Kein Vorspann, kein Abspann. Verschwommen der Beginn, verschwommen das
Ende, Fragmente von Pflanzen unter Wasser, aus dem kaum Figurierten und durch
Blicke zunächst kaum Figurierbaren zum kaum Figurierten. Von Wasser
zu Wasser, dazwischen: beinahe keine Geschichte. Dazwischen: Die Geschichte
dreier Geschwister. Wir waren sieben, acht, neun. Dazwischen: eine Stimme.
Diese Stimme ist unter den magischen Rätseln des Films das
größte. Die Stimme sagt wir, es ist eine zauberhafte, eine
verzaubernde, eine beschwörende Stimme. Die Stimme allein beschwört
hier ein Glück, als vergangenes, als unwiederholbares aus einem Ort
und einer Zeit, aus dem Schein einer Gegenwart. In Wahrheit hat diese Stimme
keinen Ort, keine Zeit, ist reine Beschwörung. Denn sie gehört
niemandem, sie sagt wir, sie ist die Stimme eines Wir ohne Ich. Sie ist keinem
der drei Kinder zuzuordnen, denn sie nennt sie alle beim Vornamen, sie kennt
kein Ich.
Was beschworen wird, herauf aus dem Wasser ins Bild (nur um am Ende wieder
ins Wasser zu entgleiten, wie ein Traum, ein Traum unter Wasser) ist das
Glück einer Kindheit ohne Über-Ich, vaterlos, mutterlos. Die Mutter
ist Instanz in der Rede, sie kam, sie verließ uns wieder, jedoch ist
sie nie im Bild. Mehr als das: die drei Geschwister, zwei Mädchen, ein
Junge, leben ein Leben ohne Autorität, die Väter - von Beginn an
zur Mehrzahl entmachtet - werden einmal nur erwähnt, die Rede ist von
der Mutter, sie, heißt es, sie sagt die Stimme, die wir sagt, aber
diese Mutter tritt nur stellvertretend auf: als Puppe, die sie den Kindern
geschenkt hat, noch die aber wird nach Lust und Laune geformt. Sie schneiden
der Puppe, die die Mutter vertritt (sagt die Stimme, die nicht die Stimme
der Mutter ist und nicht die der Kinder, die niemandes Stimme ist), die Haare,
sie bemalen sie. Ein Leben der Anarchie, ohne Ordnung, ohne Zeit (oh ja,
es ist vom Winter die Rede, aber als Zustand, nicht als Angabe eines Punktes),
ein Leben in einem Außerhalb, das hier von der Stimme beschworen wird.
Es ist das Außerhalb der Kindheit, einer erträumten Kindheit,
ohne Anfang, ohne Ende, ohne Regeln. Fragmente einer Wirklichkeit: Schule,
Mitschüler, die Straßen, die Metro, aber all das fügt sich
wie selbstverständlich in den Zusammenhang des Traums, den dieser Film
träumt, heraufbeschworen von der Stimme des Traums, der Stimme die,
wie sich erinnernd, im Erinnern beschwörend, diesen Zustand, dieses
ewige zeitlose Glück einer Kindheit ohne Autorität erfindet, erschafft.
Was man sieht, Szenen einer Kindheit: Spiele, Schminken, Streiche, Diebstahl.
Wir stahlen, wir stahlen, wir stahlen, sagt die Stimme. Die Handkamera zeigt,
ist dabei, ist in einem fortwährenden Zustand des Dabeiseins, als gäbe
es keine Bilder, als wären die Bilder, die sie zeigt, keine Bilder,
sondern das Leben selbst, dieser Traum von einer Vergangenheit, den die Stimme
beschwört. Zuhause, draußen, immer die drei. Der Blick der Kamera
- gäbe es einen - ist der unbedingter Komplizenschaft, mittendrin,
hinterher, sie folgt überallhin, ins Bett, aufs Klo, ins Büro der
Lehrerin, die nach den Läusen fragt und was dagegen zu tun ist. Die
Welt der Erwachsenen ist eine andere Welt, in die die Kamera mit den Kindern
eindringt, die sie mit ihnen wieder verlässt. Auch eine Sache der Moral:
Was über dieses hier beschworene Leben, dieses Glück der Anarchie
zu denken wäre, darüber nur irgend zu rechten, ist nicht Sache
des Films. Die einzige Instanz, die er kennt, ist die Stimme, die hier
beschwörend erzählt: Wir liebten uns, wir stritten uns. Die Kindheit,
ein Schmerz, aber es ist nicht zu sagen, wo es weh tut.
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