "Collateral"
beginnt an dem Flughafen, wo sich Pacino und DeNiro zu ihrem letzten Duell
trafen, und der Shoot-Out in "Collateral" findet just in jener Subwaystation
statt, die man aus der Establishing-Sequenz von "Heat" bereits kennt. Beim
Show-Down in "Heat" wird einer der Kontrahenten im entscheidenden Moment
von einem Scheinwerfer geblendet, in "Collateral" entscheidet sich die
Auseinandersetzung, weil in der U-Bahn für eine Sekunde das Licht ausgeht.
Ist "Collateral" das Komplementärstück zu "Heat"? Wieder geht es
um das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Charaktere und wieder
ist die Stadt der dritte Hauptdarsteller. Es ist das andere, das unbekannte
Los Angeles. Nicht Palmen und Malibustrände, sondern Commerce, Wilmington,
South Central, Downtown... Straßenlichter spiegeln sich in den Wolken,
und selbst in der Dunkelheit kann man in der Ferne die Umrisse von Palmen
am Horizont ausmachen. "Collateral" bedeutet soviel wie beiläufig; es
sind die nächtlichen Seitengassen, die verwinkelten Unorte der Metropole,
die hier den Bühnenraum stellen.
Max (Jamie Foxx) hat sich längst mit einem Leben hinter dem Steuer
abgefunden. Seit 12 Jahren kutschiert er in seinem Taxi Menschen durch L.A..
Tausende Gesichter hat er in seinem Rückspiegel gesehen, an tausenden
Orten ist er gewesen. Flüchtige Erinnerungen im Alltag eines Cab-Drivers.
Doch in dieser Nacht steigt am Flughafen von L.A. Vincent (Tom Cruise) in
seinen Wagen; Der ist ein Auftragskiller, mit dessen Hilfe ein
ausländisches Drogenkartell einer Klage entgehen will. Nun hat Vincent
fünf Zeugen auf seiner Abschußliste. Ganz so reibungslos wie geplant
kann er seinen Auftrag allerdings nicht durchführen. Er wird gezwungen,
Max und sein Taxi zu entführen. Max gerät zwischen die Fronten,
weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war. Nun muß er Vincent zu
seinen Zielorten fahren. Und während LAPD und FBI versuchen, sie abzufangen,
werden Max und Vincent auf merkwürdige Art voneinander abhängig.
Regisseur und Produzent Michael Mann erklärt: "Eines der Dinge, die
mich an diesem Projekt gereizt haben, war die Komprimierung der Zeit - alles
passiert in einer Nacht. Die ganze Geschichte findet zwischen 18 Uhr und
4 Uhr morgens in der wohl modernsten aller amerikanischen Städte statt.
Das ist die Welt, durch die sich Max und Vincent bewegen, während sich
die Story entfaltet. In dieser Nacht verändert sich alles in ihrem Leben.
Die Endlichkeit zeigt sich am Horizont und bewegt sich auf sie zu. Es ist
die Kollision zweier Leben unter extremen Umständen. Es ist eine
Komprimierung von all dem, was sie waren und wer sie sein wollen - all das
kollabiert durch die Ereignisse einer Nacht. Ich musste einen Weg finden,
diese dreidimensionale Nacht zum Leben zu erwecken, in die Nacht von L.A.
zu blicken." Um dies zu erreichen, drehte Mann als einer der ersten
Hollywood-Regisseure seinen Film fast vollständig digital, mit einer
Viper Thompson HD Kamera. Man sieht die stimmungsvolle Landschaft aus
Hügeln, Bäumen und verführerisch funkelnden Lichtmustern.
Schon rein architektonisch ist der Film ein Genuß. Die Stadtlandschaft
ist von ähnlich majestätischer Schönheit wie die Wälder
des "Letzten Mohikaners", den Mann Anfang der 90er drehte. Michael Mann hat
schon immer gewußt, wie man die Dinge gut aussehen läßt.
In den Achtzigern produzierte er "Miami Vice", eine Serie mit eigenem Look,
die die Popkultur verändert hat. Mann steht in dem Ruf, ein eher
distanzierter Arrangeur kühl kalkulierter Bilder zu sein. Tatsächlich
scheint in den perfekt austarierten Einstellungen und dem Einsatz von Farbe
und Musik nichts überflüssig. Daß "Collateral" sich dennoch
nicht in Ästhetizismen verliert, liegt nicht nur an den beiden
Hauptdarstellern. An denen aber auch, denn in erster Linie geht es um die
Dialektik zweier sehr verschiedener Leben, die in der Nacht von Los Angeles
aufeinander treffen. Darüber hinaus macht der Film eine Wildheit, die
direkt unter der Oberfläche lauert, spürbar. Es gibt eine Szene,
in der drei Kojoten die Straße vor dem Taxi kreuzen, so als würde
dieses Gebiet noch immer ihnen gehören. In diesem Moment wird die
Fragilität der Zivilisationsschicht spürbar.
Cruises Make-Up und Garderobe reflektieren die Farben der Kojoten. Anzug
und strähnig - graues Haar machen ihn zu einem silbrig schimmernden
Raubtier. Dennoch ist er ebenso domestiziert wie die Stadt. Die exklusive
Aktentasche, das Palmtop sind die gängigen Accessoires des
Geschäftsmannes. Die Metapher ist naheliegend; reden Manager und Consultants
doch gern von ihrem "Killerinstinkt". Die Attribute dieses Killers sind im
allgemeinen positiv besetzt. Vincent ist das Produkt der
spätkapitalistischen Industriegesellschaft, die Konsequenz eines Systems,
in dem Effizienz den Vorrang vor Moral genießt, physisch und mental
perfekt angepasst an die Überlebensbedingungen einer kalten und
unpersönlichen Umgebung. "Ein Mann stirbt in einer U-Bahn. Glaubst du,
irgendjemand würde ihn bemerken?" fragt Vincent. Ein Mensch ist für
ihn nur ein Licht unter Milliarden Lichtern am Nachthimmel. Was macht es
schon, wenn eines davon erlischt? Welche Kälte umgibt solch einen Menschen?
Die Kojotenszene drückt den grundlegenden Unterschied zwischen den beiden
Protagonisten aus. Max hat eine solche Achtung vor dem Leben, dass er, obwohl
sich selbst in einer lebensbedrohenden Situation befindend, das Taxi stoppt,
um die Tiere nicht zu verletzen. Der Killer folgt seinem selbst gewählten
Wertekodex. Für Max' konventionelle Moralvorstellungen hat er kein
Verständnis. Er ist zu Mitgefühl nicht in der Lage. Nachdem Vincent
sein erstes Opfer getötet hat, fragt ihn Max, was der Mann ihm denn
getan hätte. Vincent antwortet verwundert: "Nichts, ich habe ihn heute
zum ersten mal gesehen." Auf Max' entsetzte Reaktion hin fügt er hinzu:
"Soll ich einen Menschen etwa erst töten, nachdem ich ihn kennengelernt
habe?" Er versucht es tatsächlich. Als Vincent ein weiteres Opfer in
einem Jazzclub aufsucht, plaudert er zunächst mit dem Mann über
Miles Davis. Dann schießt er ihm zwischen die Augen.
Michael Mann inszeniert seinen Film im Stil des Neo-Noir, vermeidet jedoch
Schwarz - Weiß - Malerei. Die Übergänge zwischen Gut und
Böse sind fließend. Polizisten wirken wie Mitglieder des organisierten
Verbrechens, Vincent ist durchaus symphatisch. Er ist so undefinierbar wie
das Grau seiner Erscheinung. Meist begrenzt auf das Innere des Taxis, ist
"Collateral" atemberaubendes Psychoduell und packender Actionthriller zugleich.
Manns Besessenheit fürs Detail macht ihn zu einem herausragenden Film.
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