Im Halbdunkel öffnet sich eine Tür, Erika Kohut betritt
die Wohnung, die Tür fällt ins Schloss, die Stimme der Mutter ist
zu hören. Damit sitzen wir fest, da kommen wir nicht mehr raus. Michael
Hanekes Film zwingt uns von der ersten Einstellung an in diese beklemmende
Welt und hält uns bis zum Ende darin fest. Es ist die Welt dieser
Mutter-Tochter-Beziehung, ein symbiotisches Verhältnis gegenseitiger
Qual, aber auch der Unterwerfung der Tochter, die immerhin Professorin am
Wiener Musikkonservatorium ist. Mutter und Tochter streiten sich, sie schlagen
sich, sie schlafen im selben Bett und einmal wird die Tochter über ihre
Mutter auch mit einem brutalen Kuss herfallen. Die Mutter sorgt dafür,
dass das Band zur Tochter nie durchtrennt wird: sie begleitet sie zu Konzerten
in den Wohnzimmern des Wiener Großbürgertums, sie verfolgt sie
mit Telefonanrufen, wenn die Tochter alleine aus dem Haus geht. (Der Vater
ist, vollkommen unsichtbar, unterdessen in der Irrenanstalt. Er wird sterben
und das wird nichts zu bedeuten haben.) Diese Beziehung totaler Kontrolllust
erzeugt ihre infantilen Heimlichkeiten auf Seiten Erikas: sie stiehlt sich
in Porno-Läden und schaut sich dort Sex-Videos an. Sie schlitzt sich,
heimlich, im heimischen Badezimmer, mit dem Rasiermesser die Vagina, prompt
erschallt von draußen die Stimme der Mutter, die zum gemeinsamen Abendessen
ruft.
Erika Kohut kann Sexualität nur nach dem Muster der
Mutter-Tochter-Beziehung denken, ausleben kann sie sie nicht. Dann tritt,
auf dem Umweg über das einzige Medium, in dem sie überhaupt mit
Emotionen umgehen kann, Walter Klemmer in ihr Leben, Schwachstromstudent
und exzellenter Klavierspieler. Er dringt in das Herrschaftsdreieck ein,
in dem sich die unterrichtende Klavierspielerin eingerichtet hat: die Musik
(Schubert und Schumann vorzugsweise), die Schüler und sie als schneidend
strenge, ihre Studenten quälende Lehrerin. Was die Musik hier ist, ist
schwer zu sagen. Bloßes Mittel zur Qual, zur Ausübung von Herrschaft?
Die Lehrerin fordert Ausdruck und Interpretation, bleibt selbst aber reglos
und brutal in der Kritik. Haneke filmt die Klavierspieler mit Vorliebe von
oben, mit Blick auf die Hände, die über die schwarzen und weißen
Tasten gleiten. Der Klarheit dieser Bilder entspricht keine Klarheit der
Verhältnisse.
Hier nun bricht Walter Klemmer ein, Klavier spielend nur zum Vorwand,
will reden, fordert Liebe. Was wir von Erika Kohuts Gefühlen sehen,
bleibt sehr strikt Tat. Einblicke ins Innere gibt es nicht: Sie schüttet
Glasscherben in die Manteltasche der Schülerin, als deren Beschützer
Walter auftritt. Haneke zeigt das ungerührt, sein Blick auf die Bestie
ist bestiengleich. Den Blick in die Bestie verweigert er. Ein seltsamer Tanz
von Anziehung und Abstoßung, Begehren und Hass zwischen Lehrerin und
Schülerin beginnt auf der Toilette des Konservatoriums. Sie verweigert
Walter den Kuss, will ihm dann einen blasen. Der Akt scheitert grotesk (aber
Walter ist glücklich). Es folgen Anweisungen an den Liebhaber zur
Lusterzeugung in der Lehrerin, detailliert, das Sado- Maso-Spielzeug liegt
bereit.Diese Anweisungen erteilt Erika schriftlich, er liest sie in ihrem
Zimmer, dessen Tür gegen den Blick und den Eintritt der Mutter verrammelt
ist. Walter eröffnet mit dem Eindringen in die Wohnung ein neues Dreieck,
zwängt sich zwischen Mutter und Tochter, sperrt, ganz buchstäblich,
die Mutter aus. Sie wird, immer wieder, zurückkehren.
Michael Haneke fasst den kalten Wahnsinn der Figuren in kühle,
streng komponierte Bilder. Seine Kunst ist die einer konsequenten
Mise-en-Scène der Personen. Die Logik ihrer Beziehungen liegt in ihren
Bewegungen aufeinander zu, voneinander weg, in der Anordnung im Bild - es
braucht so keine Motivationen, Kausalitäten, Erklärungen. Der Film
erschöpft sich im Zeigen. Von oben, von hinten, im Halbprofil. Im
Unterrichtszimmer erst das Relief ihres Kopfes vor dem weiß leuchtenden
Vorhang, dann seines. Der Film ist ein Gefängnis für den Blick
des Betrachters: man sieht vor allem Innenräume, immer wieder die Wohnung,
kaum Straßenszenen. Eine zweite Leinwand jedoch bietet die Kamera dem
Blick: das Gesicht von Isabelle Huppert, in dem noch die
kleinste Regung von Bedeutung scheint. Aufschluss oder Einsicht über
die momentane Qual oder Verzweiflung hinaus verweigert aber auch
das Spiel Hupperts, so grandios es sich in die Abgründe der Figur
hinein wagt. Stets bleibt der Eindruck, dass sie sich selbst unaufgeschlossen,
unaufschließbar bleibt. Der Brief mit den detaillierten technischen
Anweisungen zur Umsetzung ihrer sado-masochistischen Phantasien ist
ein entäußertes Objekt, eine Absonderung
ihrer Persönlichkeit, nicht anschließbar an die Figur, der
Huppert so eindrucksvoll Gestalt gibt.
Einmal, nach einem weiteren grotesk gescheiterten Geschlechtsakt in
der Eishockey-Umkleide öffnet Erika eine Tür, geht hinaus aufs
Eis, als wäre es ins Freie. Freiheit jedoch, Offenheit gibt es nicht:
Haneke schneidet sie ab, indem er das Weiß der Eisfläche sofort
ins Weiß des sich ausbleichendes Bildes blendet. Immer wieder gibt
es Momente, die vom Absurden und Schrecklichen ins Komische kippen - ohne
doch deshalb weniger absurd und schrecklich zu sein. Das Lachen hat hier
nichts Befreiendes, es wird zum Komplizen der Zwänge, die die Figuren
fesseln. Nicht einmal eine Auflösung wird gewährt:im wunderbar
symmetrischen Schlussbild zieht sich die Kamera zurück auf die statische
Außenansicht des Konzerthauses bei Nacht. Erika Kohut, die in einem
autoagressiven Akt das Messer gegen sich selbst gerichtet hat (ohne sich
mehr als eine oberflächliche Wunde zuzufügen) geht, aus der Distanz
kaum erkennbar, nach rechts einfach aus dem Bild. Der Film entlässt
sie, den Betrachter aber nicht.
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