Claude Chabrols neuer Film dreht sich um die ältesten Dinge
der Welt: Vatermord und Inzest, Ehebruch und ein paar andere Schweinereien.
Alles bestens bekannt, wenn nicht aus der griechischen Tragödie, dann
aus den Filmen von Claude Chabrol. Zur Tragödie freilich reicht es bei
Chabrol nicht, das gibt das Milieu nicht her, in dem er sich, hier wie fast
immer, bewegt: das französische Bürgertum. Die Schauplätze,
auf denen die "Blume des Bösen" (keine tiefere Beziehung zu Baudelaire,
versichert Chabrol auf der Pressekonferenz, nur ein schöner Titel)
blüht, sind das große Landhaus der Familie Charpin-Vasseur, ein
Dorf, dessen Bürgermeisterin Ann Charpin-Vasseur (Nathalie Baye) werden
will, eine Apotheke, die Gerard Vasseur, dem Vater gehört, ein kleiner
Feriensitz am Meer, in dem Michele, Annes Tochter, und Francois, Gerards
Sohn, zum ersten Mal miteinander schlafen. Francois, damit beginnt der Film
(nach einem kurzen Prolog), ist soeben von einem dreijährigen US-Aufenthalt
zurückgekehrt, durch den er dem erstickenden Milieu entkommen wollte.
Vergeblich, das zeigt sich sofort.
Sie sind keine Geschwister, Michele und Francois, sondern Cousin und
Cousine (wenngleich, nun, zu viel darf man nicht verraten...), aber sie
verfallen, ohne es recht zu wissen, jenem Wiederholungszwang, der das Geschehen
in "La Fleur du Mal" regiert. Der Film beginnt mit dem Blick auf eine Leiche,
die Kamera zieht sich in einer kontinuierlichen Einstellung langsam über
die Treppe des Landhauses zurück; die Handlung kann beginnen. Am Ende
wird über dieselbe Treppe eine Leiche hinauf transportiert, auf dieselbe
Weise drapiert, wie im Anfangsbild zu sehen. Jedoch: es ist nicht derselbe
Tote. Die Tragödie, von der wir als vergangener hören, wiederholt
sich als Farce, die wir als gegenwärtige sehen. Es wäre nicht
übertrieben, wollte man behaupten, Chabrol habe hier seine
Geschichtsphilosophie des Bürgertums verfilmt. "Zeit vergeht nicht",
sagt er im Programmheft, "sie ist eine immerwährende Gegenwart." Eine
Gegenwart, die die Verbrechen der Vergangenheit wiederholt, ohne es zu wissen.
Heuchler waren wir, alle miteinander, von Anbeginn der Zeiten, meint Francois
einmal, Heuchelei ist ein anderes Wort für Zivilisation. Ironisch treibt
die Geschichte ihr Spiel mit den Menschen.
Die zentrale Figur ist Tante Line (Suzanne Flon), die Tante von Ann,
sie soll, heißt es, am Ende des Zweiten Weltkriegs ihren Vater ermordet
haben, weil er mit den Nazis kollaborierte und weil er seinen Sohn töten
ließ, der sich der Resistance angeschlossen hatte. Tante Line ist der
Angelpunkt, an dem Vergangenheit und Gegenwart zusammenhängen. Sie kann,
als sie die zweite Leiche sieht, die der ersten so sehr gleicht, nur lachen.
Ein Nietzscheanisches Gelächter, in dem der Sinn der Geschichte, die
Hoffnung auf einen Fortschritt, auf Veränderung überhaupt, verlacht
wird. Tante Line wird von ihrer Familie als Heilige verehrt. Auch der Betrachter
schließt sie sofort ins Herz. Erfährt man am Ende, was eigentlich
geschah, was sie getan hat, sollte einem eigentlich Hören und Sehen
vergehen. Aber die Sympathie bleibt ungebrochen. Mit Tante Line, könnte
man sagen, hat Chabrol seiner subversiven Sicht der Dinge eine Verkörperung
gegeben, mit ihr gewinnt die Verwirrung der moralischen Maßstäbe
eine verehrungswürdige Gestalt.
Im Ton ist "La Fleur du Mal" von denkwürdiger Zurückhaltung.
Mit manchmal provozierender Geduld entfaltet Chabrol sein Panorama des
Bürgertums, die Grundierung der Vorgänge ist ein schwarzer Humor,
der in der Darstellung des Absurden gelegentlich beträchtliche Komik
entwickelt. Für Chabrol gilt, was er für die Verwicklungen des
Bürgertums behauptet: Es gibt nichts Neues unter der Sonne, immer dieselben
alten Geschichten. Die jüngste Version, "La Fleur du Mal", aber gehört
zu den überzeugenden unter Chabrols Variationen des einen Themas. Die
Reize des Films liegen nicht immer an seiner Oberfläche, die Ironie
der Geschichte spielt sich eher hinter dem Rücken der Beteiligten ab
als davor. Dies aber zu zeigen, maliziös wie in seinen besten Werken,
ist Chabrol hier gelungen.
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