William Kwok Wai-lun (geboren 1969 in Hong Kong, besitzt einen Abschluß
in Theaterdesign von der Academy of Performing Arts in Hong Kong und
hat ein Filmstudium an der School of Visual Art in New York
abgeschlossenen) ist eines der jungen Arthouse-Schätzchen seiner Heimatstadt
(besser gesagt einer relativ übersichtlichen Gruppe von Kritikern und
Filmfestivalleuten dort). Nicht, dass er innerhalb der kantonesischen
Filmindustrie irgendeine Rolle spielen würde; weder kommerziell noch
ästhetisch geben seine Filme dort nennenswerte Impulse. Aber innerhalb
der Filmkunstzirkel läuft es (egal wo) nun einmal nicht anders als
überall anders auch: Beziehungen sind die halbe Miete, mindestens. Und
so kann man auch mit Werken zweifelhafter Qualität gewissen
überregionalen Erfolg verzeichnen, solange diese nur bestimmte Kriterien
von Sperrigkeit und Unzugänglichkeit erfüllen.
Natürlich wäre es eine Unterstellung (zumindest eine nur schwer
belegbare) zu behaupten, Kwok würde sich bewusst nach entsprechenden
Regeln verhalten. Die Muster zumindest sind ähnlich. Sind andererseits
auch durch die Mechanismen des internationalen Festivalzirkus' bedingt. Wenn,
wie in Kwoks Fall, Filme von Nachwuchskünstlern auf den großen
asiatischen Filmfestivals wie Busan, Hong Kong, Tokio oder Singapore gezeigt
werden, laufen sie fast automatisch auch auf den noch gößeren
Festivals im Westen. Dafür sorgen schon die immer gleichen
Programmgestalter, deren Job es ist, auf jedem wichtigen Festival präsent
zu sein und sich untereinander zu kennen und das zu zeigen, was die anderen
auch gezeigt haben. Schließlich dokumentiert man damit, dass man auf
dem Laufenden ist.
Auf Digital-Beta gedreht und auf 35mm aufgeblasen, ist der gerne auf
internationalen Filmfestivals gespielte DARKNESS BRIDE (HK/Taiwan, 2003),
zu dem Kwok auch zusammen mit Wing Wang das Drehbuch geschrieben und den
er mit Lam Ching koproduziert hat, sein erster Film, der auch im westlichen
Ausland verliehen wird. Zwar spielt dieses Low-Budget-Arthouse-Drama im Nordosten
Chinas, finanziert wird es aber von der HKer Filmsars Production und
der taiwanesischen Arc Light Films (die auch den Weltvertrieb
übernimmt).
Ausgangspunkt dieser spröden Emanzipationsgeschichte ist das Schicksal
eines namenlosen Mädchens. An der Schwelle zum Frausein hat es sich
einst von einem lächerlich niedrigen Steinhaufen in den Tod gestürzt,
um nicht Unholden seine Jungfräulichkeit preisgeben zu müssen.
In seiner Heimatgegend wird der Geist dieses bemerkenswerten Akts
trotzig-verzweifelter Selbstbestimmung in Legenden lebendig gehalten. Aber
vielleicht geht auch das Phantom der Unglücklichen noch um. Ganz sicher
noch lebendig sind in diesem abgelegenen Landstrich, wo es natürlich
keine feudalen Machtstrukturen mehr gibt, wo die Zeit aber stehengeblieben
zu sein scheint, wo man trotz jahrzehntelanger kommunistischer Herrschaft
noch nach geradezu archaischen Maßstäben denkt und lebt, noch
immer Trümmer altertümlicher Traditionen aus vorrevolutionärer
Zeit, die das Zusammenleben regeln.
So oder so kann hier niemand auf das Selbstbestimmungsrecht pochen - schon
gar nicht frühverblichene Mädchen. Mit deren sterblichen Hüllen
wird ein verbotener, doch schwunghafter Handel getrieben, um sie,
rausgewühlt aus ihren Ruhestätten und postum vermählt, toten
Junggesellen, die man so im Jenseits nachträglich mit einem dienstbaren
Eheweib versieht, in ein neues Grab zu legen. Eine Art gleichzeitig animistisch
wie feudalistisch geprägter, umgekehrter Cargo-Kult. Das Problem ist,
dass auch diese Kultur längst schon in der Moderne angekommen ist und
sich durch die Ungleichzeitigkeit der Verhältnisse von innen heraus
selbst zersetzt.
Seltsam entwurzelt und richtungslos alles. Wo die Protagonisten von DARKNESS
BRIDE, der durch seinen Land/Stadt-Kontrast glatt in zwei Hälften
zerfällt (die auch unabhängig voneinander existieren könnten),
sich aufhalten, kann das Dasein nur als Strafe aufgefaßt werden. China
als Vorhölle: trist, kahl, kalt, freudlos, unwirtlich und zwangsbehaust,
farbentsaugt. Vermittelt durch milchig trübe, lichtlose
Scheißästhetik (Videomaterial, umkopiert, ist genau das Richtige).
Kameramann Wong Ping-hung filmt seine scheinluziden, eigentlich nahezu
intransparenten Bilder unter einer ghulisch weggefressenen, bemerkenswert
lichtschlaffen Subraumbeleuchtung (und das, obwohl eines der bestimmenden
ästhetischen Merkmale, die schundige Elendigkeit einer Situationen zu
unterstreichen, immer wieder die offen im Raum hängende Glühbirne
ist). Graubrauner Schmierschmutz klebt über Raum und Zeit.
Eine grenzdebile, halb wahnsinnige Welt am Abgrund: verstörend, ohne
Sinn und Zweck, wie Alpträume von Verrückten. Die Stadt nicht anders
als das Land: namenlos. Apokalyptisch beide auf ihre Weise. Selten
läßt Kwok mehr zu als Enge, Ausschnitte, denen Perspektive fehlt.
Am weitesten öffnet sich das Bild beim Blick über eine
entstrukturiert-öde, randurbane Wüstenei, die von einem Spalier
mächtiger Kühltürme beherrscht wird. Doch selbst deren schiere
Masse und architektonische Gewalt vermag das Chaos nicht zu bannen. Das Grauen
der unkontrollierten Industrialisierung.
Man sollte sich das so vorstellen: als (selbstverständlich
arthousemäßige hyperkorrekt verdauungsvertärktes, also
produktionsideologisch unbedenkliches) visuelles Äquivalent einer
gleichteilig grausamen Mischung aus früh70er Artrock (z.B.
Xylophon-Soli-Distortion zu gregorianischen Chorgesängen) und spät80er
EBM-Absturz-Deprowave (unter Katakombenhall aus dem Off geraunte,
postexistentialistische Dooms-Day-Tiraden). Das gibt vielleicht eine gewisse
Ahnung von DARKNESS BRIDE. Ein abweisender, anstrengender Film, den keiner
braucht, dem man seine mühevolle Konstruktion ansieht: Unter einer korkigen
Schwarte unansehnlicher, diffus lehmig-brackiger Lichtschwaden verweigern
sich Dinge und Zusammenhänge.
Diffus und unkonkret bleiben auch Kwoks Anliegen. Wirrer, schwer
zugänglicher Symbolismus, prätentiöses Kunstkino, das sich
redlich den Ruf des Unerträglichen verdient. Mögen Kwoks
ursprünglichen Absichten zu diesem Film bemerkenswerten Empfindungen
und Gedanken entsprungen sein, so fehlt ihm doch offensichtlich das Talent
(oder noch die [erzähl]technischen Mittel), dies in Spielfilmform zu
kommunizieren. Vielleicht hätte er lieber ein ethnografische Dokumentation
über die Sitten, Gebräuche und Lebensverhältnisse des abgelegenen
Landstrichs, in dem die erste Hälft von DARKNESS BRIDE spielt, drehen
sollen.
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