Theo Angelopoulos: Trilogia. Die Erde weint (Griechenland 2003)

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Theo Angelopoulos: Trilogia. Die Erde weint (Griechenland 2003)

 

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Theo Angelopoulos: Trilogia. Die Erde weint (Griechenland 2003)
Kritik von Ekkehard Knörer

 

Wie schreibt man über ein Monument? Über das Monument des europäischen Kunstkinos Theo Angelopoulos und über das Monument, das sein als Trilogie geplantes Historienwerk schon mit dem ersten Teil „Die Erde weint“ darstellt? Wie kann man, schon gar ausgelaugt vom Festivaltrott, überhaupt noch reagieren auf eine Bildsprache, die weit abseits kurrenter Realismen liegt? Wie soll man zu urteilen wagen über den überaus kühnen Versuch, ein Jahrhundert griechischer Geschichte in Bilder zu fassen, wenn man viel zu wenig weiß über diese Geschichte? Und müsste man nicht Motivstränge suchen im Werk von Angelopoulos, müsste man nicht dem tiefen Resonanzboden griechischer Mythologie nachforschen, der für diesen Film und das ganze Werk des Regisseurs eine so eminente Rolle spielt? Wie kann man, kurz gesagt, anders reagieren als mit Fragen über Fragen?

Viel ist von Poesie die Rede, wenn es um Angelopoulos geht, und wäre es nur das, was die meisten, die davon reden, damit meinen, dann wäre es doch nur Kitsch. Den Bildern selbst ist nicht mehr anzusehen, als dass sie beeindrucken. Welcher Art sie sind, ist damit lange nicht gesagt. Welche Räume werden in ihnen eröffnet, welche Form gewinnt die Zeit und damit die Geschichte in den so sorgfältigen Kompositionen? Damit verbunden die Frage: Welcher Art sind die Figuren, die in diesen Räumen Gestalt gewinnen, Kontur, aber nicht das Profil von Individuen, wie wir sie zu erwarten uns nie ganz entschlagen können? Der Vater Spyros, sein Sohn Alexis, die in Pflege genommene Eleni, die der Vater schwängert, die der Sohn vom Traualtar weg entführt, die Zwillinge Yannis und Yiorgis, die im Bürgerkrieg auf verschiedenen Seiten kämpfen und sterben werden. Ist diese Kernkonstellation allegorisch lesbar bzw. geht sie in der allegorischen Lesbarkeit auf, die die Zwillinge auf die eine Lesart streitender Brüder als Personifikationen einer zerrissenen Nation festlegt? Und wie verhält es sich mit den monumentalen Entwürfen von Trauerbildern, dem Wasser, das das Dorf überschwemmt, den Ufern, den Aufbrüchen, den Abschieden, der Musik, die den Film erst bestimmt und durchtränkt und dann verschwindet wie die Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang?

Unauslöschlich sind manche dieser Bilder: Schafe, die an einem Baum aufgeknüpft hängen und man täte diesem Entwurf Gewalt an, wollte man ihn als Bild der Gewalt lesen und damit die schlichte Tatsache übersehen, dass hier Schafe an einem Baum aufgeknüpft sind, dass die Kadrierung diesen Baum als ganzen in den Blick nimmt wie immer wieder, häufig in leisen Zooms, das Haus, das der Familie Heimat gewesen ist, in das sie zurückkehrt. Und man täte dem Entwurf dieses Hauses, das eines der magischen Zentren des Films ist, Gewalt an, sähe man hier nur eine Allegorie für griechische Geschichte. Schlagartig einleuchtend und atemberaubend schön die Szene des Abschieds von Eleni und Alexis, sie übergibt ihm einen nicht fertig gestrickten roten Pullover, er löst ihn auf, den Faden in der Hand, der rote Faden im Wasser, als er auf dem Boot davonrudert. Das Totenhemd, an dem Penelope am Tage näht, um es in der Nacht wieder aufzutrennen, ist hier angespielt und die Rückkehr des Odysseus (die hier nicht stattfinden wird) wie der Faden der Ariadne, der den Rückweg ermöglicht: und beide mythologischen Bilder werden aufgetrennt, aufgelöst in der Umkehrung mythologischer Bedeutung: es gibt kein Zurück, keine Wiederkehr, der Abschied ist für immer. Um doch steckt noch im schlagartigen Einleuchten dieser Bilder die nicht zu leugnende Tatsache ihrer Gesuchtheit. Ist diese Gesuchtheit gedeckt – und worin genau bestünde diese Deckung? Vielleicht ist das die Frage, an der sich entscheidet, ob hier monumentaler Kitsch inszeniert wird oder ob es sich nicht einfach um staunen machende, große Kunst handelt.

Und gedeckt sein könnten diese Bilder, als überzeugende, als gültige, nur durch eine irreduzible Offenheit, also indem sie sich verweigern: der Auflösung, der vereindeutigenden Lektüre, indem sie also eine Sprache sprechen, die der Deutung und Lektüre bedarf, ohne in ihr je aufgelöst werden zu können. Indem sie einen Schwebezustand erzeugen zwischen dem, was man sieht und dem, was in diesem Sehen unbestimmt bleibt und bleiben muss, einen Zustand des Verstehens, ohne zu verstehen. Indem sie also Darstellung von Geschichte wären, ohne Individualisierung und ohne Allegorisierung, in einem Zwischen, das das Reich des Films wäre, wie Angelopoulos ihn versteht. Eine Kunst der Kadrierungen und Rekadrierungen durch leise Kamerabewegung, eine Kunst der Öffnung eines Raums, in dem Szenen auf Geschichte verweisen, ohne sie buchstäblich darzustellen. Die Arbeit, die der Umgang mit diesen Bildern bereitet, ist gewiss eine Zumutung. Sich ihr durch bloße Flucht zu entziehen, wie es ein großer Teil der Presse getan hat, heißt, es sich zu einfach zu machen. Selbst wenn man zur Entscheidung gelangen sollte, dass Angelopoulos gescheitert ist, müsste man zugestehen: Noch das Scheitern wäre monumental und eher eines Goldenen Bären würdig als das Gelingen manch weit weniger ambitionierten Wettbewerbsbeitrags.

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