Jean-Luc Godard: Die Geschichte der Nana S.

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Jean-Luc Godard: Die Geschichte der Nana S.

Frankreich 1962


Regie: Jean-Luc Godard
Mit Anna Karina

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Lesen Sie auch Jonathan Rosenbaums Erwägungen zu diesem Film.

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Jean-Luc Godard: Die Geschichte der Nana S.
Kritik von Ekkehard Knörer

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Die Geschichte der Nana S. ist, unter anderem, eine Meditation über die Modellierung eines Gesichts durch die Kamera. Es beginnt mit einer langsamen Aufblende, wenn man so will, die das Gesicht von Nana (Anna Karina) lange und in jeweils einer unbewegten Einstellung von drei Seiten in den Blick nimmt: noch allerdings im Schatten, ein dunkler Riss vor kaum hellerem Hintergrund. Später wird dieses Gesicht von Großaufnahmen liebkost, dann aber kontraststark weiß geschminkt, von schwarzem Haar umrahmt. Ihre Apotheose erfährt diese Inszenierung in der Verdopplung: Nana sieht im Kino Dreyers Jeanne D'Arc, Godard hält auf die Leinwand, zitiert in kompletter Übernahme des Originalbilds den legendären filmhistorischen Topos der Großaufnahme, schneidet nur einmal, verehrend, nicht ironisch, das Gesicht von Anna Karina dazwischen, die weint: im Close-Up.

Die Geschichte der Nana S. ist auch eine formalistische Studie über die Möglichkeiten, Dialoge zu filmen. Im ersten der zwölf Tableaus, in die sich der Film halbstreng ordnet, blickt die Kamera den am Tresen sitzenden Dialogpartnern abwechselnd über die Schultern, nie ins Gesicht, das nur gelegentlich in Spiegeln zu ahnen ist. Später verfolgt sie Nana durch den Plattenladen, in dem sie arbeitet, in ungeschnittenen Kamerafahrten, der Kunde interessiert sie kaum. Oder sie bewegt sich, in einem geradezu unterstrichenen Schwenk, vom einen zum anderen. Oder sie fährt im Dreischritt hinter dem Kopf des Mannes her, so dass sie einmal von rechts, einmal von links daran vorbei den Blick auf Nanas Gesicht erlaubt - und dazwischen blendet der Hinterkopf des Mannes es aus. Nur in einem Tableau, in einer Szene, die in der Kapitel-Zwischentafel beschrieben wird als „Nana philosophiert, ohne es zu wissen", kommt Godard auf die konventionelle Schuss/Gegenschuss-Technik zurück, nutzt sie, um lange Minuten dialogischer philosophischer Überlegungen zu verflüssigen. Auch da entkommt ihm Karinas Gesicht jedoch einmal ins entschieden Des- oder anderweitig Interessierte.

Die Geschichte der Nana S. ist ein Film von großem formalen Reichtum, aber durchaus unangestrengt. Er ist aber auch die Geschichte einer Frau, die zwar entschieden ungeklärte Lücken lässt, vieles nicht zu Ende erzählt, fragmentarisch bleibt: aber doch im Vervollständigungsbegehren des Betrachters zum Porträt wird. Daneben, im Nebenbei dieses Porträts, ist der Film auch eine Abhandlung über die Prostitution. Die in der Fahrt den Straßenrand entlang den Blick des Freiers probt. Die in einer suggestiven Großaufnahme den Blick auf den (bekleideten) männlichen Unterleib und die in die Tasche nach dem Geld greifende Hand zum schlüssigen Emblem der Prostitution zusammenfasst. Die ein ganzes Kapitel lang statistische Informationen zu Gesetzen und Einkommensmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Prostitution mit elegant geschnittenen Szenen aus dem Leben der Prostituierten Nana bebildert. Am Ende (vor dem eigentlichen, bitteren Ende) kommt dann, aus dem heiteren Himmel, aus dem zuvor zum Beispiel auch schon eine großartige Tanzeinlage kam, Poe ins Spiel: die Erzählung vom Gemälde, das so lebensecht war, dass das lebende Vorbild sterben musste. Gelesen von Godard, der gerade dabei ist, dieses Gemälde Karinas, seiner damaligen Frau, zu Ende zu bringen. Ein Film, randvoll mit Ideen, oder vielleicht auch: um einiges überschüssig, über den Rand hinaus, den irgendwelche Konventionen vorsehen würden. Aber hier stimmt alles, hier ist noch nichts, wie gelegentlich später bei Godard, Prätention und Bildungsschutt, sondern alles Neugier, Ausprobieren, Wagnis.

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