In letzter Minute ist Pascal Bonitzers Bruno ("Petites Coupures")
im Wettbewerb um die unsympathischste Hauptfigur geschlagen worden, und zwar
um Längen. Die Zumutung nämlich, die der Regisseur Robert (trotzdem
brillant: Andre Hennicke) in Oskar Roehlers "Der alte Affe Angst" für
den Zuschauer darstellt, ist beträchtlich. Das reine Klischee des leidenden
Künstlers: egozentrisch, rücksichtslos und bis zum Kragen im
Selbstmitleid schwimmend. Seine Freundin Marie (Marie Bäumer) begehrt
er nicht mehr. Er betrügt sie deshalb mit Nutten, für die Frau
seines Lebens hält er sie dennoch. Er macht eine Therapie, ihr zuliebe,
wie er einmal sagt, der Therapeut bestätigt ihn zu allem Überfluss
in seinem Selbstbild.
Oskar Roehler ist entschlossen, sich ausgerechnet in eine solche Figur
zu verbohren, sie bis aufs letzte Hemd auszuziehen. Das muss man nicht mitmachen
wollen - und die Buhs der Presse nach der Vorführung kann man verstehen.
"Der alte Affe Angst" ist ein Trip - nicht so sehr durch die Abgründe
als durch die Sümpfe einer Seele. Er bleibt hautnah dran am hysterischen
Hin und Her einer Beziehung zwischen kindischem Herumtollen und kreischenden
Vorwürfen, hält drauf, wenn Marie mit aufgeschnittenen Pulsadern
in der Wanne liegt oder Robert die Prostituierte Lisa vögelt. Damit
lange nicht genug des Elends. Marie ist Ärztin in einer Kinderstation,
ein Kind liegt im Sterben, die Mutter ist HIV-positiv. Sie ist die Prostituierte
Lisa. Allein daran wird schon deutlich, dass Roehler kein Halten kennt, im
guten wie im bösen, Angst auf Schrecken häuft, finstere Schicksale
nimmt, woher er sie kriegen kann.
Dann ist da noch Roberts Vater (Vadim Glowna), auch er, wundert keinen
mehr, todkrank. Seinen letzten Roman (komisch, dass der Plot, den er
erzählt, so frappierend an "Solaris" erinnert) kann er nicht mehr fertig
schreiben. Robert fühlt sich belästigt durchs Leid des Vaters.
Als er sich doch noch entschließt, ihn bei sich aufzunehmen, ist er
tot.
Was noch? Ein Theaterstück mit nackten Menschen, die im Chor
brüllen wie in einem schlechten Schleef-Imitat. "Wir haben Angst", rufen
sie. Der Autor des Stücks ist Robert, der Autor des Films ist Oskar
Roehler, und wir haben längst begriffen, was er uns zeigen will.
Natürlich kennt er dennoch kein Pardon. Es geht immer weiter so, das
Geschrei und der Streit, bei Nacht und bei Tage. Alle Subtilitäten sind
von der ersten Minute an über Bord geworfen, "Der alte Affe Angst" will
immer nur hinaus auf den Exzess - wenngleich er ihn gegen Kontrastmomente
der Ruhe ausspielt, die mit klassischer Streichkonzertmusik unterlegt sind.
Was er Marie und Robert zuletzt gönnt, sieht auf den ersten Blick
aus wie ein Happy End. Nach ihrem Selbstmordversuch bleibt sie unter Beobachtung,
Robert kommt zu Besuch. Sie umarmen sich, die Kamera kreiselt um sie, sie
tollen durchs Gras, sie flicht ihm Gänseblümchen ins Haar. Schwer
zu sagen, wie ernst das gemeint ist, die Fortsetzung dieser Hölle ist
nichts, das man irgendjemandem wünschen möchte.
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