Roman Polanski: Der Pianist (D/F/GB/Polen 2002)

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Roman Polanski: Der Pianist (D/F/GB/Polen 2002)
Kritik von Stefanie Diekmann

 [Image]

DER PIANIST ist ein einfacher Film und ein sehr guter. Beides ist unerwartet in einem Genre, das wie kein anderes zum Aushandlungsort von darstellungstheoretischen Konzeptionen geworden ist, von Debatten über Zulässigkeit und Unzulässigkeit des Zeigens, über die Legitimität und die Exploitation von Bildern, über die Unmöglichkeit des Erzählens, die Anmaßung der Teilhabe, etc. Inmitten dieser Auseinandersetzungen, als hätte er von ihnen Kenntnis gehabt und sei doch in bestimmtem Sinne unbeeindruckt von ihnen geblieben, hat Roman Polanski seine straight story vom Konzertpianisten Wladyslaw Szpilman vorgestellt, der fünfeinhalb Jahre deutscher Okkupation in Warschau überstand und auf die Frage nach seinen Plänen für die Zeit nach Kriegsende antwortete, er hoffe, eines Tages wieder im polnischen Rundfunk Klavier spielen zu können.

Der Blick, den DER PIANIST zu teilen nahelegt, ist der eines Protagonisten, der nicht fassen kann, was sich vor seinen Augen abspielt. Eine vielzitierte Formel, nur daß sich - auf einmal, auf einmal wieder, mit einem Mal so, als könnte das Kino dies tatsächlich leisten - etwas von dieser Fassungslosigkeit mitteilt. Wladyslaw Szpilman ist Zeuge der Vernichtung gewesen; im Prinzip könnte man Polanskis Film in diesem Satz resümieren. Er hat gesehen, er hat erfahren: das sind, wie immer, die wesentlichen Teile der Geschichte, doch ist sie selten mit so viel Dezenz erzählt worden. Der erste Teil: die Verordnungen, die Pogrome, das Ghetto, die Appellplätze, die Züge, das Lager, dem der Pianist entgeht und in dem der Rest seiner Familie umgebracht werden wird. Der zweite: die Verstecke, die Blicke aus dem Fenster, der Hunger, die Kälte, die Stille; später die Toten auf der Straße, die Ruinen, der Schnee, das Kriegsende. In beiden Teilen wird die Rolle Szpilmans durch das Sehen konstituiert sein und durch die grundsätzliche Ungewißheit, die darin besteht, nicht zu wissen, wie weit das, was er sieht oder eben gesehen hat, eigentlich von ihm entfernt ist. (Es könnte, diesmal, jeder zweite aus der Reihe sein oder jeder dritte. Es könnte die Familie im Haus gegenüber sein oder die in der Wohnung nebenan oder seine eigene. Die ältere Schwester oder die jüngere oder statt dessen die Brüder. Das Fenster an der Ecke oder seines; die nächste Straßenkreuzung, der nächste Zug, der nächste Nachmittag auf der Baustelle.)

Am Ende, als er immer noch da ist und keiner mehr, den er kannte, erschießt man ihn fast, weil er den falschen Mantel trägt. Zu dem, was bis dahin erzählt worden ist, paßt das. Rettung, so wie sie sich in DER PIANIST ereignet, ist beides: absolutes Wunder und absolute Koinzidenz, ein Mischprodukt aus Zufall, Willkür und gelegentlichen Hilfeleistungen, dazu eine Sache, die viel zu tun hat mit Haustürschlüsseln, Konservendosen, Brotrationen, Wolldecken und damit, daß man sich nicht lange in einer Wohnung aufhalten kann, in der die Wasserleitungen eingefroren sind. Tatsächlich hat Polanski viel Zeit darauf verwendet, sich mit den materiellen Bedingungen des Überlebens zu befassen - mit dem, was klein ist und häßlich sein kann, mit dem nicht mehr Selbstverständlichen, dem Geringen, das zwischen einem Tag und dem nächsten steht oder einen Tag so endlos lang macht wie den darauffolgenden. Ein unheroischer Film zweifellos, und, weil unheroisch, ein nobler: Geschichte eines sehr stillen Protagonisten, wie es ihn unter Polanskis Gestalten bislang nicht gegeben hat.

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