Vom Sterben fürs Leben lernen
Der Dokumentarfilm Dem Tod ins Gesicht sehen von Stefan
Haupt erzählt die bewegte Lebensgeschichte von Elisabeth Kübler-Ross,
Ärztin und Wegbereiterin für Sterbebegleitung und
Hospize.
Wer Angst vorm Sterben hat, hat eigentlich Angst vorm Leben, sagt
die Ärztin Elisabeth Kübler-Ross, die sich Zeit ihres Lebens in
ihren Studien und ihrem Lebenswerk dem Sterben gewidmet hat. Nun steht sie
selber an der Schwelle zum Tod. Der Regisseur Stefan Haupt hat
Elisabeth-Kübler Ross gefilmt, hat sie über ihr Leben berichten
lassen, lässt sie erzählen, wie sie 1926 als das erste Mädchen
von Drillingen zur Welt kam. Fotografien zeigen die drei, Hand in Hand, durch
gleiche Kleidung zu Spiegelbildern ihrer selbst geklont. Die Suche nach der
eigenen Identität wurde zu Kübler-Ross' Leitmotiv. Verlangten die
Eltern von ihr, das Erdbeerbeet zu jäten, jätete Elisabeth den
Gemüsegarten. Und das Mädchen, das heiraten und Hausfrau werden
sollte, machte eine akademische Ausbildung und wurde Ärztin. Eine
Ärztin, deren obere Priorität nicht war, Leben zu verlängern
sondern es den Patienten zu ermöglichen ein selbstbestimmtes Leben zu
führen - bis zum Ende. Sie spricht mit den Sterbenden, spricht mit ihnen
über den Tod, über Ängste und Loslassenkönnen. Sie kidnappt
Sterbende aus dem Krankenhaus, um ihnen ihren Wunsch auf einen Tod im vertrauten
Kreise zu erfüllen. Sie gibt Seminare über Sterbebegleitung, wird
Psychiaterin, schreibt Bücher (u.a. Interview mit Sterbenden), reist
durch die Welt, baut Zentren auf für Seminare und Workshops, kämpft
für ein Hospiz für an Aids erkrankte Kinder. Ihre Arbeit ist ihr
Leben, für ihre Arbeit verlässt sie die Familie.
Lange Kamerafahrten, vorbeirauschende Landschaften - unterlegt mit
verlorenem Saxophongesang oder sakralen Bachkompositionen - , dokumentieren
Kübler-Ross' Ortswechsel, von der Schweiz in die USA, von New York,
nach Chicago, Esconido , Virginia. Und dann der Vogelkäfig, auf den
sie heute von ihrem Krankenbett aus blickt. Die ehemals aktive Frau ist immobil
- gelähmt durch mehrere Schlaganfälle und einen Unfall liegt
Elisabeth-Kübler-Ross in einem Pflegeheim. Ich will so lange
durchhalten, wie ich mich selber baden und mir den Hintern abwischen kann,
sagt sie. Sie kann vom Leben nicht lassen, sagt ihre Schwester.
Kann sie oder kann sie nicht? Anders gefragt: Was bedeutet der Umgang
mit dem Tod anderer fürs eigene Sterben? Eine klare Antwort kann der
Film, will Elisabeth Kübler-Ross nicht geben. Immerhin: Sie wirkt
unberührbar, souverän, oft humorvoll und erzählt von den Dingen,
die sie noch lernen muss, bevor sie gehen kann.
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