Filmkritik Tian Zhuangzhuang: Delamu (Japan/China 2004)

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Tian Zhuangzhuang: Delamu (Japan/China 2004)

"Delamu", chinesischer Titel "Cha ma gu dao xi lie", Regisseur Tian Zhuangzhuang, 110 min, Koproduktion Japan/Volksrepublik China, 2004.
 

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Tian Zhuangzhuang: Delamu (Japan/China 2004)
Kritik v
on Birgit Kellner

 

Durch die südchinesische Provinz Yunnan verläuft die alte "Pferde-Tee-Straße" (oder "Tee-Pferde-Straße"? Chin. "Chamagudao"), die China mit Tibet verbindet und weiter nach Nepal, Bhutan undsoweiter führt. Tian Zhuangzhuang, bekannt als Regisseur von "The Horse Thief" und "Blue Kite", hat diesem Text zufolge drei Jahre lang in Yunnan verbracht, mit einer DV-Kamera, forschend (wenn man auch nicht genau erfährt, was und wie). Dann hatte er die Idee zu einer Fernsehdokumentation. Nach ihrer Fertigstellung wurde er angeregt, auch einen fürs Kino gedachten Dokumentarfilm über die Region zu drehen. Das ist "Delamu".

"Delamu" folgt einer Eselskarawane aus Yunnan bis in ethnisch tibetische Regionen hinein, entlang des Nujiang-Flusses, der die Grenze von China und Myanmar markiert. Die weissen Säcke auf den Rücken der Esel sind kleine Punkte, die auf einer schwarzen Linie von rechts nach links durch einen Berg tänzeln, langsam, sehr langsam, begleitet vom Rauschen des breiten Flusses im Tal. Landschaften, die klar gestochen erscheinen, auch wenn sich Nebel- und Dunstschwaden über sie legen: Berge mit und ohne Bewaldung, Sandiges, Schlammiges, Klippen, dünne Brücken über reissende Flüsse, Drahtseile, an denen Menschen und Esel über Flüsse gezogen werden, Wege an gar nicht mal so steil aussehenden Sandabhängen, die nur frühmorgens begangen werden können, denn sonst gäbe es Stürme und Abgänge und man könnte sich dann gleich auch so in den Fluss stürzen (sage ich, sagt nicht der Film), gegen Ende dann höhere Gebirge, grelleres Sonnenlicht, weisser Schnee. Viele Bilder von Landschaft aus der Ferne, mit Menschen und Siedlungen als kleine Punkte, reglose Ameisenhäuflein, sich langsam windende Würmer. Langsame Kamerafahrten über Landschaft, begleitet von leicht angequaster, dezent dudeliger und sanft ethnisierter Schwingmusik elektronischer Herkunft (da hätte man viel mehr falsch machen können, übrigens; Panflöten habe ich keine gehört, und das war gut so).

Die Leute führen ihre Esel, sie bestellen ihre Felder, sie scherzen, sie arbeiten, sie rauchen. Sie sitzen und erzählen dem Regisseur ihr Leben, in vielen verschiedenen Sprachen und Dialekten, meist in dunklen Räumen mit einer oder zwei Tageslichtquellen von draussen. Es ist still, die Wände sind geschwärzt von der Zeit, drei, vier Fliegen surren am Fenster, handgeschnitzte Schränke stehen da und krumme Sitzbänke.

Eine Großfamilie isst; dabei spricht eine Frau von all dem, was noch zu tun ist, damit die Gäste kommen könnten, ja, ein zinsenfreier Kredit wäre schon gut, und was die da immer machen, die da, geben Hunderttausende Yüan für Toilettanlagen aus, aber gute Strassen, nein, die bauen sie nicht, und zinsenlose Kredite für so kleine Leute, die die Gäste unterbringen können, nein, die gibt es auch nicht.

Ein Dorfvorsteher, dessen Frau abgehauen ist, so dass er dann mit ein- und vierjährigem Sohn allein da sass, dann kam sie zurück und wollte den einjährigen mitnehmen, was sollte er denn dann dem vierjährigen sagen, und die Dorfbewohner, sie reden, nein, er hätte es satt, so viele Probleme, er wolle nicht mehr Dorfvorsteher sein.

Ein Karawanenführer, vier Esel hatte er, einer ist gestorben, sie sind sehr arm dort, wo er herkommt, dass der eine Esel nicht mehr ist, macht sie gleich noch ärmer, er gibt seinen Eseln immer Namen, lange kann er nachdenken über passende Eselsnamen, glückbringende Eselsnamen denkt er sich aus, so wie "Delamu" zum Beispiel.

Ein Bub in einem Bretterkiosk am Weg. Sein Vater säuft, Oma und Tante haben ihn dann hochgezogen, und dann hat er mich mit der Flasche geschlagen, sie waren wütend, ich war auch wütend, aber er sagt, er liebt mich, und ich liebe ihn auch, und jetzt spiele ich meist allein, ich spiele nicht viel mit den anderen Kindern im Dorf, weil ich so große Ohren habe.

Ein alter Mann, sein Gesicht sieht man nicht im Gegenlicht, hat sein Leben auf den Handelspfaden zugebracht, Lhasa sowieso, man ging bis Indien, ja, klar, mit gefälschten Dokumenten, Opiumschmuggel, immer alles schwierig mit den Strassen, offen oder zu, Murenabgänge, Winterstürme, nicht einfach, und das war mein Leben, so rattert er dahin, die englischen Untertitel kommen kaum nach und das österreichische Publikum lächelt irgendwann vor Überforderung kollektiv auf.

Ein junger Lama, spricht einen chinesischen Dialekt, kam in die Gegend und zu diesem "Beruf", weil ihm ein Freund erzählte, es wäre so friedvoll, ja, es sei wirklich so friedvoll, sehr ruhig, er würde jetzt Tibetisch lernen, nein, an das Mädchen würde er nicht mehr viel denken, sie war sehr schön, 14 oder 15, sie tanzte und er lernte Gitarre spielen, dann wurde er Lama und sie hat mittlerweile einen anderen geheiratet, nein, er denkt nicht mehr an sie, das tut er nicht.

Eine junge Frau, gefilmt in der Dorfschule, sie muss doch auch an ihre Eltern denken, ihre drei Schwestern sind schon wegverheiratet, nur noch sie ist da und muss die Eltern versorgen, jetzt ist sie Aushilfslehrerin, aber es gibt keine Aussicht auf eine feste Anstellung, sie muss einen Mann suchen, aber sie will lieber alleine bleiben als mit einem Mann, den sie nicht liebt, sie möchte eine gute Lehrerin sein, aber es gibt keine Aussicht auf eine richtige Lehreranstellung, für das Holzhacken müssen sie jetzt zu Hause eine Hilfskraft anstellen, seit sie Aushilfslehrerin ist, die Schwestern sind ja auch schon aus dem Haus, sie möchte in die Stadt, ihren Mann suchen, es ist dieses Unglück, das ist ihr Unglück, nein, sie will nicht mehr darüber reden, sagt sie, lächelt und redet weiter über ihr Unglück.

Manchmal hört man den Regisseur zwischendurch Fragen stellen, aber meistens reden die Menschen allein, über lange Strecken erzählen sie. Man könnte ihnen stundenlang zuhören, ich könnte ihnen stundenlang zuhören, was mich nicht daran hinderte, während des Anfangsteils des Filmes kurz einzunicken; es war so stickig im Kino. Gemerkt habe ich mir sicher auch nicht alles richtig, es ist ein Unglück.

Ein Film wie "Delamu" lässt sich nicht ohne Skepsis betrachten. Volksrepublik China und Gebiete mit ethnischen Minoritäten - die Lisu, die Nu, die Tibeter -, da könnte viel Pittoreskes aufkommen, viel Lied und Spiel und Tanz und Naturverbundenheit, wie es eben die Volksrepublik China mit ihren Minoritäten heute so gerne hat (früher: in feudalen Lebensformen befangene Menschen müssen durch moderne Volksbefreiungsarmeesoldaten befreit werden, oder: seht her, wie bunt unsere befreiten ethnischen Brüder sind, die den Tanz des fröhlichen Bauerns im Kommunismus hüpfen, heute: putzig naturverbundene Menschen mit drolligen Religionen müssen durch moderne geldbringende Touristen besucht werden).

Das alles kommt aber nicht auf in "Delamu". Das Leben ist hart, die Landschaft ist da, sie ist schön, aber das macht nichts, denn sie ist da und man muss da durch und darüber mit Eseln und Säcken. "Delamu" könnte sicher auch im Fernsehen laufen, als Universum-Beitrag, aber das macht nichts.

Die Kritik ist im Original in Birgit Kellners Weblog Camp Catatonia nachzulesen.

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