Forum: William Kwok Wai Lun: Darkness Bride (Hongkong / Taiwan 2003)

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Berlinale 2004: Forum: William Kwok Wai Lun: Darkness Bride (Hongkong / Taiwan 2003)

OT: You Gou

Regie: William Kwok Wai Lun

Buch: William Kwok Wai Lun, Wing Wang

Kamera: Wong Ping Hung

Darsteller: Fang Jing (Qing Hua), Tang Lu (Yan Yan), Wu Jian (Chun Sheng), Gao Fei (Sissy)

 

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Forum: William Kwok Wai Lun: Darkness Bride (Hongkong / Taiwan 2003)
Kritik von Thomas Reuthebuch

 

Ein kleines Dorf, irgendwo auf der anderen Seite der chinesischen Mauer, dort wo alte Legenden und Traditionen bis heute lebendig geblieben sind. Man hängt etwa dem merkwürdigen Glauben an, dass sich unverheiratete Tote einsam fühlen. Regisseur William Kwok Wai Lun, der mit Wing Wang auch das Drehbuch schrieb und seine Ausbildung in Hong Kong und New York genoß, wurde durch einen Zeitungsartikel auf diesen Brauch aufmerksam. In einem weit abgelegenen Landstrich des riesigen Landes kam man einer Gaunerbande auf die Spur die frische Gräber aufgebrochen hatten. Die entwendeten Leichen der toten Frauen wurden umgehend feilgeboten um in magischen Heiratsritualen an den bereits verstorbenen Singlegatten verkuppelt zu werden. In "Darkness Bride" verbindet Kwok Wai Lun diese skurrile Geschichte mit einer fest verankerten chinesischen Tradition: der Würde der Jungfräulichkeit.

Es geht also um die Zwiespältigkeit von Moralbegriffen und deren Verfall, die beinahe exemplarisch anmutend in der Dreiecksbeziehung zwischen dem verschlossenen Sissy, dessen bescheuerter Name wohl auch im chinesischen ähnlich dämlich klingt, seiner kindlichen Verlobten Qing Hua und dem Waisenknaben Chun Sheng. Qing Hua träumt von einer rot gekleideten Frau, von Menschen umringt, Chun Sheng wird etwa zur selben Zeit dazu angestiftet das "Grab der Jungfrau" zu plündern, jener Ort, an dem der Legende nach eine Frau auf der Flucht vor Räubern von einem Felsen sprang um ihre Jungfräulichkeit zu retten. Bereits in der Hochzeitsnacht sitzt Chung Sen mit am Tisch, heimlich versteht sich, und stößt mit Qing Hua und ner Pulle Hochprozentigem aufs Leben an. Wenig später ist Sissy spurlos verschwunden. Nachdem er kurzerhand von den Dorfältesten für Tod erklärt wird, soll ihm Qing Hua ins Jenseits folgen. Die eigene Mutter mischt ihr den Giftcocktail. Für das unerkannte Liebespaar ist die Zeit reif um aus dem Nest zu fliehen und das Glück in der großen Stadt zu suchen.

Der Film besteht aus zwei etwa gleich großen Teilen. Die erste Hälfte spielt im Dorf, in den selbst für chinesische Verhältnisse ärmlichen Lehmhöhlen, die in die hügelige Landschaft getrieben wurden - in einem mittelalterlich anmutendem Sozialverbund, inmitten einer kargen Landschaft, der Kameramann Wong Ping Hung immer wieder Bilder von bemerkenswerter Schönheit abringen kann. Die Erzählung braucht sehr viel Zeit um zu sich zu kommen, ist zunächst damit beschäftigt das Setting zu beschreiben, uns die Lebensumstände und die befremdlichen Rituale der Menschen näherzubringen. Die Einstellungsgrößen lassen uns kaum Luft, der abgeschrittene Raum, auch wenn wir häufig den Handlungsort wechseln, bleibt überschaubar. Dann jedoch, immer wiederkehrend, über den ganzen Film verteilt, löst sich der Blick. Wir gewinnen Distanz zu den Figuren, zu ihrer Welt und begreifen dadurch erst ihre Umstände. Mal ist es eine Kranfahrt, mal ein Dollyshot, immer jedoch sind es freischwebende, gleitende Kamerafahrten, die einen krassen Kontrast abgeben, zu dem was der Film dazwischen an Sozialstudie betreibt.

Im zweiten Teil dann die Stadt. Sissy wird zunächst gezeigt, der sich mit der Animierdame Yan Yan angefreundet hat, ihr die Kunden zutreibt und dabei von einer Gaunerbande instrumentalisiert wird, die den Freiern das Geld abpresst. Er trinkt zum ersten Mal Cola, findet gefallen an Kentucky Fried Chicken. In einer erbärmlichen Unterkunft trifft er schließlich auf Qing Hua und Chung Sheng, die in die Stadt gekommen sind um ihn zu suchen. Wie zu erwarten reagiert Quing Hua eifersüchtig auf Yan Yan, die den beiden Männern bald den Kopf verdreht hat.

Auch in der Stadt verfolgt Kwok Wai Lun das gleiche Prinzip. Wir sehen immer nur Ausschnitte, eine desolate Wartehalle, der winzige Fiseursalon, in dem Yan Yan unterschlüpft, die Gießerei, in der Chung Seng Arbeit findet. Der allgegenwärtige Verfall wird zum ästhetischen Prinzip erhoben. Hier beschränken sich die beschriebenen Fahrten auf Hinterhöfe oder Fußgängertunnel. Die einzige Totale zeigt ein Kraftwerk, vor dessen Hintergrund Betonpfeiler aus der Erde ragen. Nicht nur hier, auch bereits vorher, wenn ein verdörrter Baum das Bild dominiert, kommt einem Tarkowskij in den Sinn - die Stadt erinnert an die verbotene Zone aus "Stalker" - oder vielleicht sogar Lars von Trier, was die tableauartigen, durch die Kadrierung wie gerahmt wirkenden Bilder anbelangt. "Darkness Bride" ist aber zuallererst unabhängiges chinesisches Kino, wie man es ähnlich auch schon in den Jahren zuvor im Forum beobachten konnte. In der letzten Einstellung etwa sitzt Sissy in der Polizeistation. Kurz zuvor erst hat er Bekanntschaft gemacht mit der alltäglichen staatlichen Willkür, die Kleinkriminelle oder einfach nur Pechvögel auf Lieferwägen verlädt und vom plärrenden Megaphon begleitet durch die Stadt karrt. Als er da so sitzt, auf der Bank, entfernt sich die Kamera von ihm und zeigt uns zum ersten und einzigen Mal die Stadt im zusammenhängenden Kontext. Vor unseren Augen verschwindet die Häuserzeile hinter einer Wegbiegung, auf den unbefestigten Straßen verstreut liegt verlorengegangenes Transportgut - saftig rote Tomaten, die in ihrer Farbe an das Mädchen aus Qing Huas Träumen erinnert. Der Film kommt schließlich mit diesem Bild zu seinem ursprünglichen Anliegen zurück und es ist beinahe als stünde er sich mit diesem bemüht wirkenden thematischen Überbau selbst im Weg.

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